Bradley Wiggins bei der Tour de France:"Die Kohlenhydrate des Biers brauche ich nicht"

Bei der 99. Tour de France könnte es spannend zugehen wie lange nicht mehr - auch wegen einiger namhafter Absenzen. Als Favorit auf den Gesamtsieg gilt der Brite Bradley Wiggins, ein erstaunlich skandalfreier Athlet. Der ehemalige Bahnradfahrer trinkt nicht einmal Bier.

Andreas Burkert

Er trägt die Koteletten auch in Lüttich ohne akkurate Linienführung, das rote Haar sprießt ungezwungen fast bis auf Kinnhöhe. Aber als Sonderling fühlte sich der Besitzer des sehr britisch anmutenden Accessoires schon immer wohl, das ist bekannt im Feld; neu ist allerdings, dass dieser Bradley Wiggins in den kommenden drei Wochen zur stilbildenden Figur des Radsports aufsteigen soll: Der inzwischen 32-jährige Engländer, der als bestes Resultat bei einer der drei großen Landesrundfahrten bislang einen dritten Platz bei der Vuelta à España 2011 im Palmarès stehen hat, gilt noch vor dem Titelverteidiger Cadel Evans, 35, aus Australien als Favorit auf den Gesamtsieg der 99. Tour de France.

Bradley Wiggins bei der Tour de France: Bei seinem Tour-Debüt 2006 belegte Bradley Wiggins noch Platz 124. Bei der diesjährigen Rundfahrt geht er als Favorit an den Start.

Bei seinem Tour-Debüt 2006 belegte Bradley Wiggins noch Platz 124. Bei der diesjährigen Rundfahrt geht er als Favorit an den Start.

(Foto: AFP)

Welche Geheimnisse sich hinter diesem verblüffenden Aufstieg eines dreimaligen Bahnrad-Olympiasiegers verbergen, das kann Wiggins vielleicht nach dem finalen Zeitfahren von Chartres (21. Juli) erzählen. Dass die Fragestunde des Gewinners in den vergangenen Jahren stets zur einsilbigen Selbstdarstellung geriet, lag in der Natur der Sache: ein Toursieger, der nicht unter Dopingverdacht steht, das ist schon sehr, sehr lange her.

Wofür jemand wie Wiggins steht, der bei der Skandal-Ausgabe der Tour 2006 sein Debüt in Frankreich gab und damals mit drei Stunden und 25 Minuten Rückstand auf den später überführten Floyd Landis Platz 124 belegte? Diese Geschichte würden sich die Veranstalter wohl gern erzählen lassen am Ende dieser Tour, die einige namhafte Absenzen aufweist und auch deshalb einen engen Wettbewerb wie lange nicht mehr verspricht.

Der Spanier Alberto Contador, der nach langem Rechtsstreit nun wegen seines Clenbuterol-Tests gesperrt wurde, wird ja erst nächstes Jahr zur sicherlich groß gefeierten 100. Tour wieder an Bord sein; ebenso der derzeit verletzte Luxemburger Andy Schleck, wenngleich dann kaum wieder im RadioShack-Team des diesmal wegen Doping-Vorwürfen abwesenden Managers Johan Bruyneel.

Wiggins gegen Evans lautet demnach das Duell, für das sich Puristen begeistern. Der Brite, in Belgien geboren, aber in der Olympia-Stadt London aufgewachsen und wohnhaft, erstaunt die Szene seit einigen Jahren schon mit dem gelungenen Umstieg von der Bahn auf die Straße. Mit Gewichtsreduzierung und dem für einen eigenwilligen, aber doch recht geselligen Briten spektakulären Verzicht auf Bier erklärte er schon 2009 seinen vierten Platz bei der Tour. "Ich hatte kein Bier mehr seit Januar", sagt Wiggins, der 2011 verletzt ausschied: "Die Kohlenhydrate des Biers sind halt nicht das, was ich brauche."

In dieser Saison gewann der schlaksige Kapitän des fürstlich alimentierten Sky-Teams Paris - Nizza, die Tour de Romandie und, wie im Vorjahr, die Dauphiné-Rundfahrt, die Miniaturausgabe der Tour. Evans belegte dort Platz drei, doch Wiggins war in den Anstiegen und auch im Zeitfahren, wo er selbst Weltmeister Tony Martin eine gute halbe Minute abnahm, ungefährdet. Auch der Parcours spricht nun für einen Rouleur wie Wiggins; die insgesamt 101,4 Zeitfahrkilometer dienen zudem ihm, Evans und auch den beiden Spezialisten Martin und Fabian Cancellara (Schweiz) als Gradmesser für den olympischen Wettbewerb in London. "Diese Perspektive gibt dir noch mehr Energie", fachsimpelt Evans auf seine spezielle Art.

Ansonsten zählen die überwiegend Affären-erprobten Veteranen Ivan Basso (Italien/34), Frank Schleck (Luxemburg/32), Andreas Klöden (Cottbus/37), Levi Leipheimer (USA/38), Denis Mentschow (Russland/34) oder auch Samuel Sanchez (Spanien/34) zum großen Kreis der Podiumskandidaten; ebenso der Niederländer Robert Gesink, 26, Belgiens Lokalheld Jurgen Van den Broeck, 29, und der in der Dauphiné schwache Basso-Kompagnon Vincenzo Nibali, 27. Er sei vielleicht "das schwarze Pferd dieses Rennens", hat Bruyneels einstiger Edelhelfer Leipheimer zu seinen Chancen gesagt, ein Geheimfavorit also.

Bradley Wiggins? Auch seine Vita weist womöglich dunkle Stellen auf, aber das ist jetzt erst mal kein Thema. Einen britischen Champion immerhin, den gab's noch nie. Ob sein Sieg eine gute Nachricht wäre, wird in den nächsten drei Wochen erzählt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: