Bremen:Gefangen im Abwärtsstrudel

Bremen Germany 11 02 2017 1 Bundesliga 20 Spieltag Werder Bremen Borussia Moenchengladbach v

Dahin stürzen, wo es weh tut: Santiago Garcia und Werder Bremen üben den freien Fall Richtung zweite Liga.

(Foto: DeFodi/imago)

Mit einer Hurra-Offensive ohne Absicherung kommt der SV Werder von Trainer Nouri dem Tabellenende immer näher.

Von JÖRG MARWEDEL, Bremen

Nicht einmal der hanseatische Tabellen-Nachbar Hamburger SV taugte diesmal noch als Mutmacher. In den vergangenen Jahren hatten meist die negativen Zwischenstände des ungeliebten Rivalen auf der Bremer Stadiontafel spitze Jubelschreie ausgelöst. Diesmal wurde die 2:0-Führung der Hamburger beim Tabellenzweiten RB Leipzig nur mit einem fassungslosen "Oh!" bedacht. Geht es beim HSV so weiter, der am Ende gar 3:0 gewann, droht dem auf den Relegationsplatz zurückgefallenen SV Werder ein noch härterer Abstiegskampf als in Jahren zuvor. Am Schluss pfiffen jene Anhänger, die in der vergangenen Saison noch mit ihrer Treue zum Klub zum Klassenerhalt beigetragen hatten, ihre Verzweiflung hinaus. Vor allem deshalb, weil nach dem 0:1 (12.) durch Gladbachs Thorgan Hazard vom Team erheblich "zu wenig" zurückkam, wie unisono Werder-Trainer Alexander Nouri und Werder-Geschäftsführer Frank Baumann erklärten.

Baumann stellte gleich eine komplette Mängelliste auf: "Zu wenig Engagement, zu wenig Verbissenheit, zu wenig Mut, zu wenig Laufbereitschaft, zu wenig Bereitschaft, den Ball wirklich haben zu wollen." Als er die Auflistung beendet hatte, sagte er: "Das können wir so nicht stehen lassen." Man werde "deutlich beobachten, wer weiterhin würdig ist, das Werder-Trikot zu tragen". So scharfe Worte hat der sonst meist reservierte Manager gegen die Werder-Profis noch nie benutzt. Nur die Frage nach dem Trainer, der auch das vierte Spiel in diesem Jahr verlor, beantwortete er so allgemein, dass es wie ein Ablenkungsmanöver wirkte. Man werde alles genau analysieren . . . - und "unabhängig von Alexander Nouri" gucke man genau, ob die Mannschaft nicht mehr funktioniere. Aber das sei "aktuell definitiv nicht der Fall".

Gladbach liefert den Kontrast: Die Hecking-Elf hat zu neuer Stabilität gefunden

Man kann das auch anders sehen. Denn der "fleißige" Trainer (Selbsteinschätzung), der Werder nun exakt eine Halbserie betreut hat, in der er spärliche 16 Punkte erwirtschaftete, regt durchaus zu strategischen Debatten an. Ähnlich wie es bei seinem Vorgänger Viktor Skripnik war, der nach dem 1:4 im Hinspiel in Mönchengladbach entlassen wurde. Beim 2:3 in Augsburg vor einer Woche hatte Nouri den unerfahrenen Ulisses Garcia ohne Spielpraxis in eine Dreierkette beordert; dieser wirkte gegen den bulligen FCA-Torjäger Raul Bobadilla überfordert. Gegen die Gladbacher begann der Trainer erneut extrem offensiv - und musste erneut ein Kontertor quittieren. Vor allem Garcias Namensvetter Santiago spielte dabei eine unrühmliche Rolle. Nicht nur beim 0:1 kam er zu spät zurück aus der gegnerischen Hälfte. Dass Hazard aus spitzem Winkel Felix Wiedwald mit einem Chip-Ball überlistete, konnte man wiederum dem Torwart ein Stück weit ankreiden. Er hätte mit einem Schritt nach vorne Hazards Chance deutlich reduziert.

Es gibt also Gründe dafür, dass Baumann den Vertrag mit Nouri derzeit nicht verlängern möchte. Den Fehler einer vorzeitigen Verlängerung hat er mit Skripnik ja schon mal gemacht. Die Frage, ob man im Abstiegskampf so sorglos nach vorne spielen darf, wird bestimmt ein Bremer Thema dieser Woche vor dem Auswärtsspiel am Samstag beim FSV Mainz 05 sein. Natürlich liegen Werders Stärken mit Kräften wie Max Kruse, Fin Bartels Claudio Pizarro und Serge Gnabry im Angriff, wenngleich Gnabry diesmal so spielte wie ein Reservist des Reserveteams seines früheren Klubs FC Arsenal in London. Aber ob das nach dieser Erfahrung alle so sehen wie Verteidiger Robert Bauer? Er ist sicher, dass die Qualität in der Offensive "zu hoch ist, um anders Fußball zu spielen". Doch wenn Nouri die Abwehr (nun 42 Gegentore) nicht dicht bekommt, hat das schöne Spiel eben keinen Erfolg.

Wie man einer Mannschaft wieder Sicherheit gibt, hat Nouris Kollege Dieter Hecking, der in der Winterpause André Schubert ablöste, nachgewiesen mit nun zehn Punkten aus vier Spielen. Es sei "bemerkenswert", wie viel Stabilität durch eine "gemeinschaftlich aggressive Verteidigung" entstehe, sagt Borussia-Manager Max Eberl. So können jetzt auch Antreiber Christoph Kramer oder der begabte Hazard ihre Fähigkeiten wieder ausspielen. Sogar die Ausfälle der wichtigsten Offensivkräfte Lars Stindl (nach fünfter gelber Karte gesperrt) und des verletzten Raffael konnte die Borussia wegstecken.

Gladbachs Kapitän Tony Jantschke hat sich auch mit der Werder-Spielweise auseinandergesetzt: "So hoch zu verteidigen, ist ein schmaler Grat, das ist auch eine Gefahr." Vor allem wenn man erlebt, was in einem Team passiert nach drei knappen Niederlagen (1:2 gegen Dortmund, 1:2 gegen den FC Bayern, 2:3 in Augsburg). Robert Bauer empfand es so: "Wir sind durch die letzten Spiele in einen Abwärtsstrudel geraten, das Selbstvertrauen fehlt." Ähnlich argumentierte Abwehrchef Niklas Moisander. Torwart Wiedwald hatte sogar den Eindruck, man hätte weitere 90 Minuten spielen können, ohne ein Tor zu schießen. Das alles ließ Baumann nicht als Erklärung gelten. Nur ein Alibi der Profis? "Ja", lautete Baumanns knappe Antwort.

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