Boxen:Luftblasen an der Elbe

Muhammad Ali hatte Frazier und Foreman, Lennox Lewis hatte Tyson und Holyfield - nur Wladimir Klitschko leidet unter dem Mangel an großen Gegnern, die seine eigene Größe spiegeln könnten.

Bertram Job

Wladimir Klitschko ist ziemlich austrainiert in der hohen Kunst, an seiner jeweiligen Wirkungsstätte Komplimente auszugeben. Hier in Hamburg zum Beispiel, wo er am Samstagabend zu seinem 54.Ringduell antritt, hat der 32-jährige Weltmeister im Schwergewicht vor fast zwölf Jahren seine bewegte Laufbahn als Profiboxer begonnen. Hier wurde er zusammen mit Bruder Vitali zunächst bewundert und dann regelrecht adaptiert. Schon die Erinnerung daran wird ihm vor der Pflichtverteidigung seiner zwei Titel (IBF und WBO) gegen den US-Amerikaner Tony Thompson nach seiner Überzeugung einen Vorteil verschaffen. Es gibt schließlich auch für diese Situation ein russisches Sprichwort, das Klitschko Anfang der Woche nicht länger für sich behalten mochte: "Zu Hause helfen auch die Wände."

Boxen: König ohne Land? Wladimir Klitschko übt für den Kampf gegen Tony Thompson am Samstag in Hamburg.

König ohne Land? Wladimir Klitschko übt für den Kampf gegen Tony Thompson am Samstag in Hamburg.

(Foto: Foto: AP)

Gerangel um die lukrativsten Aufgaben

Die ostentative Verbeugung vor der Hansestadt war ebenso artig wie leicht geflunkert: Ginge es nach dem ukrainischen Titelverteidiger, würde er statt in Hamburg nun in Monaco ins Seilgeviert steigen. In seinem Kopf steckt der kühne Plan für eine weltumspannende Tournee, die ihn vom Mittelmeer über die Emirate bis nach Südostasien tragen könnte. Sie wäre die Blaupause des globalen Triumphs, den Klitschkos Leitbild Muhammad Ali einst mit Auftritten zwischen Caracas, Manila und Djakarta erlangte. Die avisierte Arena im Fürstentum war jedoch nicht verfügbar, so dass der Zirkus Klitschko seine Zelte stattdessen zum ersten Mal seit acht Jahren wieder an der Elbe aufschlägt. Eine vollbesetzte Arena dort ist nie zu verachten, auch wenn sie die Visionen des Weltmeisters nicht im gleichen Maße befördern kann.

Eigentlich nämlich möchte Wladimir Klitschko alias Dr.Steelhammer endlich Geschichte schreiben. Die große Ahnenlinie seines Limits, die von John L.Sullivan bis Lennox Lewis reicht, soll durch ihn eine zweifelsfreie Fortsetzung erfahren. Zu diesem Zweck will der Hüne aus der Ukraine den Titelträgern konkurrierender Verbände die funkelnden WM-Gürtel wie ungültige Fahrkarten abnehmen - ein unbarmherziger Kontrolleur des Weltgewissens im Sport. Zwei hat er bereits, nachdem er im Februar im New Yorker Madison Square Garden den mutlosen WBO-König Sultan Ibragimow ohne größeres Risiko auspunkten konnte. So oder ähnlich könnte es munter weitergehen, würden zwischendurch nicht die Termine mit weithin unbesungenen Pflichtherausforderern anstehen.

Wer spricht etwa noch von dem vollmundigen Ray Austin, den Klitschko Anfang 2007 in Mannheim in zwei Runden zerstörte? Und wer von Calvin Brock, dem sogenannten Boxing Banker, der beim Duell im November 2006 mitten in Runde sieben Insolvenz anmeldete? Wie Luftblasen drängten diese überforderten Anwärter kurzfristig an die Oberfläche der Aufmerksamkeit, um gleich danach in der Versenkung zu verschwinden. Und natürlich begleitet auch Tony Thompson der Verdacht, dass er sich am Samstag bloß auf den Erhalt des größten Schecks in seiner Karriere fokussieren wird - unumstößlicher Sieger beim Gerangel um die lukrativsten Aufgaben in dem undurchsichtigen Business.

Große Gegner fehlen

Er wolle diesen Showdown am Samstag dominieren und "aggressiv sein", kündigte Thompson (31 Siege, eine Niederlage) selbstbewusst an. Wenn der 36-jährige Rechtsausleger aus Washington D.C. die Zukunft im Schwergewicht darstellen will, muss er sich jedoch beeilen - bisher hat er sich in Amerika kaum für prestigeträchtige Kämpfe aufgedrängt. In Hamburg dagegen beeindruckte er vor Jahresfrist durch seine Abbruchsieg über einen indisponierten Luan Krasniqi. Nur durch druckvolle Kampfführung kann Klitschko nach Ansicht seines Trainers Emanuel Steward verhindern, dass der unorthodoxe Gegner im Ring sein eigenes Drehbuch etabliert.

Das Umfeld aus Betreuern und Journalisten musste dem Titelverteidiger in dieser Woche soufflieren, dass Thompson schon mal Sparringspartner in seinem Trainingscamp war - vor fünf Jahren genau, als dieser sich auf die (desaströs verlaufene) Titelverteidigung gegen den Südafrikaner Corrie Sanders vorbereitete. Abrufbare Eindrücke hatten diese Runden bei ihm offenbar nicht hinterlassen: Er habe über die Jahre einfach zu viele von dieser Sorte erlebt, gab der ukrainische Champion zum Besten. Man hat schon geschicktere Preisungen des Widersachers im Profibox-Geschäft erlebt.

Wladimir Klitschko hat also gute Chancen, ein König ohne Land bleiben. Ihm fehlen die großen Gegner, die seine eigene Größe im wichtigsten Limit dieses Sports spiegeln könnten. Muhammad Ali hatte Frazier und Foreman, Lennox Lewis hatte Tyson und Holyfield - aber Klitschko hat vorerst nur diesen Thompson. Die akute Krise des Schwergewichts in den USA hat seine hehren Ziele bislang nicht befördert. Einzig der 27-jährige Chris Arreola, in Los Angeles trainierter Hispanic mit beträchtlicher Dynamik, könnte in absehbarer Zeit die Leerstelle der Great American Hope besetzen. Darum folgt der Tross des maßgebenden US-Senders HBO dem ukrainischen Zirkus an diesem Wochenende eher pflichtgemäß: Es gibt in Hamburg nicht eben viel zu gewinnen.

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