Brasiliens Verteidiger Dante bei der Fußball-WM:Eine schrecklich nette Familie

Der Brasilianer Dante

Tolle Haare und ein fröhliches Elternhaus: Bayerns Dante könnte gegen die DFB-Elf sein WM-Debüt geben.

(Foto: dpa)

Und jetzt spricht plötzlich vieles für Dante: Der lebensfrohe Profi des FC Bayern hofft nach der Gelbsperre von Thiago Silva ausgerechnet gegen Deutschland auf seinen ersten WM-Einsatz. Wie sein Elternhaus darüber denkt? Blitzbesuch bei einem außergewöhnlichen Clan.

Von Boris Herrmann, Salvador da Bahia

João Carlos Verozo Santos macht im Moment auch nichts anderes als das, was alle Brasilianer machen: Er denkt über die Aufstellung nach. Tag und Nacht. Nacht und Tag. Für Herrn Verozo Santos, der bitte nur João genannt werden will, stellt sich die Lage so dar: Bei Neymar ist nichts zu machen, Wunderheiler hin oder her. Der wird im Halbfinale gegen Deutschland definitiv fehlen.

Bei Thiago Silva sieht João dagegen noch eine winzige Einsatzchance - da konnte er noch nicht wissen, dass die Fifa den Einspruch des brasilianischen Verbandes wegen dessen Gelbsperre tags darauf abschmettern würde. João hat aber bereits klar gemacht, wen er für den Fall einer Bestätigung der Sperre einsetzen würde. "Dante ist genauso gut. Der spielt bei Bayern München", sagt er.

Vielleicht ist es nicht ganz unerheblich in diesem Zusammenhang, dass João der Vater von Dante ist.

Bloß nicht falsch verstehen: João wäre der Letzte, der Thiago Silva, dem Kapitän der Seleção, etwas Schlechtes wünschen würde. "Sein Tor gegen Kolumbien war sehr gut", findet João. Gleichwohl ist der Gedanke schon sehr verlockend, dass womöglich der eigene Sohn einspringt am Dienstag. Endlich! Und dann ausgerechnet gegen Deutschland! Bisher hat Dante die WM ja nur auf der Ersatzbank verbracht. "Der kann auch Tore schießen", sagt João.

Eine Geburtstagsparty? "Nee, wieso?", fragt der Hausherr. "Wir haben zu Abend gegessen."

Wer den Abwehrspieler Dante, 30, für den fröhlichsten Zeitgenossen unter dieser Sonne hält, der hat seinen Vater noch nicht erlebt. Wenn man ihn abends um neun Uhr anruft, um nach seinen Gedanken zur brasilianischen Aufstellung zu fragen, dann sagt er: "Komm' doch einfach vorbei. Ich bin zu Hause."

Das Haus, in dem Dante aufwuchs, befindet sich am Ende einer Sackgasse. Nach Sonnenuntergang empfiehlt es sich, eine Taschenlampe mitzubringen. Um zum Eingangsgatter zu gelangen, schlittert man einen schmalen Trampelpfad hinunter, der sich schon bei überschaubaren Regenmengen in einen reißenden Gebirgsbach verwandelt. Hier im Stadtviertel Federação von Salvador da Bahia lebt die untere Mittelschicht. Vater João sitzt vor dem Fernseher und guckt Telenovelas. Man möge sich dazusetzen.

Der Spieler Dante mag einen exquisiten Lockenschopf mit sich herumtragen. Dantes Vater sieht allerdings aus, als wäre er eben erst von der Welttournee mit "Bob Marley and the Wailers" zurückgekehrt. Seine Locken sind zu langen Rasta-Zöpfen geflochten. Um seinen Hals baumelt eine schwere Silberkette. Seine Arme sind von oben bis unten tätowiert. In seinen Ohrläppchen und an seinen Fingern steckt Schmuck für ein ganzes Juweliergeschäft. Im Übrigen war es nur die halbe Wahrheit, als er sagte, er sei zu Hause.

Die ganze Familie ist da. Drei Cousins und zwei Onkels von Dante, mit einer Ausnahme alle mit formschöner Afro-Frisur, gucken ebenfalls Mittelschichtenfernsehen. Die Damen - zwei davon im Bayern-Trikot - haben es sich nebenan gemütlich gemacht. Als der Journalist aus Deutschland den Raum betritt und sich für die späte Störung entschuldigt, setzt sich Oma Didi eine Dante-Perücke auf.

Großes Gelächter. In der Küche trifft man drei weitere Rasta-Männer (zwei Onkels, ein Cousin). Der Rest wuselt durch den Flur oder steht biertrinkend auf einer Klappleiter im Hof. Auf die Schnelle zählt man 26 Menschen mit mindestens 19 außergewöhnlichen Haarschnitten und einer lustigen Perücke. In Relation zu seiner Verwandtschaft sieht Dante fast ein bisschen spießig aus.

