Boxkampf gegen Gilberto Ramirez:Abraham mit der deutlichsten aller Niederlagen

Arthur Abraham vs Gilberto Ramirez in Las Vegas

Arthur Abraham verliert bei seinem Kampf gegen Gilberto Ramirez alle zwölf Runden - und zwar bei jedem der drei Punktrichter.

(Foto: AFP)

Arthur Abraham wollte sich in Las Vegas für weitere Kämpfe in den USA empfehlen. Er verliert jedoch mit dem schlimmsten Ergebnis, das einem die Punktrichter attestieren können. Der Kampf in der Rundenkritik.

Von Jürgen Schmieder, Las Vegas

"Ich habe noch zwei Jahre in mir, nach einem Sieg würde ich gerne in die USA zurückkehren und hier weitere Kämpfe bestreiten", sagte Abraham vor dem WM-Kampf gegen den Mexikaner Gilberto Ramirez in Las Vegas. Unter der Woche hatte Abraham sein Vorbild Mike Tyson getroffen: "Er sagte, dass er mich kennt und dass ich meinen Gegner umhauen soll. Wenn Mike Tyson das sagt, dann muss ich das tun - ein K.o. vor seinen Augen wäre der größte Sieg für mich." Nun, es wurde kein K.o., es wurde noch nicht einmal ein Sieg. Abraham verlor mit dem schlimmsten Ergebnis, das einem die Punktrichter attestieren können.

Vor dem Kampf

Abraham ist es gewohnt, bei Kampfabenden in Deutschland die Hauptattraktion zu sein, er füllt dort immerhin mittelgroße Hallen. Nun boxt er in der MGM Garden Arena in Las Vegas vor 12 000 Zuschauern - die Halle ist schon bei diesem Vorkampf ordentlich gefüllt. Es ist ein bedeutsamer Boxort: Mike Tyson hat hier Evander Holyfield ins Ohr gebissen. Tupac Shakur verfolgte hier vor 20 Jahren einen Tyson-Kampf und wurde danach erschossen. Oscar de la Hoya lieferte sich Ringschlachten gegen Floyd Mayweather und Manny Pacquiao.

Abraham ist an diesem Abend nur Nebendarsteller - wie der bereits zum deutschen Jahrhunderttalent ausgerufene Leon Bauer. Er gewinnt klar nach Punkten gegen den Russen Ilshat Khusnuslgatin. Die Hauptattraktion an diesem Abend ist der letzte Kampf in der Karriere von Manny Pacquiao. Der Filipino wird später ein spektakuläres und mitreißendes Duell gegen den Amerikaner Timothy Bradley verdient nach Punkten gewinnen.

Abraham ist zwar nur Nebendarsteller, Pacquiaos Promoter Bob Arum wollte das Duell gegen Ramirez jedoch unbedingt in den USA veranstalten. Also lockte er das Sauerland-Team (das den Kampf ersteigert hatte) nach Las Vegas. Es soll ein spannendes, ein spektakuläres Gefecht werden um den WBO-Titel im Supermittelgewicht, mit dem sich entweder Abraham für weitere lukrative Veranstaltungen in den Vereinigten Staaten empfiehlt oder Ramirez als neuer mexikanischer Star präsentiert wird.

Einmarsch und Gegenüberstellung der Boxer

Abraham ist der Favorit. Der Weltmeister, der schon spektakuläre Ringschlachten geliefert hat. Am Nachmittag marschiert er recht entspannt durch das Hotel. "Er ist nur nervös, wenn er schlecht trainiert hat", sagt sein Promoter Kalle Sauerland: "Diesmal hat er gut trainiert, also kann er sich auf den Kampf freuen." Gegner Ramirez gilt als eines der größten Boxtalente aus Mexiko, er ist zwölf Zentimeter größer als Abraham, verfügt über eine 14 Zentimeter größere Reichweite und boxt in der unangenehmen Rechtsauslage. Abraham scheint das nichts auszumachen, beim Blick in die Augen des Gegners wirkt er eher gelangweilt denn nervös.

Abraham muss früh Nehmerqualitäten zeigen

Arthur Abraham vs. Gilberto Ramirez in Las Vegas.

Während des Kapfes wirkt Arthur Abraham immer wieder gelangweilt und ratlos - und am Ende verzweifelt.

(Foto: AP)

Runde 1

Ramirez beginnt beweglich, er schlägt einige Kombinationen - arbeitet sich aber wirkungslos an der Doppeldeckung von Abraham ab. Der überlässt seinen Gegner die Initiative und versucht mit überraschenden Aktionen, den Unterschied in der Reichweite auszugleichen. Ramirez ist der aktivere Boxer, das mögen die Punktrichter in den USA. Abraham muss mehr tun und zeigen, dass er der Weltmeister ist. Einen Bonus aufgrund des Gürtels dürfte er nicht haben. Einen Bonus hat stattdessen der, der öfter schlägt.

Runde 2

Die Röte im Gesicht von Abrahams Trainer Elli Wegner ist gemeinhin ein präziser Indikator für dessen Aufgeregtheit. Nach Runde zwei: zartrosa. Noch. Ramirez schlägt weiterhin viel, bleibt dabei aber bis zum Ende der Runde ungefährlich. Dann trifft er seinen Gegner mit einem gewaltigen rechten Haken - Abraham wankt, fällt aber nicht. Er zeigt enorme Nehmerqualitäten, muss sich jedoch dringend steigern und endlich in diesen Kampf finden.

Runde 3

Wegner beruhigt Abraham in der Rundenpause nach dem Wirkungstreffer, der Boxer lächelt milde. War der harte Treffer der Weckruf, den Abraham bisweilen so dringend benötigt. Oder war er ein Anzeichen dafür, dass das an diesem Abend nichts wird? Möglich ist zu diesem Zeitpunkt beides. Abraham agiert weiterhin vorsichtig und zurückhaltend. Ramirez versucht es nun mit präzisen Körperhaken gegen die hohe Deckung seines Gegners. Es funktioniert.

Runde 4

Abraham wirkt ratlos, er wird immer wieder von Ramirez' rechten Körperhaken überrascht. Gegen Ende der Runde initiiert Abraham eine Straßenschlacht, eine wilde Prügelei, einen offenen Austausch von Schwingern. Das könnte eine Taktik sein, sich dem Gegner zu nähern, ist jedoch auch gefährlich. Solche Aktionen müssen Abraham öfter gelingen, er darf sich nicht minutenlang hinter der Doppeldeckung verstecken.

Runde 5

Einziger Höhepunkt dieser Runde: ein Tiefschlag des Mexikaners. Abraham beschwert sich, wirkt wütend - doch das ist eher Wut auf sich selbst als auf die unsaubere Aktion seines Gegners. In der Ringecke schüttelt Promoter Kalle Sauerland wütend den Kopf. Entspannt ist in der Ecke von Abraham nun niemand mehr. Wegners Gesichtsfarbe: kirschrot.

Runde 6

Es ist eine offene Runde, das dürfte Abraham gefallen. Er setzt seinen Gegner unter Druck und kontrolliert das Geschehen. Doch seine eigenen Aktionen bleiben letztlich zu wild, zu unpräzise und damit völlig ungefährlich.

Runde 7

Sollte Abraham darauf gehofft haben, dass sich sein Gegner an der Deckung abarbeitet und in der zweiten Hälfte des Kampfes müde wird: Danach sieht es derzeit nicht aus. Ramirez tänzelt, er zeigt einige schöne Kombinationen - aber auch wieder einen Tiefschlag, der recht absichtlich wirkt. Das alles scheint der Strategie zu folgen, Abraham aus dem Konzept zu bringen. Bislang funktioniert es. Am Ende ist es wieder Abraham, der auf wackeligen Beinen steht. Er war einen Moment lang unaufmerksam und kassiert einen kräftigen Konter. Die Gesichtsfarbe von Wegner: knallrot. Er redet auf seinen Schützling ein, dringend mehr zu tun und öfter zu schlagen als nur zwei Mal pro Runde aus der Deckung heraus.

Abraham wirkt gelangweilt und ratlos

Gilberto Ramirez nach seinem Sieg gegen Arthur Abraham in Las Vegas.

Für Gilberto Ramirez war es der 34. Sieg im 34. Profikampf. Er ist jetzt Weltmeister im Supermittelgewicht nach WBO-Version.

(Foto: AP)

Runde 8

Abraham landet einen schönen Jab - doch er setzt nicht nach. Warum nicht? Das wird er nach dem Kampf beantworten müssen. Wer in den USA ein Star werden möchte, der muss aktiv sein, der muss aggressiv sein, der muss spektakulär zuschlagen. All das macht Abraham nicht. Er wirkt gelangweilt und ratlos. Er wirkt wie einer, der nicht in diesem Ring stehen möchte.

Runde 9

Nun probiert es Abraham mit wilden Schwingern. Eine verzweifelte Taktik, die Ramirez durchschaut und auf Distanz bleibt. Man merkt, dass Ramirez seinen Gegner respektiert, er boxt vorsichtig und doch aggressiv. Er boxt, wie man gegen Abraham boxen muss. Abraham boxt, wie Abraham nicht boxen darf.

Runde 10

Kalle Sauerland brüllt auf Abraham ein. Ulli Wegner brüllt auf Abraham ein. Wahrscheinlich würde Arthur Abraham nun gerne auf Abraham einbrüllen. Doch all die Brüllerei hilft nichts, Ramirez boxt das nun extrem clever: Er hält seinen Gegner auf Distanz und gibt die Kontrolle nie ab.

Runde 11

Abraham wirkt nun verzweifelt - er weiß, dass ihm nun nur noch ein krachender Niederschlag retten kann. Doch wie soll er das bewerkstelligen? Ganz sicher nicht, indem er sich weiter hinter der Deckung versteckt. Die Gesichtsfarbe von Wegner ist mittlerweile wieder ein zartes Rosa. Das zeigt, dass der Trainer nicht mehr wütend ist oder aufgeregt. Er hat resigniert.

Runde 12

Nein, das wird so nichts mehr. Abraham weiß, dass er diesen Kampf verlieren wird. Er probiert es gegen Ende noch einmal mit zwei wilden Aktionen - doch Ramirez bleibt cool. Als der Gong ertönt, lächelt Abraham wie jemand, der selbst nicht fassen kann, wie schlecht er da geboxt hat.

Nach dem Kampf

Die drei Punktrichter werten alle zwölf Runden für Ramirez - und spiegeln mit ihrem Urteil den Kampfverlauf recht präzise wider. Abraham hat gekämpft wie damals beim Super-Six-Turnier, nach dem bereits über ein mögliches Karriereende spekuliert wurde. Wie es nun weitergeht mit ihm, ist derzeit nicht abzusehen. Er wird darüber nachdenken müssen, was da passiert ist. An diesem Abend. In dieser so bedeutsamen Boxhalle.

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