Boxer Jack Johnson:Der vergessene Gigant

'Jack Johnson'

Standbild aus dem Dokumentarfilm "Jack Johnson". Es zeigt Johnson bei seinem Weltmeisterschaftskampf 1908 gegen Tommy Burns.

(Foto: Foto: Cinema Archive/Getty)
  • US-Präsident Donald Trump will den ersten schwarzen Schwergewichtsweltmeister im Boxen, Jack Johnson, posthum begnadigen.
  • Johnson, Weltmeister von 1908 bis 1915, wurde innerhalb kurzer Zeit zur Symbolfigur der Rassenkonflikte in den USA.
  • Er wurde verfolgt, weil er sich den Regeln, die für Schwarze im Amerika jener Ära galten, nicht fügen wollte.

Von David Pfeifer

Die Begnadigung eines Toten? Das hört sich selbst für Donald Trumps Verhältnisse seltsam an. Doch vor ein paar Tagen setzte der US-Präsident einen selten nachdenklichen Tweet ab: "Sylvester Stallone hat mich angerufen und mir die Geschichte des Schwergewichtschampions Jack Johnson erzählt", schrieb Trump, "sein Leben war komplex und umstritten (...) und ja, ich erwäge eine volle Begnadigung."

Für alle Nicht-Afroamerikaner: Jack Johnson war der erste schwarze Schwergewichtsweltmeister der Boxhistorie, lange bevor Muhammad Ali oder Joe Louis diesen Titel erringen konnten und zu Heldengestalten wurden. Joe Louis ist heute noch weltbekannt, nicht zuletzt weil er gegen Max Schmeling gewann, als dieser 1938 als Repräsentant der Nazis in die USA reiste. Muhammad Ali legte seinen Sklavennamen Cassius Clay ab, wurde ein Superstar und machte Boxen zu einem Teil der modernen Popkultur. Jack Johnson geriet international in Vergessenheit, obwohl der "Galveston Giant" wie ein guter Riese im Märchen aus der Geschichte der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung über Ali und Louis herausragt.

Dass Donald Trump sich für Johnson starkmacht, hat vermutlich viele Gründe. Zunächst kann Trump sich mit der Nähe zu Sylvester Stallone schmücken. Darüber hinaus kann Trump es so aussehen lassen, als habe ausgerechnet der erste afroamerikanische US-Präsident, Barack Obama, kein Interesse am Schicksal des ersten afroamerikanischen Boxweltmeisters gezeigt. Denn bereits 2016 hatten die Senatoren John McCain und Harry Reid eine Petition in die Obama-Administration eingebracht, die unbearbeitet blieb.

Johnson bewegte sich für einen Mann ungewöhnlich geschmeidig

Es war nicht das erste Mal, dass ein Antrag zur Rehabilitierung Johnsons beide Kammern des Kongresses passierte. Auch 2004, 2009 und 2011 wurden Anläufe unternommen, George W. Bush und Bill Clinton unterzeichneten ebenfalls nicht. Dazu muss man wissen, dass ein "Full Pardon" des US-Präsidenten selten gewährt wird, zumal posthum. Das US-Justizministerium kommentierte gegenüber der New York Times den Johnson-Fall entsprechend: "Es ist besser, die Begnadigung für Menschen zu nutzen, die noch am Leben sind." Jack Johnson starb 1946 bei einem Autounfall.

Geboren wurde er 1878 als Sohn ehemaliger Sklaven in Galveston in Texas. Johnson setzte sich zunächst bei Kämpfen durch, die mit dem heutigen Boxen nicht mehr viel zu tun haben. Prügeleien in Bars, bei denen zwei Gegnern die Augen verbunden wurden, damit diese vor einem weißen Publikum blind aufeinander eindroschen. 1900 siegte Johnson in einem regulären Kampf gegen den selbsternannten "Black Heavyweight Champion" John "Klondike" W. Haynes, der den Kampfnamen "Black Hercules" trug.

Johnson bewegte sich für einen Mann seiner Gewichtsklasse ungewöhnlich geschmeidig, ähnlich wie es später Muhammad Ali tun sollte. "Ich habe viele Fehler außerhalb des Rings gemacht", sagte Johnson nach seiner Karriere, "aber nie welche im Ring." Er war clever, selbstbewusst und trainierte wie besessen. Und im Gegensatz zu Ali konnte er obendrein sehr hart zuschlagen. Da Boxer damals mehr verdienten, desto länger ein Kampf dauerte, machte Johnson es sich zur Angewohnheit, seine Gegner über die Runden kommen zu lassen. Er ließ sie und das Publikum eine Weile in dem Glauben, sie hätten eine Chance, nur um dann in den späteren Runden unbarmherzig und überlegen zu siegen. Manchmal ließ er einen weißen Gegner auch eine Weile stehen, um das vorwiegend weiße Publikum nicht gegen sich aufzubringen.

Manchmal ließ Johnson seine Gegner länger stehen, um mehr Preisgeld einzustreichen

Weltmeister wurde er am 26. Dezember 1908 in Sydney, Australien. Er war seinem Vorgänger, Tommy Burns, auf einer Europa-Tournee nachgereist und hatte ihn immer wieder provoziert, um einen Titelkampf zu erzwingen. Burns, ein Kanadier, wollte nicht gegen Johnson kämpfen, und zumindest in den USA erwartete das auch niemand von ihm, weil Johnson nun mal ein Schwarzer war. Auch Jack Dempsey, bis heute ein amerikanischer Volksheld, ging den besten schwarzen Schwergewichtlern seiner Zeit aus dem Weg. Dies wurde den Champions nicht als feige ausgelegt, sondern mit der sogenannten "color line" begründet, die besagte, dass man nicht gegen Schwarze zu boxen hatte.

Als Jack Johnson schließlich gegen Burns kämpfen durfte, hatte das den im Boxgeschäft üblichen Grund: Geld. Burns war ein unpopulärer Champion, seine Gagen waren entsprechend niedrig. Johnson begnügte sich mit nur 5000 Dollar Kampfbörse, während Burns die Garantiesumme von 30 000 Dollar bekam. Johnson stimmte sogar zu, dass Burns' Manager als Ringrichter fungieren durfte. Trotzdem schlug er seinen Vorgänger überlegen und hatte sogar noch die Puste, ihn zu verspotten. Viele Boxexperten wählen Jack Johnson heute noch in die Top Ten der besten Schwergewichtler. Das US-Magazin The Ring, das den Untertitel Bible of Boxing trägt, führt Johnson auf Platz drei der ewigen Bestenliste, nach Muhammad Ali und Joe Louis - und vor Rocky Marciano, dem bestplatzierten Schwergewichtschampion, der kein Afroamerikaner war.

Er landete vor Gericht - weil er sich den diskriminierenden Gesetzen nicht beugte

Dass ein Schwarzer Weltmeister war, fiel in den USA zunächst nicht besonders auf. Der Kampf hatte schließlich in Australien stattgefunden, am anderen Ende der Welt, in einer Ära ohne Radio, Fernsehen oder Internet. Doch als Johnson zurückkehrte, zeigte er sein Talent als Showman und Provokateur. Er behielt es als Angewohnheit bei, sich im Ring über seine weißen Gegner zu amüsieren, wenn diese schon aus Mund und Nase bluteten. Er zeigte sich mit sehr jungen und, was schlimmer war: weißen Frauen. Er führte immer neue Autos und schicke Anzüge vor. Er legte die Attitüde eines Rappers an den Tag, lange bevor es Rap gab. Als er wegen einer Geschwindigkeitsübertretung mit 50 Dollar verwarnt wurde, drückte er dem Polizisten 100 Dollar in die Hand - "ich werde auf dem Rückweg wieder so schnell fahren". Bevor Johnson ein Pressetraining absolvierte, stopfte er sich Mullbinden in die Hose. Johnson bediente alle weißen Vorurteile vom schwarzen Mann und wurde innerhalb kurzer Zeit zur Symbolfigur der Rassenkonflikte in den USA.

Nachdem Johnson alle aktiven Gegner souverän besiegt hatte, überredete der Schriftsteller Jack London den ehemaligen Weltmeister Jim Jeffries, aus der Rente zu kommen, "um das Lächeln von Johnsons Gesicht zu wischen" und die Ehre der Weißen zu verteidigen. Jeffries selber war kein Rassist, wurde aber zur ersten "Great White Hope" (angeblich auch eine Bezeichnung Londons). Johnson zerstörte diese "große weiße Hoffnung" am 4. Juli 1910 in Reno/Nevada, in 15 Runden. Er tänzelte um seinen Herausforderer herum, schlug Jeffries die Fäuste nach Belieben ins Gesicht, bevor dessen Ecke das Handtuch warf. Es kam überall in den USA zu Rassenunruhen, als das Ergebnis des Kampfes bekannt wurde. In Georgia wurden drei Schwarze, die Johnsons Sieg feierten, von Weißen erschossen. In Texas wurde einem laut jubelnden Fan die Kehle aufgeschlitzt. In New York wurde ein schwarzer Fan Johnsons totgeschlagen. Insgesamt kamen in jener Nacht mindestens 80 Schwarze um.

