Box-WM im Schwergewicht:Der Boxer mit den künstlichen Hüften

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Sein Leben lang ein Kämpfer: Nun darf Manuel Charr sogar um die WM im Schwergewicht boxen. (Foto: Marianne Müller/Imago)
  • Manuel Charr boxt um den WBA-Titel im Schwergewicht, der letzte Deutsche Weltmeister in dieser Klasse war Max Schmeling.
  • Charr bringt besondere Geschichten mit sich, auch eine der Gewalt.
  • Nach einer Operation ist er nun der erste Boxer, der mit zwei künstlichen Hüften um die Weltmeisterschaft kämpft.

Von Benedikt Warmbrunn, Oberhausen/München

Wenn Manuel Charr an diesem Samstag um den WM-Titel der WBA im Schwergewicht boxt, liegt das nicht daran, dass er einen besonders harten Schlag hat oder eine außergewöhnlich raffinierte Technik. Er ist kein schneller Mann im Ring, kein cleverer Stratege. Er ist ein guter, solider Profiboxer, mehr nicht, gegen Alexander Ustinow gilt er als Außenseiter. Genau darin sieht Charr, 33, seine Chance. Besiegt er den Russen, wäre das der geringste Widerstand, den er in seinem Leben überwunden hat.

Manuel Charr, geboren in Beirut, als Fünfjähriger geflohen nach Deutschland, hat sich diese WM-Chance verdient, weil er sein Leben lang ein Kämpfer war.

Im Profiboxen zählt nicht allein das Talent im Ring, es zählt immer auch die Geschichte des Boxers. Manuel Charr bringt drei Geschichten mit. Die erste ist die, an der sich schon so viele deutsche Schwergewichtsboxer versucht haben, alle vergeblich: der erste deutsche Weltmeister der Gewichtsklasse seit Max Schmeling zu werden. Karl Mildenberger, Axel Schulz, Luan Krasniqi, Marco Huck - alle scheiterten, teilweise unglücklich. Übrigens genau wie Manuel Charr, der 2012 gegen Vitali Klitschko keine Chance hatte; der Kampf wurde aufgrund einer Platzwunde an Charrs Auge abgebrochen. Nun, 85 Jahre nach dem Ende der Ära des Weltmeisters Schmeling, lässt Charr keine Gelegenheit aus, diese historische Seite seines Kampfes zu betonen.

Die zweite Geschichte ist eine der Gewalt, des Hasses, der Vergebung. In der Nacht auf den 2. September 2015 wurde Charr in einem Döner-Imbiss in Essen angeschossen, von einem Amateurboxer, mit dem er sich zuvor gestritten hatte. Nach einer Notoperation war er außer Lebensgefahr, der Täter wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Für Charr war es der Wendepunkt in einem Leben, in dem Gewalt schon früh eine Rolle gespielt hatte.

Die Sache mit den Hüften macht Manuel Charr zu einem einzigartigen Kämpfer

Als Kind wurde ihm im libanesischen Bürgerkrieg ins Bein geschossen. Er war drei Jahre alt, als sein Vater starb. Geprägt von diesen frühen Erfahrungen gab sich Charr lange als roher, harter Kerl. Er provozierte, er beleidigte, er ließ keine Gelegenheit aus, um zu zeigen, dass er sich von nichts und niemandem klein machen lasse. Und so geriet er immer wieder in Schwierigkeiten. 2006 wurde er wegen des Verdachts auf versuchten Totschlag verhaftet und angeklagt. Mit Alexander Abraham, dem jüngeren Bruder des mehrmaligen Box-Weltmeisters Arthur, war er bei einer Schlägerei anwesend, bei der ein Mann mit einem Messer angegriffen wurde. Charr saß in Untersuchungshaft, wie Abraham wurde er später vom Landgericht Berlin freigesprochen.

Nachdem er 2015 selbst angeschossen wurde, ging Charr im Gerichtssaal zum Täter, er sagte, dass er ihm verzeihe. Seitdem gibt er, der sich den Kampf gegen Klitschko hauptsächlich als Großmaul verdient hatte, als ein Botschafter des Friedens. "Ich bin wie eine Katze, die sieben Leben hat. Fünf habe ich verbraucht, deshalb musste ich etwas ändern", sagte er dem Hamburger Abendblatt.

Es gab schon einen Deutschen als Weltmeister im Schwergewicht, es gab schon Weltmeister, die angeschossen wurden, auch Weltmeister, die den Frieden in sich entdeckt haben. Charrs dritte Geschichte ist die einzige, die er als erster Boxweltmeister überhaupt erzählen könnte. Es ist die Geschichte seiner Hüften.

Charr hatte immer Schmerzen in dem Gelenk, das so wichtig ist im Boxen. Aus der Hüfte kommt die Beweglichkeit, jeder Schlag beginnt dort. Er dachte, dass dies normal sei, bei seiner Größe, bei seinem Gewicht. Bis vor einem halben Jahr eine angeborene Knorpelfehlbildung diagnostiziert wurde, dazu Arthrose im Endstadium. "Ich war wie ein Pfeil ohne Bogen", erinnert er sich. Nach einer Operation ist er nun der erste Boxer, der mit zwei künstlichen Hüften um die Weltmeisterschaft kämpft.

Manuel Charr mag ein gewöhnlicher Boxer sein. Aber er hat eine Geschichte gefunden, die ihn vorantreiben soll. Und von seinen sieben Leben hat er immer noch zwei übrig.

© SZ vom 25.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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