Spanien bei der Fußball-EM:Mit Stunk im Nacken ins Gigantentreffen

Spain News Conference - EURO 2016

Jordi Alba beschwerte sich heftig über die Medien - Thiago hörte zu.

(Foto: REUTERS)

Zwist mit den Medien, Aberglaube, Angst vor dem 3-5-2-System der Italiener: Bei den Spaniern herrscht vor dem spannendsten Achtelfinale dieser EM Gereiztheit.

Von Javier Cáceres, Paris

Falls es noch eines Beweises bedurfte, dass Spanien sein Achtelfinale an diesem Montag gegen Italien in gereiztem Klima vorbereitet, lieferte ihn Jordi Alba. Ganz ruhig saß der Linksverteidiger des FC Barcelona im Pressesaal der Spanier in La Rochelle, er rückte das Mikrofon auf dem Podium zurecht und hob dazu an, eine Rechnung zu begleichen. Ob womöglich dicke Luft herrsche im Quartier der spanischen Nationalelf, oder ob Trainer Vicente del Bosque recht habe, der eben dies vehement bestreitet, wurde Alba gefragt. "Komplett einverstanden mit Vicente", sagte Alba und ging zur Publikumsbeschimpfung über. "Stunk verbreitet nur ihr", sagte er.

Seit dem 1:2 gegen Kroatien, das die Spanier um den Gruppensieg brachte und das ihnen das Duell mit den Italienern bescherte, ist etwas zwischen der Nationalelf und ihrem Umfeld kaputt gegangen. Mittlerweile brechen Debatten über das spanische Lager hinein wie die Wellen des Atlantiks über die Kaimauern der Île de Ré. Auf dieser Insel, dem Küstenort La Rochelle gegenüber gelegen, haben die Spanier ihr Lager aufgeschlagen.

Del Bosque dementiert Medienbericht

Doch mit den pastellfarbenen Bildern, die von den Medien nach den Siegen gegen Tschechien und die Türkei noch gepinselt wurden, ist es seit der Pleite gegen die Kroaten vorerst vorbei. "Ihr sät Zwietracht", giftete Alba, der dafür bekannt ist, dass er manchmal schneller spricht als er denkt.

Dabei hat die Nationalelf selbst für Diskussionen gesorgt. Vor dem Spiel gegen Kroatien hatte Ergänzungsstürmer Pedro in einem Fernsehinterview gemuffelt, er wäre gar nicht erst nach Frankreich gereist, wenn er geahnt hätte, dass er bei der EM kaum spielt. Verteidiger Gerard Piqué wiederum wurde zu Beginn des Turniers von den eigenen Fans ausgepfiffen, nach seinem Tor gegen die Tschechen wieder gefeiert - und nach der Partie gegen Kroatien von rechtsgerichteten Medien absurderweise bezichtigt, beim Abspielen der Nationalhymne bewusst den Mittelfinger gezeigt zu haben.

Nun schlug Piqué zurück: Er verbreitete einen medienkritischen Comedy-Clip, dessen Handlungsstrang bedeutet: Die Sportpresse erfindet ihre Geschichten. Möglicherweise gilt das für den jüngsten Aufreger. Ein Online-Medium behauptet, Kapitän Iker Casillas habe das Angebot ausgeschlagen, gegen Kroatien den neuen Stammtorwart David De Gea zu ersetzen. Der affärenumtoste De Gea sei die "Nummer eins" und solle es bleiben, sei Casillas' Argument gewesen. Del Bosque dementierte. So ein Angebot habe es nie gegeben.

"Mich hat hier nicht irgendein Bürgermeister hingesetzt"

Mittlerweile verliert der Konsens-Fanatiker del Bosque die Contenance. "Eine Lüge nach der anderen ...!", stöhnte er in einem Interview mit Radio Marca auf, ehe er fragte: "Weißt du, was eine Raubank ist? Ein Handhobel, den Tischler benutzen, um Runzeln auf dem Holz zu schlichten. Hier sind ein paar dabei, die kannst du noch so oft mit der Raubank bearbeiten - die Bösartigkeit wirst du ihnen nicht nehmen."

Damit meint er explizit nicht die Kritik, die ihn erreichte, weil er drei Mal dieselbe Startelf aufbot; fußballrelevante Fragen diskutiert del Bosque sogar gern. Sondern die Diskussionen über seinen angeblichen Mangel an Autorität, weil er sich nicht einmischte, als die Spieler gegen Kroatien nach der 1:0-Führung darüber diskutierten, wer den Elfmeter schießt. Ramos vergab.

"Mich hat hier nicht irgendein Bürgermeister hingesetzt", sagte del Bosque und meinte: Er wisse schon, was er tue. Bedauerlich und traurig sei das, sagte del Bosque. Es gehe ihm nicht um ihn selbst, sondern um die Nationalelf. Und diese steht gegen Italien vor einer Aufgabe, die selbst dann monumental wäre, wenn die Luft frei wäre von atmosphärischen Störungen. Oder von Erinnerungen. Diese kreisen nämlich nicht nur um die Siege im EM-Finale von 2012 oder im Viertelfinale der EM 2008, das "ein wirklich wichtiger Einschnitt in der Geschichte unseres Fußballs war, weil wir eine unheimliche Serie beendeten", sagt Marcos Senna, der damals Spaniens defensiver Mittelfeldspieler war. "Vor 2008 ist Spanien bei Turnieren immer im Viertelfinale ausgeschieden, es war wie ein Fluch", sagt Senna. Der Fluch ist längst überwunden, aber es gibt nun ein schlechtes Omen: Gegen Italien müssen die Spanier am Montag wieder ihr weißes Ausweichtrikot tragen. Dieses trugen sie bereits beim WM-Aus 1998 gegen Nigeria, beim EM-Aus 2004 - und auch beim 1:5 gegen die Niederlande bei der WM 2014 in Brasilien.

Vor zwei Jahren hatte Spanien freilich weniger mit dem Aberglauben zu kämpfen als damit, dass die Niederländer, wie später die Chilenen, im 3-5-2-System antraten. Es liegt den Spaniern nicht. Und die Italiener spielen genau in derselben Formation.

Grund zur Angst? "Bei allem Respekt. Spanien ist Italien nicht unterlegen", sagt Trainer Vicente del Bosque. Und aus der Kabine der Spanier tönt vor diesem EM-Achtelfinale ein trotziger Chor, der den Italienern Angst einflößen soll, angestimmt von Nolito, Iniesta, Fàbregas: "Wir sind Spanien!"

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