Boxen:Wladimir Klitschko: Rückkampf oder Rücktritt

  • Wladimir Klitschko schwankt nach der Niederlage gegen Anthony Joshua zwischen Enttäuschung über das K.o. und Stolz auf seine Leistung.
  • Wenn er noch einmal kämpft, dann nur gegen Joshua
  • Dem Briten droht das gleiche Problem, das Klitschko einst hatte.

Von Saskia Aleythe, London

Ein Teil von Wladimir Klitschko stand noch im Wembley-Stadion, der andere war schon auf dem Heimweg. Ein Teil von Wladimir Klitschko ist sein Bruder Vitali, der ihn im Sport noch immer begleitet, in der Ringecke Kommandos brüllt und später Interviews gibt. Als Wladimir im November 2015 von Tyson Fury besiegt wurde und noch nicht wusste, ob es weitergehen soll mit ihm und dem Boxen, übernahm Vitali das Mikrofon und sagte entschlossen: "Er wird stärker zurückkommen." Als Wladimir am Samstagabend von Anthony Joshua besiegt wurde, sagte Vitali den letzten Satz der Klitschkos an diesem Abend: "Ich werde ihn bei jeder Entscheidung, die er jetzt fällt, unterstützen."

Wladimir Klitschko ist stärker zurückgekommen, in seinem 69. Kampf als Profi, er erfüllte die Prognose seines Bruders. Doch der Plan, zum 65. Mal zu gewinnen, zum dritten Mal Weltmeister zu werden, wie es zuvor nur fünf Schwergewichtsboxer geschafft hatten, darunter Vitali, ging nicht auf. Klitschko fiel zu Boden. Einmal. Dann fiel sein junger Gegner Anthony Joshua zu Boden. Einmal. Dann verschnauften sie, dann fiel Klitschko wieder zu Boden. Das zweite Mal, das dritte Mal. Als der Ringrichter den Kampf in der elften Runde abbrach, war Joshua Titelträger der WBA, IBF und IBO - und Klitschko hatte eine neue Erfahrung seiner Karriere gemacht: die zweite Niederlage nacheinander.

Als er um 1.57 Uhr Ortszeit zur Pressekonferenz erschien, das Gesicht bemerkenswert wenig gezeichnet von den Schlägen, war er enttäuscht, klar. "Es ist bitter, weil ich gehofft habe, einen großen Sieg zu feiern", sagte er. Aber, auch das sagte Klitschko: "Manchmal lernt man von Rückschlägen mehr als vom Erfolg. Obwohl ich den zweiten Kampf in Folge verloren habe, habe ich heute Abend auch viel gewonnen."

Und es lag Stolz in seinen Worten, die Art seiner Niederlage schien ihn fast zu beflügeln: "Für meine Karriere war das erfrischend, eine gute Nacht."

Die Frage nach seinem Karriereende steht seit Jahren im Raum, weil Klitschko nun 41 Jahre alt ist und nicht mehr 27 wie sein Widersacher aus Londons Norden. Am nächsten erschien ein Rücktritt nach seiner Niederlage gegen Tyson Fury, hilf- und konzeptlos hatte er da gewirkt. "Doch nun habe ich der Herausforderung das Gesicht gezeigt und nicht den Rücken", sagte Klitschko, "das war definitiv ein Upgrade, was die Fangemeinde betrifft." Wembley, kaum ein Ort ist mehr geprägt von Sportgeschichte und Fangesängen, und Joshua und Klitschko, sie sind nun ein Teil davon geworden, mit einem bemerkenswerten Kampf. Beim Einmarsch buhten die 90 000 Zuschauer Klitschko noch aus. Am Ende applaudierten sie auch ihm.

Es gibt ein Bild von diesem Kampf, das sich in das Gedächtnis der Boxszene einbrennen wird: Klitschko, dem der Kopf in den Nacken fliegt, nachdem ihn Joshua mit seinem wuchtigen rechten Haken malträtiert hat. Der Anfang vom Ende in der elften Runde. Doch es zeigt auch einen Klitschko, der einstecken kann: Wo andere in sich zusammengesackt auf den Boden gekracht wären, hielt sich der Ukrainer sogar noch ein paar Sekunden auf den Beinen. Der Ruf, ein Glaskinn zu besitzen, verfolgte ihn seit der Niederlage gegen Lamon Brewster 2004, er hatte schon mehrmals danach das Gegenteil bewiesen. Nun umso mehr.

"Er hat seinen Sport über ein Jahrzehnt lang dominiert, er ist ein absolutes Vorbild", würdigte Joshua ihn noch im Ring. 2014 hatte Klitschko ihn in sein Trainingslager geholt, damals prophezeite er ihm, die Zukunft des Boxens zu sein. Seit Samstag weiß man: Das ist sehr wahrscheinlich. Anthony Joshua, 19 Kämpfe, 19 Siege, 19 Mal per K.o., warf sich mit viel Mut und Energie in den Ring, das unterschied ihn vom Otto-Normal-Klitschko-Gegner und war ein Zeichen seiner Klasse. Und er fand die richtige Strategie, um Klitschkos Linke abzublocken.

Ein Punktrichter sah Klitschko vorne

In der fünften Runde tat Joshua, was ihn in Großbritannien bereits berühmt gemacht hatte: Mit einer harten Linken und einer Serie von Schlägen malträtierte er Klitschko, bis der vornüber auf den Boden kippte. Der Ukrainer berappelte sich und brachte in der folgenden Runde Joshua zu Fall. "Ich hätte nicht gedacht, dass er nochmal aufsteht", gestand Klitschko, "aus der Vergangenheit weiß ich: Wenn ich treffe, dann heißt es meist Gute Nacht." 54 seiner Siege hat er durch K.o. gefeiert.

"Vielleicht hätte ich danach mehr machen können", sagte Klitschko, sein Manager Bönte meinte: "Zwei Schläge noch und der Kampf wäre zu Ende gewesen." Doch es blockierte ihn ausgerechnet das, was ihn früher stark machte: sein Sicherheitsstreben. Lieber einen Schlag mehr verteidigen als in einen Konter laufen, das hat ihn vor der Niederlage gegen Fury elf Jahre lang unbesiegt sein lassen. "Ich war sicher, dass das meine Nacht wird und dachte, ich könnte mir noch Zeit nehmen", sagte Klitschko.

Ein fataler Irrtum. Denn Joshua war auf dieses Szenario vorbereitet. "Ich war definitiv erschöpft, aber ich wusste, ich kann ihn schlagen", sagte Joshua, "das war Teil des Matchplans: erholen und ihn besiegen". Was er in der elften Runde mit einer Wucht tat, die kommende Gegner warnen darf. Zwei der drei Punktrichter sahen Joshua beim Abbruch vorne. Welche Schlüsse Klitschko daraus für seine Zukunft zieht? "Ich werde heute keine endgültige Entscheidung treffen", sagte er, "ich fühle mich sicher und gut, weil ich die Klausel für einen Rückkampf habe." Wenn er wieder kämpfen sollte, dann nur gegen Joshua.

"Wenn ich mich nicht verbessere nach diesem Kampf, wäre ich ein dummer Mann", sagte hingegen der junge Weltmeister, den nun das gleiche Problem umtreibt wie Klitschko einst: ebenbürtige Gegner zu finden. Der Auftritt in Wembley war für beide vielleicht der beste ihrer Karrieren. Klitschkos Vorteil: Er könnte damit abtreten.

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