Boxen:Die Kraft der Fliege

Sopa of Germany reacts after winning their 64kg men's Light Welter weight boxing quarterfinals fight against Walsh of Irelandat the 1st European Games in Baku

Lohn für ein verdoppeltes Trainingspensum: Halbweltergewichtler Kastriot Sopa bejubelt in Baku seinen Halbfinaleinzug.

(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Nach vielen erfolglosen Jahren haben die deutschen Amateurboxer bei den Europaspielen in Baku zu früherer Stärke zurückgefunden. Der Grund ist recht simpel: Sie trainieren inzwischen häufiger.

Von Benedikt Warmbrunn, Baku/München

Der Mann, der für eine neue Stärke steht, wird leicht übersehen. Er ist Brillenträger, 1,70 Meter groß, 52 Kilogramm schwer, Spitzname: die Fliege. Und dennoch ist Hamza Touba ein starker Mann, trotz der Brille, trotz der Größe, trotz des Gewichts. Denn Hamza Touba ist Boxer.

Bei den Europaspielen in Baku überrascht in diesen Tagen eine ganze Reihe von leichten, starken Athleten. Die Wettkämpfe in Aserbaidschans Hauptstadt haben manchmal einen zweifelhaften Wert, die deutschen Amateurboxer jedoch haben sie genutzt, um auf sich aufmerksam zu machen. Und zwar wieder positiv.

Lange gehörten die deutschen Amateurboxer zu den erfolgreichsten Athleten bei Olympischen Sommerspielen. 1988 in Seoul zum Beispiel gewannen sie vier Medaillen, drei von Kämpfern aus der DDR, darunter eine goldene für einen jungen Mittelgewichtler namens Henry Maske. Dann kam die Wende, und viele Talente suchten Ruhm und Geld bei den Profis, vor allem jene aus Ostdeutschland. Das Amateurboxen dagegen schlitterte zunehmend in die Bedeutungslosigkeit. Bei den Sommerspielen 2008 in Peking und 2012 in London scheiterten alle deutschen Boxer vorzeitig. Viel schlimmer: Es fiel kaum noch jemandem auf.

Nun aber, bei den Europaspielen 2015, sagt Michael Müller, der Sportdirektor des Deutschen Boxsport-Verbandes (DBV): "Das letzte Mal, dass wir in einer solchen Breite erfolgreich waren, war wahrscheinlich vor der Wende."

Sieben deutsche Boxer und vier deutsche Boxerinnen erreichten in Baku das Viertelfinale, fünf das Halbfinale. An diesem Freitag kämpft als Letzte von ihnen die Leichtgewichtlerin Tasheena Bugar um den Finaleinzug. Die anderen vier scheiterten daran, sie haben jedoch als Halbfinalteilnehmer automatisch eine Bronzemedaille gewonnen. Und dass dies ein großer Erfolg ist, das zeigt der Weg des Mannes, den sie Fliege nennen.

Hamza Touba, 23 Jahre alt, Fliegengewicht, verpasste die Qualifikation zu den Spielen in London, wenn auch knapp. Er hatte sich damals seit zwei Jahren an den veränderten Vorgaben des Verbandes orientiert - das war zu wenig, um den Rückstand aufzuholen. Bis 2010 trainierten Touba und die anderen deutschen Amateurboxer zehn, höchstens zwölf Stunden in der Woche. Erst Müller, der zuvor Sportdirektor der deutschen Ruderer war, machte darauf aufmerksam, "dass wir eigentlich nicht weiter antreten müssen, wenn wir nicht wie alle anderen in der Weltspitze 20 Stunden pro Woche trainieren". Es gab innerhalb der DBV-Spitze heftige Diskussionen, manche Stützpunkttrainer empfanden Müllers Hinweis als Kritik an ihren jahrelang gepflegten Methoden. Präsident Jürgen Kyas aber unterstützte Müller. Seitdem lautet die strenge Vorgabe: 20 Stunden Training, keine Minute weniger.

Zum neuen Trainerteam gehört Michael Timm, der Felix Sturm zum Weltmeister geformt hatte

Das Grundlagentraining wurde verdoppelt, auf bis zu zehn Stunden. Um das erhöhte Pensum mit angemessenem Inhalt zu füllen, wurde das Trainerteam verstärkt, zum Beispiel durch Michael Timm, der beim Hamburger Profiboxteam Universum unter anderem Felix Sturm zum Weltmeister geformt hatte. Mit diesem Team hat Müller ausgewertet, welchen Stil die Punktrichter belohnen, Ergebnis der Analyse: Ein deutscher Boxer soll sich nicht länger hinter seiner Doppeldeckung verstecken und hoffen, mit wenigen Treffern zu gewinnen. Er soll den Kampf bestimmen, mit vielen Schlägen, immerzu im Vorwärtsgang. Zu erkennen war der Wandel in Baku eben an Toubas Auftritten: Das Fliegengewicht hatte nie konditionelle Probleme, er boxte technisch sauber, mit vielen Attacken; die Härte seiner Schläge kommt aus der Explosivität. Am Donnerstag unterlag er im Halbfinale Elvin Mamishzada aus Aserbaidschan umstritten. Zu dem Ergebnis wolle er nichts sagen, sagte Müller, um dann zu sagen: "Auf neutralem Grund wäre dieser Kampf anders ausgegangen."

Sollte Mamishzada - oder der Italiener Vincenzo Mangiacapre, der im Halbfinale den Halbweltergewichtler Kastriot Sopa besiegte - in Baku den Titel gewinnen, wären Touba und Sopa als dann Drittplatzierte sicher für die WM im Oktober in Katar qualifiziert. Dort werden die ersten Startplätze für Olympia 2016 in Rio vergeben. Der Anspruch an den Ausgang dort ist hoch: Sollten die deutschen Boxer keine Medaille gewinnen, werden ihnen die Fördergelder gekürzt. Doch der Weg des DBV wird vom Bundesinnenministerium, dem Hauptgeldgeber, wohlwollend beobachtet: In diesem Jahr wurden die Fördergelder um zehn Prozent erhöht. "Wir sind auf einem vernünftigen Weg", sagt Müller.

Er weiß aber auch, dass es höchste Zeit dafür wurde.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: