Box-WM im Mittelgewicht:Felix Sturm boxt den Berg kaputt

Felix Sturm v Darren Barker - IBF Middleweight World Championship

Felix Sturm feierte in Stuttgart mit seinem Team.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Als erster deutscher Boxer gewinnt Mittelgewichts-Boxer Felix Sturm zum vierten Mal einen WM-Titel. Dabei singen in Stuttgart lange nur die Fans von Gegner Darren Barker und der Engländer startet mit einer Jab-Serie. Dann fliegt schon nach zwei Runden ein Handtuch. Der Kampf im Spielfilm.

Von Saskia Aleythe, Stuttgart

Vor dem Kampf: Was hat Felix Sturm in einem Felsen zu suchen? In Boxerkluft, mit Vorschlaghammer? Fragen, die sich beim PR-Film des Boxers stellen und nur die unbefriedigende Antwort zulassen: Er boxt den Berg kaputt. Er sei "so stark wie noch nie", sagt Sturm über sich selbst. "Er ist so stark wie noch nie", sagt Trainer Fritz Sdunek. Und Susi Kentikian, die jüngst mit Sturms Promotionsfirma angebändelt hat? "Er ist stark, so stark habe ich ihn noch nie gesehen." Ob das auch für den Briten Darren Barker reicht? Der ist schließlich agiler als ein Berg.

Gegenüberstellung: Es gibt solche Rekorde, über die man sich zu Recht freuen kann und solche, die eher unrühmlich sind. Felix Sturm könnte einen aufstellen, der beides vereint. Besiegt er Barker, hätte er als erster Deutscher vier Mal den WM-Gürtel gewonnen. Das steht zwar für Rückkehrer-Qualitäten, aber auch für Formschwankungen. Trotzdem liegt ihm viel daran: "Das sichert mir meinen Platz in den Geschichtsbüchern." Der gebürtige Leverkusener hat viel an seiner Fitness gearbeitet, doch gegen den angriffslustigen Barker ist er nur Außenseiter. Sollte Sturm verlieren, könnte der Auftritt in Stuttgart sein letzter als Profiboxer gewesen sein. Vor allem durch Niederlagen gegen Daniel Geale und Sam Soliman hat er viel von seinem Ruf als ernstzunehmender Boxer eingebüßt. Komfortabler ist die Situation von Barker: Er hat im Prinzip schon gewonnen. Mit etwa 1,2 Millionen Euro kassiert er die höchste Börse seiner Karriere. Den WM-Gürtel hat er jenem Geale abgenommen, der Sturm besiegt hatte. Es gibt also nichts, was Barker einschüchtern könnte. Nicht mal Sturms Minenspiele im Felsen.

Einwiegen: Wer reichhaltiges Essen in rauen Mengen schätzt, fand in Felix Sturm lange einen gleichgesinnten Kumpanen. Über 90 Kilogramm brachte er zwischen manchen Kämpfen auf die Waage, musste also fürs Mittelgewicht 20 kg abspecken. Nach vollzogenem Lebenswandel konnte sich der Kölner dieses Mal eine größere Tortur ersparen, nur sechs Kilo musste er verlieren. Beim Einwiegen präsentierte Sturm ein Kampfgewicht von 72,3 kg, Darren Barker 72,1 kg. Körperlich unterscheiden die beiden sonst nur drei Zentimeter, die der Brite größer ist. Nichts, was sich durch stabile Schuhsohlen oder die richtige Frisur nicht ausgleichen ließe.

Neben dem Ring: Stuttgart musste sich ein bisschen fürchten. Eine ganze Horde britischer Boxfans hatte Darren Barker angekündigt, von 100, 300 oder gar 1000 Unterstützern aus der Heimat war die Rede. Tatsächlich erfüllte reichlich britisches Flair die Porsche-Arena, die Bierstände feierten unbestätigten Gerüchten zufolge einen Umsatzrekord schon vor dem zweiten Vorkampf. Not amused waren wohl die Fernsehmenschen von Sat 1. Als der Sender live auf Sendung ging, waren die Interviews wegen des englischen Fangesangs der etwa 700 Mitgereisten kaum zu verstehen. Ansonsten nutzte auch einige Prominenz eine der letzten Gelegenheiten des Jahres, Frau und Frack auszuführen. Carl Froch und Boris Becker wurde gesichtet, auch Mola Adebesi hielt fesch wie eh und je die Dreadlocks ins Scheinwerferlicht. Weitere wichtige Menschen und solche die sich dafür halten sollen einen Sitzplatz in Ringnähe bekommen haben.

Einmarsch der Boxer: So sicher wie sich Felix Sturm in den vergangenen Tagen Orkanwitze hat anhören müssen, so sicher steht Micheal Bouffer pünktlich als Kampfansager bereit. "Get the Party startet" ruft er in die Halle, eine Aufforderung, die die englischen Fans schon seit Stunden ausleben. Felix Sturm läuft unter "Bleed it out" von Linkin Park in die Halle ein und wer nicht allzu weit vorne am Ring hockt, ist plötzlich gar nicht mehr so neidisch auf die Ganz-nah-dran-Sitzer. Im ärmellosen Mantel mit Kapuze schleicht sich Sturm in den Ring, eine große Blondine mit Fahne in der Hand verhindert beinahe die Sicht auf ihn. Darren Barker setzt auf den Känguru-Style und hüpft in die Arena. Erstaunlich: Bei ihm sind die Buhrufe deutlich leiser als zuvor bei Sturm. Nüchtern buht es sich eben nicht so gut. Nach der deutschen Nationalhymne wird es gesundheitsschädigend laut in der Arena, "God save the queen" war dort vermutlich noch nie so laut zu hören gewesen. Einige Fans sollen kurz k.o. gegangen sein.

Vorstellung der Boxer durch den Ringsprecher: Sturm-Fans sind auch in der Halle. Bei der Vorstellung durch Bouffer kommen nun auch sie aus sich heraus. Ein bisschen.

Runde 1: Ist das noch Abtasten oder schon Losprügeln? Barker startet mit einer kurzen Serie von Jabs an Sturms Kopf, der versucht sich mit ein paar sehenswerten Kontern, ist dabei aber der passive Part. Nach der Hälfte der Runde versucht sich der Deutsche im Vorwärtsdrang, kurz vor dem Gong bespringt er seinen Gegner fast. Punkte gibt es dafür leider keine.

Runde 2: Eines ist sicher: Mit Abtasten hat noch kein Boxer einen K.o. erreicht. Barker ist weiter der bestimmende Mann im Ring, so bestimmend, dass er Sturm sogar in die Seile drängen kann. Was das in Sturm ausgelöst hat? Erinnerungen an die Felswand? Auf jeden Fall wirkt es: Mit einer harten Rechten streckt er Barker überraschend nieder. Der sammelt sich kurz und kommt wieder auf die Beine. Sturm erkennt seine Chance jedoch und macht es einfach wie zuvor: Rechte Faust an Barkers Kopf, erneuter Niederschlag. Barker will noch nicht aufgeben, hüpft zwei Mal als wolle er seine Fitness demonstrieren. Mit linken Seitwärtshaken, die aussehen wie kräftige Watschn, traktiert ihn Sturm weiter. Dann fliegt das Handtuch aus der Ecke von Barker. Und Bierbecher aus der britischen Fanzone. Barker ist geschlagen, Sturm zum vierten Mal Weltmeister. Im Ring springt eine kolossale Masse um ihn herum.

Nach dem Kampf: Sturm huscht in seine Ecke, legt sich aber mehr bäuchlings auf die Ringabgrenzung als dass er sich draufstellt. Ein Betreuer trägt ihn auf seinen Schultern durch die Halle, Sturm reckt die bosnische Fahne in die Höhe. Engländer wurden seit dem Handtuchwurf nicht mehr gesichtet, umso lauter sind nun Deutsche und Bosnier. Mit so einem schnellen Kampfende hat Sturm wohl selber nicht gerechnet. Immer wieder schlägt er ungläubig die Handschuhe vors Gesicht und schüttelt den Kopf. Barker schleicht aus der Halle, noch bevor Sturm der Gürtel umgelegt wird und er von Bouffer zum vierten Mal zum Weltmeister ausgerufen wird.

Im Interview richtet Sturm erst bosnische Sätze an seine Fans ("Bosnier sind Champions und bleiben Champions). Dann englische ("Barker ist ein großer Kämpfer und verdient einen Rückkampf"). Dann deutsche ("Ich habe ihn gut getroffen mit meinen Schwingern."). Trainer Fritz Sdunek steht vor Rührung erstarrt in der Ringecke und beobachtet seinen Schützling aus der Ferne, Sturms Frau muss die Tränen vor den Kameras unterdrücken.

Felix Sturm kann mit WM-Gürtel unterm Weihnachtsbaum feiern. Gewöhnen sollte er sich an das gute Stück aber nicht: Bereits im Frühjahr soll es einen vereinbarten Rückkampf gegen Barker in Großbritannien geben. Garantiert mit Bier, aber vielleicht ohne Felsen.

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