Bremen überrascht:Der Werderflüsterer

Borussia Moenchengladbach v Werder Bremen - DFB Cup

Torschütze und Team-Psychologe: Bremens altgedienter Stürmer Claudio Pizarro (mitte) mit den Kollegen Anthony Ujah (links) und Florian Grillitsch.

(Foto: Dennis Grombkowski/Getty Images)

Claudio Pizarro weist seinem verunsicherten Team in Gladbach den Weg zu einem spektakulären Comeback.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Weil die Fußballer von Werder Bremen ihr Pokalspiel in Mönchengladbach zu verlieren drohten, musste sich in der Pause ein Psychologe um sie kümmern. Er beruhigte die Spieler und redete bestärkend auf sie ein. Dann ging er mit ihnen hinaus auf Feld, half einen 0:1- Rückstand in einen 4:3-Sieg zu drehen und Bremen ins Viertelfinale des DFB-Pokals zu befördern. Den wichtigen Treffer zum zwischenzeitlichen 3:2 schoss er gleich selbst. Werders Psychologe heißt Claudio Pizarro und ist mit 37 Jahren eigentlich ein in die Jahre gekommener Stürmer. Aber für solch seelsorgerische Aufgaben, sagte der Trainer Viktor Skripnik nachher begeistert, habe man ihn auch geholt.

"So was hat man lange nicht geseh'n", sangen die Bremer Fans nach dem Schlusspfiff im Borussia-Park und hatten damit in vielerlei Hinsicht Recht: Vier Tore in einem Pflichtspiel hatten die Bremer seit einem Jahr nicht mehr geschossen, und im Pokal-Viertelfinale waren sie schon seit sechs Jahren nicht mehr. Auf der anderen Seite hatten die Gladbacher seit fünf Jahren kein Pokalspiel mehr innerhalb von 90 Minuten verloren. Aber vor allem: Drei Pflichtspiele nacheinander mit mindestens vier Gegentoren gab's seit ihrer Bundesliga-Zugehörigkeit überhaupt noch nie. Zu dieser Häufung von seltenen Statistiken war es gekommen, weil leidenschaftliche Bremer kapitale Patzer fahriger Gladbacher kaltschnäuzig zu Treffern genutzt hatten.

Während die Bremer eine schwache Hinrunde mit diesem Pokalerfolg sowie einem Sieg am Samstag beim Tabellennachbarn Frankfurt tröstlich beenden könnten, drohen die Gladbacher ihre unter dem Trainer André Schubert erspielte Euphorie kurz vor der Winterpause innerhalb von vier Spielen einzubüßen. Die Niederlagen in Manchester (2:4) und gegen Bremen haben den Verbleib im Europa- und DFB-Pokal gekostet, und nach dem 0:5 in Leverkusen droht bei einem sieglosen Spiel am Sonntag gegen Darmstadt die weitere Distanzierung von der Bundesligaspitze.

Doch wer suggeriert, Gladbach drohe binnen vier Partien alles Erlangte zu verspielen, dem hält Trainer Schubert eine einfache Rechnung entgegen: "Wir haben 26 Punkte nach 16 Spielen, in der vergangenen Saison hatte die Mannschaft 27 Punkte nach 17 Spielen." Soll heißen: Schon mit einem Remis am Samstag gegen Darmstadt hätte Gladbach die Hinrundenbilanz jener vergangenen Saison erreicht, die mit der späteren direkten Champions-League-Qualifikation als Referenz in die jüngere Historie des Klubs eingegangen ist.

Doch für Gladbach geht es nicht nur um die Punkte gegen Darmstadt und um die Hinrunden-Bilanz, sondern grundsätzlich um die Stabilität und Zukunft des Schubert-Systems. Der 44-Jährige hat dem Team mit hohem Pressing und unbedingter Angriffslust ein Spiel aufgebürdet, das in seinen ersten zehn Bundesligapartien mit acht Siegen und 29:11 Bundesliga-Toren fantastisch aufgegangen war - zuletzt binnen fünf Halbzeiten aber völlig schief gegangen ist. Seit dem Seitenwechsel in Manchester (wo die Mannschaft noch 2:1 führte) ist die Balance zwischen mutigem Offensivspiel und vernünftiger Defensive völlig verloren gegangen.

Team und Trainer führen Erschöpfung nach aufreibenden Wochen sowie fehlendes Personal angesichts sieben verletzter Spieler an: Drei Gegentreffer in der zweiten Halbzeit gegen Manchester City, vier in der zweiten gegen Leverkusen und wieder vier nach der Pause gegen Bremen deuten tatsächlich auf einen gewissen Substanzverlust hin. Gegen Bremen drängte sich insgesamt aber auch der Eindruck einer mangelhaften Seriosität vor allem im Defensivverhalten auf. André Schubert jedoch fand die Fehler "nach den hohen Belastungen der vergangenen Wochen verständlich" und seine Mannschaft schlichtweg "zu hektisch und zu wild".

Die erforderliche Kühle demonstrierten ausgerechnet die zuvor so flatterhaften Nordlichter, die mit Anthony Ujah und Pizarro eine Doppelspitze aufgeboten und laut Pizarro während eines Spiels schon lange nicht mehr so viel miteinander kommunizierten hatten. Vergleichbare Erfolge durch verbales Passspiel hatten in den vergangenen Wochen auch die Gladbacher gehabt, nach deren besten Spielen der Kapitän Granit Xhaka stets heiser war. Diesmal jedoch wollten die Spieler nicht mal nach dem Spiel reden und trollten sich wortlos an Mikrofonen vorbei in die Kabine.

Aus den Bremern hingegen sprudelte es verständlicherweise nur so heraus. Der Pokalerfolg soll neues Selbstvertrauen fürs letzte Hinrundenspiel in Frankfurt generieren, wo die Bremer nicht verlieren dürfen, weil sie sonst womöglich sogar auf einem Abstiegsplatz überwintern müssen. Trainer Skripnik nennt dieses Spiel ein "Mini-Finale" und hofft, dass man an die Leistung vom Gladbachspiel anknüpfen kann. Die gute Laune ist vorerst schon mal zurück, und um in der Pause nicht wieder als Psychologe aktiv werden zu müssen, soll sich der Stürmer Pizarro explizit vorgenommen haben, bereits in der ersten Halbzeit ein Tor zu schießen.

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