Es dauerte 20 Jahre, bis zum nächsten schwarzen Schwergewichtsweltmeister

Johnson wurde verfolgt, weil er sich den Regeln, die für Schwarze im Amerika jener Ära galten, nicht fügen wollte. Er landete vor Gericht wegen Verletzung des sogenannten "Mann Act": Eine Anklage, weil er "eine weiße Person über eine Staatengrenze hinweg befördert" hatte. Diese "weiße Person" war seine Lebensgefährtin. Johnson saß ein Jahr im Gefängnis, floh aus den USA, kämpfte überall auf der Welt, von Paris bis Buenos Aires, und verlor seinen Titel, fast sieben Jahre nachdem er ihn gewonnen hatte, am 5. April 1915 in Havanna.

Später behauptete Johnson, dies sei ein abgesprochener Kampf gewesen. Man habe ihm im Tausch für den Titel angeboten, mit milder Bestrafung in Amerika rechnen zu können, und Johnson wollte wieder nach Hause. Ein Indiz dafür, dass er die Wahrheit sagte: Als er in Havanna ausgezählt wurde, lag er zwar auf dem Rücken, hielt aber die Arme vor sein Gesicht, um sich vor der Sonne zu schützen - ein ungewöhnliches Verhalten für einen vermeintlich bewusstlosen Mann. Nachdem Johnson seinen Titel verloren hatte, war in den USA klar, dass nie wieder ein schwarzer Boxer Schwergewichtsweltmeister werden sollte. Es dauerte über 20 Jahre, ehe Joe Louis diese Chance doch bekam. Louis' Manager hatten ihrem Schützling verboten, sich in der Öffentlichkeit mit weißen Frauen zu zeigen, Alkohol zu trinken oder in Nachtklubs zu gehen, was er gerne tat. Der Schatten von Jack Johnson verfolgte ihn.

Bis heute bleibt Johnson eine mythische Figur, 1967 zu einem Bühnenstück mit dem Titel "The Great White Hope" verdichtet, das 1970 verfilmt wurde. Ebenfalls 1970 entstand eine Dokumentation, zu der Miles Davis den Soundtrack komponierte, der später als Album unter dem Namen "A Tribute to Jack Johnson" erschien. 2004 kam ein historischer Film des US-Dokumentar-Regisseurs Ken Burns dazu, Titel: "Unforgivable Blackness" (in Deutschland: "Er wollte kein Sklave sein").

Trump befindet sich immer noch oder schon wieder im Wahlkampf

So blieb Johnson über seinen Tod hinaus der Leidensmann des institutionellen Rassismus in den USA. "Ich hoffe, Präsident Trump ergreift die Gelegenheit, diese historische Ungerechtigkeit wiedergutzumachen und das Vermächtnis eines großen Athleten wiederherzustellen", erklärte Senator John McCain diese Woche.

Donald Trump hat nun noch eine ganz andere Motivation, als Stallone einen Gefallen zu tun oder Obama eins auszuwischen: Seit gut einem Jahr befindet Trump sich im Dauerclinch mit den populärsten Athleten der USA. Zuerst bepöbelte der Präsident den Football-Quarterback der San Francisco 49ers, Colin Kaepernick, als dieser sich aus Protest gegen Polizeigewalt während der Nationalhymne auf ein Knie stützte. Danach eskalierte die Auseinandersetzung, weil der Basketballspieler Steph Curry eine Einladung ins Weiße Haus ablehnte, woraufhin Trump verkündete, Curry sei nicht eingeladen. Damit zog er sich den Spott eines weiteren Basketballstars, LeBron James, zu, der Trump als "Bum", als Idioten bezeichnete, der niemanden nicht einladen könne, der schon selber gesagt habe, dass er nicht kommen wolle.

Bald sind Kongresswahlen in den USA, Trump befindet sich also wieder oder immer noch im Wahlkampf. In der Football-Liga NFL sind knapp 70 Prozent der Athleten Afroamerikaner, beim Basketball in der NBA mehr als 74 Prozent. Es sind also vermutlich die afroamerikanischen Athleten und deren Fans, die Donald Trump erreichen will, wenn er nun eine in Vergessenheit geratene Ungerechtigkeit der US-Geschichte wieder ins Gespräch bringt.

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