Brasilien vor der Fußball-WM:Sonne statt Europa

Great Britain vs Brazil

Glücklich in Brasilien: Nationalspieler Neymar.

(Foto: dpa)

Pato, Ronaldinho, Lúcio: Brasiliens beste Fußballer spielten bis vor Kurzem wie selbstverständlich bei den reichen Klubs in Europa. Doch ein Jahr vor der WM im eigenen Land boomt die Wirtschaft, viele Top-Spieler kehren zurück. Sogar das Juwel Neymar hält es in der eigenen Liga.

Von Peter Burghardt, Buenos Aires

Vor einiger Zeit, Neymar war gerade so richtig bekannt geworden, da gab es eine lustige Fernsehwerbung in Brasilien. In dem Spot für einen anregenden Softdrink saß der Fußballprofi vom FC Santos in Bermudas und mit Irokesenschnitt in einem Klappstuhl am Strand, umgeben von Sand, Meer und Mädchen, da fragte ihn jemand nach Europa.

"Europa?", fragte der brasilianische Nationalstürmer zurück und dachte an Training in dicken Klamotten bei Schneetreiben und einen Kiosk auf der eiskalten anderen Seite des Atlantiks, wo sie nicht mal dieses Brausegetränk kennen. "Europa", antwortete Neymar, "agora não" - jetzt nicht -, und widmete sich dann wieder den Damen im brasilianischen Sommer. Dabei hatten unter anderem Real Madrid, der FC Barcelona und Manchester United 45 Millionen Euro und mehr für ihn geboten.

So dribbelt der populärste Spieler der Republik noch immer in der Heimat, am Samstag gelangen ihm beim 3:1 gegen São Bernardo wieder zwei Tore. Zurzeit geht es zwar nur um den Regionaltitel von São Paulo, diese Lokalturniere gehen Brasiliens Gesamtliga voraus, aber was soll's. Unter der Sonne von Santos ist der bald 21-jährige Neymar der Nachfolger Pelés, und er verdient dort dank vieler Sponsoren fast genauso viel, wie er in Madrid oder Barcelona kassieren würde. Nationaltrainer Felipe Scolari hat ihn für das Länderspiel im Februar in London nominiert, für den Konföderationen-Cup 2013 und die WM 2014 zuhause ist er sowieso gesetzt. Und in den Meisterschaften begegnen ihm prominente Männer wie Pato, Ronaldinho, Fabiano, die früheren Bundesliga-Profis Lúcio und Guerrero, Seedorf sowie Forlán, die aus Europa heimgekehrt oder in Südamerikas Riesenreich ausgewandert sind.

Alexandre Rodrigues da Silva alias Alexandre Pato kam im reifen Alter von 23 gerade vom AC Mailand, wohin er mit knapp 18 für 22 Millionen Euro gewechselt war. Der Angreifer galt dort lange als Wunderkind und gehörte zwischendurch dank seiner Beziehung zu einer Tochter von Milan-Chef Silvio Berlusconi sogar zum engeren Kreis der Familie, ehe ihn Verletzungen aus der Bahn warfen. Für 15 Millionen Euro erwarb seine Dienste jetzt Corinthians São Paulo. Ein Abstieg? Bewahre, "ich habe Milan gegen die beste Mannschaft der Welt getauscht", findet Pato. Sein neuer Arbeitgeber hat im Dezember gegen Chelsea die Klubweltmeisterschaft gewonnen, 1:0 im Finale von Yokohama, Torschütze Paolo Guerrero. Mit dem früheren Bayern und Hamburger Guerrero aus Peru darf sich Pato bei Corinthians um den Posten des Mittelstürmers streiten.

Über den Zenit hinaus

Da wird selbst die Provinzmeisterschaft von São Paulo interessant. Es geht unter anderem gegen Neymars Santos und gegen Palmeiras, das mit dem launischen Argentinier Juan Román Riquelme flirtet. Und vor allem gegen den FC São Paulo, der sich ebenfalls üppig eingedeckt hat. Da verteidigt neuerdings Lucimar da Silva, besser bekannt als Lúcio, er beendete mit 34 nach zwölf Jahren seine europäische Tournee nach Leverkusen, München, Mailand und Turin.

"Der Wunsch zurückzukehren war immer da, und heute habe ich diesen Traum wahr gemacht", sprach Lúcio, seinen Einstand gab er am Wochenende beim 2:0-Erfolg im Stadion Morumbí gegen Mirassol. Zu seinen Kollegen gehören der junge Mittelfeldstratege Paulo Henrique Chagas de Lima, genannt Ganso, der für umgerechnet knapp neun Millionen Euro dem FC Santos abgekauft wurde - und Torjäger Luis Fabiano, den São Paulo für 7,6 Millionen Euro aus Sevilla evakuierte.

Im Team von Atlético Mineiro wiederum ist nach seinem Ärger bei Flamengo der frühere Weltfußballer Ronaldinho, demnächst 33, untergekommen. Mäzene sichern sein immer noch ordentliches Gehalt von angeblich 300 000 Dollar im Monat. Bei Internacional Porto Alegre verdingen sich Uruguays Idol Diego Forlán, 33, bester Mann der WM 2010, der argentinische Schönspieler Andrés d'Alessandro sowie der brasilianische Auswahlstürmer Leandro Damião und der ehemalige Nationalverteidiger Juan. Der Holländer Clarence Seedorf hat auf seine alten Tage 2012 bei Botafogo in Rio angeheuert, Milan bekam dem Vernehmen nach neun Millionen Euro. Veteran Seedorf, fast 37, trägt die Nummer 10, Botafogo wollte ihm sogar die mythische Nummer 7 Garrinchas geben.

Über ihren Zenit sind manche dieser Helden schon hinaus, doch Brasilien ist interessant geworden für Einheimische und Fremde. Die WM steht an, und der Gigant erlebt trotz gewisser Schwächen in diesen Tagen einen enormen Aufschwung, während Europa schwächelt. Die Kaufkraft von Millionen Brasilianern steigt, die Währung Real ist stabil, Investoren stehen Schlange. Der FC São Paulo schreibt für 8,5 Millionen Euro pro Saison den Namen eines japanischen Elektrokonzerns auf die Trikots von Lúcio, Ganso und so weiter, eine US-Sportmarke hat sich Patos Corinthians geangelt. So verschwindet nicht mehr automatisch sofort jedes Talent, das halbwegs den Ball trifft. Wobei immer noch Tausende Brasilianer in der Ferne spielen.

Lucas Moura zog für 42 Millionen Euro gerade aus São Paulo zu Paris Saint Germain, Oscar dos Santos zuvor für mutmaßlich 35 Millionen Euro zu Chelsea. Neymar geht vielleicht nach der WM oder doch noch davor. Pato winkt auf die Frage nach Europa ab: "nur zur Erholung, im Urlaub".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: