Bremen:Im Stile eines Zockers

GER, 1.FBL, Hertha BSC Berlin vs SV Werder Bremen

Torgefährlicher Zopfmann: Werder-Stürmer Max Kruse hat sich nach seiner Rückkehr zwei Spiele Anlauf gegönnt, gegen Hertha nun im zweiten Spiel in Folge getroffen.

(Foto: nordphoto)

Ausgerechnet in Berlin sorgt Kruse für Werders ersten Auswärtssieg. Trotzdem ignoriert der Torschütze viele Reporter - wegen Berichten vorab.

Von Javier Cáceres, Berlin

Der Stürmer Max Kruse steht in einer besonderen Beziehung zu Berlin. Im vergangenen Herbst wurde er hier am Hauptbahnhof als "Fußballgott" gefeiert; da spielte er noch beim VfL Wolfsburg und hatte gegen Hoffenheim einen Hattrick erzielt. Als kurz darauf in Berlin die World Series of Poker stattfanden, vermisste Kruse nach einer Taxifahrt am frühen Morgen 75 000 Euro in bar - Preisgeld. Der Mann liebt das Zocken. Im Frühjahr wiederum beging Kruse in einem Berliner Tanzlokal seinen 28. Geburtstag; eine junge Frau wollte dies mit ihrem Handy dokumentieren, was Kruse nicht lustig fand. Seine rustikale Reaktion war auch deshalb ein Problem, weil es sich bei der Frau um eine Bild- Reporterin handelte. Folgen hatte dies für ihn aber vor allem, weil zu jener Zeit auch noch andere Handy-Aufnahmen öffentlich zirkulierten, eher privater Natur.

Eine Diät lehrte ihn: Nichts essen ist auf Dauer auch keine Lösung

Kruse musste erstens das Ende seiner Nationalmannschaftskarriere hinnehmen, zweitens den Abschied von seinem damaligen Arbeitgeber Wolfsburg, und - drittens - musste er seine Rückkehr nach Bremen betreiben, wo er ganz früher vorrangig für die Amateure gespielt hatte. Am Samstagabend nun trat der übrigens wirklich talentierte Pokerspieler Kruse mit Werders Profis bei der Berliner Hertha im Olympiastadion auf; und wenn es jemanden gab, der prädestiniert war, Herthas Full House (sieben Heimsiege aus sieben Spielen) zu verhindern, dann der Herzbube Kruse. Er tat es auch, als er in der 41. Minute das einzige Tor des Tages erzielte. Im Stile eines Zockers.

Beide Hauptdarsteller der spielentscheidenden Szene wählten nicht nur hinterher identisches Vokabular, sie hatten in den Sekunden vor dem 1:0 identische Gedanken. "Ich habe spekuliert", sagten sowohl Kruse wie auch Herthas Verteidiger Niklas Stark unisono. Im Gegensatz zu Kruse musste Stark aber auch konzedieren, was er sicher eleganter, aber nicht trefflicher hätte formulieren können: "Im Nachhinein sieht's natürlich Scheiße aus." Stark meinte damit den absurden Einfall, der ihn überkam, als Herthas Torwart Rune Jarstein ihm den Ball zugespielt hatte: Er dribbelte parallel zur Strafraumlinie und versuchte sich dann an einem Pass - den Kruse abfing, um sich sogleich das nächste Bluffer-Duell zu liefern. Denn Kruse wartete, überlegte, zögerte, bis Keeper Jarstein seine Karten aufgedeckt hatte. Dann schoss Kruse ein, und Werder räumte ab, was im Pot lag: drei Punkte.

Der 1:0-Sieg, der auch höher hätte ausfallen können, wenn Serge Gnabry, Claudio Pizarro oder Santiago García Werders Konterchancen genutzt hätten, war der erste Auswärtssieg seit dem Frühjahr - und gleichzeitig das erste Spiel der Bremer der laufenden Saison ohne Gegentor. "So kann's weitergehen", feixte Kapitän Clemens Fritz, der als defensiver Mittelfeldmann Gehöriges zur konzentrierten Abwehr-Leistung der Bremer beitrug und in einer Szene gar eine Delikatesse lieferte: Als er in der zweiten Halbzeit den Ball mit der Stiefelspitze annahm, als wäre er Bremens Antwort auf Barça-Kapitän Iniesta. "Wenn du Spiele gewinnst, wird die Brust breiter", erklärte Fritz.

Wie sehr der Satz auch für Max Kruse gilt, kann nur vermutet werden. Denn Kruse lief in den Katakomben des Olympiastadions an den Print-Journalisten vorbei. Mit grimmigem Blick. Ob er sauer war, dass zuletzt thematisiert worden war, dass er nicht ganz so austrainiert aussehe? Bei Sky und im ZDF sagte er sinngemäß, dass er über die Kolportage, er markiere den dicken Max, nur lächeln könne: "Ich glaube, ich habe die Antwort heute gegeben."

Das stimmte mit Blick auf sein Tor, nicht aber mit Blick auf seine Diät, über die er im Magazin 11 Freunde philosophiert hatte. Im vergangenen Winter hatte er seine Ernährung umgestellt, alles angeblich Schädliche weggelassen: "Kein Zucker, kein Weizen, abends keine Kohlehydrate, gar nichts mehr. Am Ende hatte ich den Körper, den sich Fitnesstrainer wahrscheinlich wünschen. Nur fühlte ich mich zeitweise so müde, dass ich meine Leistungsfähigkeit nicht mehr auf den Platz gebracht habe." Wie immer es nun um Kruses Körperfettanteil und Body Mass Index bestellt ist: Seit er von seiner zu Saisonbeginn erlittenen Verletzung genesen ist, hat er in vier Spielen zwei Tore geschossen. Das ist eine Quote, an die er kommende Woche vielleicht erinnern sollte. Zumindest droht Gefahr: Werders Coach Alexander Nouri hat leistungsdiagnostische Tests angesetzt.

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