Boxen:Charr tritt Schmelings Erbe an

Der 33-Jährige ist der erste deutsche Boxer seit 1932, der Schwergewichts-Weltmeister wird. Und das mit einer unfassbaren Geschichte: Bauchschuss, zwei künstliche Hüftgelenke und ein Cut, von dem niemand wusste.

Vor einem halben Jahr konnte Manuel Charr kaum laufen, jetzt wandelt er in den Fußspuren des großen Max Schmeling. Trotz einer künstlichen Hüfte hat der "Diamond Boy" aus Köln den WM-Titel im Schwergewicht gewonnen. In Oberhausen setzte sich der 33-Jährige einstimmig nach Punkten gegen den favorisierten Russen Alexander Ustinow (40) durch und erhielt damit den vakanten Gürtel des bedeutenden Weltboxverbandes WBA.

Einziger deutscher Box-Weltmeister in der Königsklasse war bis dato Schmeling von 1930 bis 1932. "Was soll ich sagen: Deutschland, wir sind Weltmeister!", rief Charr ins Sky-Mikrofon: "2006 war das Sommermärchen. Jetzt haben wir ein Wintermärchen. Diesen Titel widme ich Deutschland, das mir eine Chance gegeben und mich aufgebaut hat. Das ist mein Geschenk für Euch alle!"Charr feierte mit seinem 31. Sieg den bisher größten Triumph seiner Profikarriere. Die zurückliegenden Erfolge seiner insgesamt 35 Kämpfe (17 durch K.o.) hatte der Kölner meist gegen zweitklassige Gegner errungen, ohne dabei nennenswerte Titel geholt zu haben. 2012 hatte er in Moskau den WM-Kampf gegen Witali Klitschko verloren.

Möglich wurde der Kampf gegen Ustinow nur, weil Charr von den Sperren der im WBA-Weltranking höher gelisteten Dopingsünder Luis Ortiz (1) und Shannon Briggs (4) profitiert hatte, deren jeweilige WM-Kämpfe platzten. Charr nutzte seine Chance konsequent, anders als die früheren Titelkandidaten Axel Schulz, Luan Krasniqi und Willi Fischer.

In den ersten sechs Runden diktierte der 2,02 Meter Hüne Ustinow das Geschehen. Mit 22,5 Kilogramm brachte der Routinier deutlich mehr Gewicht auf die Waage als sein Gegner. Doch während Ustinow nach der Mitte des Kampfes abbaute, steigerte sich Charr. In der achten Runde schlug er Ustinow mit der Linken zu Boden, verpasste anschließend jedoch die vorzeitige Entscheidung.Trotz der verpassten Chance blieb Charr diszipliniert und durfte schon vor dem offiziellen Urteil jubeln. Für ihn war es "das Comeback des Jahres". Im September 2015 war er in einer Imbissbude in Essen angeschossen worden, im Mai dieses Jahres bekam er zwei neue Hüftgelenke eingesetzt, bereits ein halbes Jahr später kehrte er nun erfolgreich wie nie zuvor in den Ring zurück.

"Zwei Jahre lang habe ich alles erlebt, was man erleben kann. Vom Bauschuss bis zu meinen zwei neuen Hüften. Aber ich habe mich durchgebissen", sagte Charr: "Die Ärzte haben mir gesagt: Das ist ein medizinisches Wunder."

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