Borussia Dortmund vor Derby gegen Schalke:Projekt im Steigflug

FC Arsenal - Borussia Dortmund

Garant des Aufschwungs: Robert Lewandowski

(Foto: dpa)

Kein Großklub in Europa wächst schneller als Borussia Dortmund. Trotzdem ist der Abstand zu Real Madrid, dem FC Chelsea und dem FC Bayern noch gewaltig. Reicht das, um Schlüsselspieler wie Reus oder Gündogan dauerhaft zu halten?

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Nicht einmal Kevin Großkreutz, Borussia Dortmunds Experte für Schalke-Beschimpfungen, hat sich dieses Mal hinreißen lassen. "Man wird reifer", ließ der Erz-Dortmunder vor dem Ruhrpott-Derby beim ewigen Rivalen FC Schalke 04 etwas freudlos wissen.

Schalkes Manager Horst Heldt hat sich gar öffentlich entschuldigt für seine Ankündigung vor der Saison, man sei "auf Augenhöhe" mit dem BVB. Heldt ist das offenkundig unangenehm, bei acht Punkten Rückstand. Und selbst manchen Fans in beiden Lagern scheint inzwischen zu dämmern, dass man angesichts brisanter Champions-League-Duelle mit Chelsea oder Arsenal nicht mehr an dem Mythos festhalten kann, nichts sei wichtiger als Siege im Derby.

Dortmunds Sportmanager Michael Zorc, der in früheren Jahren gelegentlich den Großkreutz gab, wenn es um Schalke ging, mag sich inzwischen auch nicht mehr zu großen Provokationen verleiten lassen - jedenfalls nicht öffentlich. "Die beiden Klubs haben ja nicht unähnliche Voraussetzungen", lässt sich Zorc allenfalls entlocken, "aber vielleicht hat uns unsere Kontinuität in den entscheidenden Positionen in den letzten Jahren geholfen, uns ein bisschen besser aufzustellen." Das grenzt schon an Diplomaten-Latein.

Aber Borussia Dortmund ist im Herbst 2013 ja auch auf europäischer Ebene angekommen, weniger diplomatisch als fußballerisch. Der Saisonstart in der Bundesliga, mit nur einem Punkt Rückstand auf die Übermannschaft des FC Bayern, hat das bestätigt. Experten rechnen vor, dass Dortmund mit kaum zwei Dritteln des Gehaltsniveaus der Münchner dennoch auf Augenhöhe spielt - jedenfalls, so lange keine Verletzungen den kleineren BVB-Kader zu sehr schwächen.

Der Sieg im Champions-League-Gruppenspiel am Dienstag beim englischen Tabellenführer FC Arsenal hat das Selbstbewusstsein in Dortmund noch gesteigert. Die Final-Teilnahme in Wembley im Sommer war offenbar kein Ausreißer, der BVB scheint dauerhaft in die Phalanx der Großklubs eingebrochen zu sein.

Der Ruhrpott staunt

Bayern und Dortmund rauschen im eigenen Erste-Klasse-Abteil durch die Bundesliga - aus der bescheidenen Welt des Ruhrpotts betrachtet, kommt das einem Wunder gleich. Zorc würde es deshalb so selbstbewusst auch nicht formulieren. Aber er sagt: "In England hast du inzwischen die Situation, dass sich fünf bis sechs Klubs mit ihren Gehaltsbudgets vom Rest der Liga weit abgesetzt haben. Kollegen der normalen Klubs geben gut 50 Millionen Pfund aus, was so in etwa unseren Möglichkeiten entspricht. Die großen Sechs dagegen können 100 Millionen Pfund für Gehälter ausgeben, bis zu 220 Millionen bei Chelsea. Der Rest spielt immer nur um den Titel best of the rest."

Die Bayern werden auf 140 bis 150 Millionen Euro Gehaltsniveau taxiert, Real Madrid auf 250 Millionen. In dieser Welt muss sich Dortmund bewegen - im Vergleich zu anderen deutschen Klubs selbst ein bisschen reich, aber chancenlos beim Wettbieten mit Großklubs aus England oder Spanien. Oder mit den Bayern. "Man muss sich den Unterschied im Gehaltsniveau zwischen uns und München etwa so vorstellen", sagt Zorc: "Ein Topspieler kostet fünf Millionen. Also kann sich Bayern 14 Topspieler mehr leisten als wir - oder sechs Ribérys."

Dortmund hat kürzlich über 300 Millionen Euro Umsatz für das vergangene Geschäftsjahr ausgewiesen, die Bayern legten mit über 400 Millionen nach. Schalke dürfte bei knapp 190 rangieren, auch dank relativ regelmäßiger Teilnahme an der Champions League, die mit ihren überdimensionierten Geld-Ausschüttungen auch den innerdeutschen Wettbewerb inzwischen zu einer Zwei- oder Drei-Klassen-Gesellschaft macht. Schalke werde, so prophezeit Günter Vornholz, Professor an der Bochumer EBZ Business-School, "bis zum Ende des Geschäftsjahres um die zehn Millionen Euro Schulden abbauen", bleibe aber gefangen in seinen massiven Altlasten: über 170 Millionen Verbindlichkeiten.

Glamourös wie Stricke an Kartoffelsäcken

In Dortmund dagegen können sie über einen vergleichsweise luxuriösen "Dilemma-Faktor" klagen, wie es Zorc nennt. "Unsere Spieler sind für die besten Klubs der Welt interessant. Aber das ist grundsätzlich ja nichts Schlimmes. Es tut dem Selbstwertgefühl unserer Spieler auch gut, das ständig zu lesen. Davon wird keiner mehr nervös."

Geschmerzt hat Zorc, Vorstandsboss Hans-Joachim Watzke und Trainer Jürgen Klopp der Weggang von Mario Götze zum Rivalen in München. Gleichzeitig hat es Zorc und Watzke sichtlich gut getan, selbst den Verlust des Weltklasse-Talents durch die intelligenten Einkäufe von Henrikh Mkhitaryan und Pierre Aubameyang ausgeglichen zu haben. Frühere Abschiede (wie der des inzwischen reumütig heimgekehrten Nuri Sahin oder jener des bereits wieder heftig mit dem BVB flirtenden Shinji Kagawa, derzeit Manchester United) wurden durch Gündogan und Reus kompensiert. All das stärkt in Dortmund das Vertrauen ins eigene Geschick.

"Unsere Spieler", sagt Watzke, "verdienen ausnahmslos etwa ein Drittel ihrer Gehälter durch Prämien. Selbst wenn du am letzten Spieltag gegen den Tabellenletzten spielst, geht es immer noch um Geld. Und ich habe das Gefühl, dass die Spieler das sogar richtig gut finden." Das mag zwar ein Stück Wunschdenken sein, aber die Erosion an der Kernmannschaft, mit der Klopp vor vier Jahren startete, ist tatsächlich erstaunlich gering.

Einer wie Großkreutz

An Marco Reus, als gebürtiger Dortmunder mit Stadt und Klub angeblich ähnlich emotional verschweißt wie Großkreutz, und auch an Ilkay Gündogan wird sich nun aber erweisen müssen, ob Dortmund dauerhaft in jene gefühlte Oberklasse von Klubs aufsteigen kann, deren Spieler nicht mehr wegzukaufen sind. Reus soll ab 2015 eine Ausstiegsklausel haben, Gündogans Vertrag läuft 2015 aus, über eine langfristige Verlängerung verhandelt sein Vater mit dem BVB.

"Wenn du weniger Geld hast, ist das Risiko größer, dass dich mal jemand verlässt. Bei den Bayern kann inzwischen praktisch kein Verein mehr jemanden herausbrechen", ist Watzke bewusst. Aber sein BVB ist der wirtschaftlich am schnellsten wachsende Großklub in Europa.

Das "Projekt", wie es der Nationalspieler und Wortführer Mats Hummels gerne nennt, macht permanent Fortschritte. Einer wie Robert Lewandowski, der trotz des Steigflugs aussteigen will, erntet unter den Kollegen Unverständnis, selbst wenn er bisher profihaft seine letzte Saison in Dortmund abspult. Hummels hat erst diese Woche verkündet, dass an Gerüchten eines Wechsels nach Barcelona "nicht das Geringste dran" sei.

Und dennoch: So recht hat sich Borussia Dortmund in der Etage der Bayerns und Barças noch nicht eingelebt. Vielleicht wird das auch nie passieren. Weil Co-Trainer Zeljko Buvac am Dienstag in London im Trainingsanzug coachte (statt im vorgeschriebenen Anzug mit Krawatte), droht nun eine Geldstrafe von der Uefa.

Den größten Glamour-Faktor verbreitet noch Jürgen Klopp, doch auch seine selten getragenen Krawatten sind bisweilen geknotet wie Stricke an Kartoffelsäcken. Watzke und Zorc wissen, dass ihr nächster großer Coup sein sollte, mit dem BVB-Markenzeichen noch weiter zu verlängern. Bisher läuft Klopps Vertrag bis 2016.

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