Wird hier eigentlich gerade eine Geburtstagsparty gefeiert? "Nee, wieso?", fragt der Hausherr. "Wir haben zu Abend gegessen."

Überall Locken und Rastas

Der Mann auf der Klappleiter ist Onkel Doga. Er betreibt im Zentrum von Salvador ein kleines Tattoo-Studio. Doga hat die gesamte Sippe angemalt. Dantes Vater, Dantes Mutter, Dantes Geschwister. Und die fünf Tattoos auf dem Oberkörper des brasilianischen Nationalspielers stammen natürlich auch von Doga.

An diesem Abend tätowiert er, wenn man so will, die Hauswand. Mit Farbtöpfchen, Pinsel und Bierbüchse balanciert Doga auf der obersten Sprosse der Leiter. Sein überlebensgroßes Dante-Portrait soll noch bis zum Deutschland-Spiel fertig werden. Als Glücksbringer. Darunter steht "Tá Escrito", der Titel jenes Samba-Liedes, mit dem sich das brasilianische Nationalteam vor seinen Spielen im Mannschaftsbus in Stimmung singt.

Erstaunlicherweise hat Dante auf Dogas Kunstwerk aber kein Trikot der Seleção, sondern eines des FC Bayern an. Das liegt an der Bildvorlage, der Maler paust das Gemälde von einem Foto auf seinem Smartphone ab. "Im Bayern-Trikot gab es eine größere Auswahl", sagt Doga. Dantes Gesichtsausdruck erinnert eher an den Beißer Suárez, das Trikot hat an der linken Schulter vier statt drei Streifen. Ansonsten sieht es aber prima aus.

Es müssen schrecklich nette Familienverhältnisse gewesen sein, in denen Dante aufwuchs. Und wenn man nur ein paar Minuten in seinem Elternhaus verbracht hat, dann ahnt man schon, warum er so gerne hierher zurückkehrt. Nach Brasiliens Achtelfinal-Sieg gegen Chile war er zuletzt zu Hause. Das Spiel fand in Belo Horizonte statt. Sind ja nur zwei Flugstunden.

Die Familie hätte längst in ein nobleres Stadtviertel ziehen können. Dante, der Großverdiener vom FC Bayern, hat ein Haus an der mondänen Strandpromenade Vila do Atlantico gekauft. Aber das steht jetzt meistens leer. "Er ist auch lieber hier bei uns in Federação", sagt Papa João. Hier - beziehungsweise da drüben, auf dem einzigen Flachstück des Viertels, einem Supermarktparkplatz - hat er schließlich auch gelernt, Fußball zu spielen.

Jene Kunst, die ihn in die weite Welt hinausgetragen hat. Über Lille, Charleroi und Lüttich nach Mönchengladbach. Und schließlich nach München. Was er sich in seiner Spielweise bewahrt hat, ist der Geist jener Stadt, der er entstammt: Salvador ist ein ebenso lebenslustiger wie harter Ort - garniert mit einem guten Schuss Durchgeknalltheit.

Es wäre übertrieben, zu sagen, dass Dante aus einer Fußballfamilie stamme. Sein Vater interessiert sich zwar durchaus für diesen Sport. Er ist Fan von Esporte Club Bahia - und vom FC Bayern natürlich. Seine eigentliche Leidenschaft gilt aber den schönen Künsten.

Dem Theater, der Musik, der Malerei, der Literatur, dem Tätowierstübchen. Er verdient sein Geld mit der Restauration alter Gemälde. Warum sein Sohn Dante heißt? Natürlich weil er die "Göttliche Komödie" von Dante Alighieri gelesen hat. "Super Buch", sagt João. Dantes Zweitname Bonfim ist wiederum ein Gruß aus seiner Heimat. Eine der bedeutendsten Kirchen von Salvador heißt Nosso Senhor do Bonfim (Unser Herr vom Guten Ende).

Welches Ende es nehmen wird mit dieser WM, das hängt aus Sicht einer Großfamilie aus Federação von der nächsten Aufstellung ab. Theoretisch ist ja jetzt ausgeschlossen, dass Thiago Silva spielt. Theoretisch möglich dafür wäre, dass Henrique einspringt, wenngleich das unwahrscheinlich ist. Der Herr vom Guten Ende wird bis zur Bekanntgabe der Startelf garantiert noch einige Stoßgebete zu hören bekommen.

Vater João hat aber vorsichtshalber beschlossen, lieber nicht zum Halbfinale nach Belo Horizonte zu reisen. Die Wahrscheinlichkeit ist schließlich hoch, dass der Sohnemann dort tatsächlich sein WM-Debüt geben darf. Und zu solch einem heiteren Anlass will der Papa dort sein, wo es am Schönsten ist: zu Hause vor dem Fernseher bei seiner Rasta-Familie.

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