Borussia Mönchengladbach:Fohlenelf der Moderne

Borussia Moenchengladbach v Bayer 04 Leverkusen - Bundesliga

Da jubelt Max Kurse noch mit - der Stürmer wird im Sommer Gladbach verlassen. Ihn ruft eine Gehaltserhöhung in Wolfsburg.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Es ist die erstaunliche Renaissance eines Traditionsklubs: 37 Jahre nach dem letzten Einsatz im Cup der Landesmeister steht Gladbach wieder kurz vor der Champions League
  • Die Planungen fürs nächste Jahr laufen schon. Die Verluste von Max Kruse und Christoph Kramer erfordern neue Tüfteleien.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Der Fußballer Christoph Kramer wird aus dem Gladbacher Rausch als Einziger mit einem Kater aufwachen. Deshalb war für ihn auch die Frage nach dem Unmut beim Gegner relevant. Was haben seine künftigen Kollegen zu ihm gesagt; wie haben sich jene baldigen Mitspieler von Bayer Leverkusen geäußert, mit denen Kramer im August genau deshalb in die Qualifikation zur Champions League muss, weil er sie mit seinem derzeitigen Klub Borussia Mönchengladbach am Samstag 3:0 besiegt hat?

Kramer zeigte sich frei von Pathos, Hochmut oder Mitleid. "Sie haben sich bedankt", sagte er trocken und grinste sein schiefstes Grinsen. Ein schlechtes Gewissen sieht anders aus.

Man nennt so etwas auch Charakterstärke. Der Gladbacher Manager Max Eberl ist stolz darauf, "solche Jungs in unseren Reihen zu haben". Er meint damit Profis, die bis zur letzten Partie alles für ihren Klub geben, selbst wenn sie das demnächst zusammen mit ihrem baldigen Arbeitgeber ausbaden müssen. Der Leihspieler Kramer, der nach Leverkusen zurückkehrt, und Max Kruse, der definitiv zum VfL Wolfsburg wechselt, waren auch beim 3:0 gegen Leverkusen zwei der besten Borussen.

Manager Eberl und Trainer Favre planen bereits

Kruse erzielte im dritten Spiel nacheinander zum dritten Mal das 1:0 für jene Gladbacher, die seit zwölf Bundesligaspielen ungeschlagen sind, neun Heimsiege in Serie hingelegt haben und als bestes Rückrundenteam einem 2:0 in München und einem 1:0 gegen Wolfsburg nun ein 3:0 gegen Leverkusen folgen ließen. "Wir können mit diesen Topteams absolut mithalten", sagte der Außenstürmer Patrick Herrmann stolz. Sein Kapitän Tony Jantschke zog daraus eine noch bedeutsamere Erkenntnis: "Wir brauchen auch vor der Champions League keine Angst zu haben."

Für Gladbach geht ein Traum in Erfüllung. 37 Jahre, nachdem die Borussia 1978 letztmals im Europapokal der Landesmeister mitgespielt hat, hat sie sich so gut wie und erstmals für die lukrative Champions League qualifiziert. "Wenn du die Champions League sicher hast, dann hast du auch mehr Geld", weiß der Manager Eberl.

Aus diesem Umstand und der Notwendigkeit, die fortgehenden Spitzenleute Kruse und Kramer angemessen zu ersetzen, ergibt sich bei der Akquise neuer Arbeitskräfte allerdings ein kleines Dilemma, das Eberl folgendermaßen umschreibt: "Alle wissen, dass wir Geld haben, das war auch vor drei Jahren nach dem Verkauf von Marco Reus schon so, und deshalb möchte ich jetzt gar keine Spekulationen befeuern."

Eberl und der Trainer Lucien Favre suchen einen adäquaten Ersatz für den Stürmer Kruse, sie suchen einen Innenverteidiger und vielleicht auch noch einen Backup für den bisweilen abtauchenden Spielgestalter Raffael. "Wir haben ein finanzielles Polster im Hintergrund - das ist nicht schlecht", sagt Eberl, "aber wir werden auch jetzt keine verrückten Dinge machen." Für den defensiven Mittelfeldmann Kramer haben sie bereits Lars Stindl, Kapitän von Hannover 96, verpflichtet.

Am besten noch variantenreicher

Eberl, 41, der oft für seine Einkaufspolitik gelobt wird, steht vor seiner größten Herausforderung. Nach dem Verlust zweier eigentlich unverzichtbarer Spieler muss der gebürtige Niederbayer eine Mannschaft in die kommende Spielzeit schicken, die zur Bewältigung von Bundesliga und Champions League idealerweise noch einen Tick stärker und variantenreicher sein sollte als gegenwärtig.

Der Trainer Favre hat im Laufe dieser Saison trotz paralleler Pokal- und Europa-League-Belastungen gerade mal 17 Feldspieler eingesetzt, hatte aber auch wenig Probleme mit verletzungsbedingten Ausfällen. Von den Außenpositionen mal abgesehen, ist Gladbachs Kader auf Kante genäht. Gewisse Investitionen mit dem zu erwartenden Champions-League-Geld sind unabdingbar.

Blumige Worte zum Erfolg

Zwei Punkte benötigen die Borussen aus dem Gastspiel in Bremen und dem Heimspiel gegen Augsburg noch, dann ist der größte Erfolg dieser Klubs seit den glorreichen Siebzigerjahren perfekt. Zweifel hat an diesem letzten notwendigen Schritt aber niemand mehr, dazu spielt die Mannschaft zu stabil und mit zu viel Freude.

"Ich bin froh, dass das, was wir hier aufgebaut haben, solche Blüten treibt", sagt Eberl und erlaubt sich damit - im Gegensatz zum stets kargen und auch jetzt noch zögerlichen Trainer Favre - bereits ein euphorisches Fazit dieser Saison. "Die Mannschaft strahlt Selbstvertrauen aus und hat die Rückschläge im DFB- sowie im Europa- Pokal grandios weggesteckt."

Schon zelebrieren die Gladbacher belustigt einen aufgesetzten Streit, ob der noch erreichbare zweite Platz nicht doch einen noch schöneren Saisonabschluss bedeuten würde. Anfang März hatte man noch zehn Punkte Rückstand auf den VfL Wolfsburg, mittlerweile ist man praktisch gleichauf. "Zweiter oder Dritter - das ist mir eigentlich egal", sagt der Kapitän Jantschke. "Zweiter oder Dritter - das macht für mich keinen Unterschied", sagt der Torwart Yann Sommer. Bloß Eberl kann seine Ambitionen schlecht unterdrücken. "Wenn du das Bestmögliche erreichen kannst, dann willst du das auch erreichen", sagt er.

Der zweite Platz wäre auch optisch ein deutlicheres Signal dafür, dass die in chronischer Erinnerung und Wehmut lebenden Borussia-Fans eine Fohlenelf der Moderne erleben dürfen. Meisterschaftszweiter war die Borussia zuletzt 1978. In jenem Jahr endete in Mönchengladbach eine Ära.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: