Borussia Dortmund vor der neuen Saison:Kompliziertes Leben im Überfluss

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Dortmund gegen München, das könnte es in dieser Spielzeit öfter geben: Die Borussia redet das Supercup-Finale beim FC Bayern klein und konzentriert sich ganz auf den Saisonstart. Spannend sind in Jürgen Klopps Luxuskader vor allem die zahlreichen Stammplatz-Duelle - selbst einer wie Mario Götze könnte Probleme bekommen.

Freddie Röckenhaus, Dortmund

Alles wie immer in Dortmund: Ansatzlos wurden 54.000 Dauerkarten für die neue Saison verkauft, am Trainingsgelände gab es an einigen Tagen einen Einlass-Stopp, weil nur 2500 Zuschauer auf die Stehränge passen - und Topspieler wie Marco Reus oder Sebastian Kehl nach Übungseinheiten eine Stunde Autogramme schreiben müssen. Alles ist aber doch so ruhig und beschaulich, dass die Verfechter von Reizpunkten und anderen Aggressions-Theorien beim BVB schon Unheil im Anmarsch wähnen.

Nur einer? Beide? Marco Reus und Mario Götze könnten im Dortmunder Mittelfeld die Kreativen geben - doch es gibt noch andere Kandidaten. (Foto: dpa)

Selbst vor dem zum (Pseudo)-Showdown hochgeredeten Supercup zwischen Dortmund, dem Doublesieger, und dem doppelten Vize FC Bayern am Sonntag möchten sie in Dortmund so gelassen wirken, als ginge es nur um ein Trainingsspiel. "Dieser Supercup", sagt Trainer Jürgen Klopp, "hat keine Auswirkungen auf die Saison".

In diesen Tagen sind Beobachter in Dortmund selbst für kleine Auffälligkeiten wie jene Augenklappe dankbar, die Mario Götze am Mittwoch bei seiner Rückkehr ins Mannschaftstraining trug. Ha!, ein Pirat!, endlich mal was Aufregendes im harmonischen BVB-Einerlei! Götze hatte sich im Laufe der Vorbereitung eine Bindehaut-Entzündung am linken Auge zugezogen und musste auf normales Training verzichten. Wie seine Facebook-Seite belegte, verbrachte Deutschlands vermeintlich größtes Talent der Moderne die freie Zeit vor allem mit Olympia-Übertragungen, vorzugsweise Beachvolleyball und Männersprint.

Gäbe es den Fall Götze nicht, könnte man glatt übersehen, dass es in Dortmund bei aller Harmonie einen ziemlich gnadenlosen Konkurrenzkampf geben wird. "Wir befinden uns in den Ausscheidungsrennen", brachte es Kapitän Sebastian Kehl im olympischen Jargon dieser Tage auf den Punkt. Tatsächlich: Bei näherer Betrachtung ist sogar Götze nicht gesetzt.

Zu lange hat er verletzt gefehlt, seit Dezember 2011, fast neun Monate, die er weitgehend ohne Spielpraxis verbracht hat. Erst litt er an einer tückischen Schambein-Entzündung, die er nur mit Ruhe kurieren durfte, es folgte eine passive Gastrolle in der Nationalelf bei der EM, danach war er im Strandurlaub - zuletzt plagte ihn jene Bindehautentzündung, die dazu führte, dass Götze bisher keines der Dortmunder Testspiele mitmachen konnte.

Für den Supercup reicht es nun womöglich auch nicht. Klopp überlegt, Götze stattdessen am Samstag im Heimspiel der Drittliga-Reserve gegen Saarbrücken Spielpraxis zu geben. Derweil befindet sich Stammplatz-Konkurrent Jakub "Kuba" Blaszczykowski schon in Bestform und hat eben seinen Vertrag bis 2016 verlängert - mit einer Rückrunde im Gepäck, in der der Pole über weite Strecken vergessen ließ, dass auf dieser Position eigentlich der Ausnahmekicker Götze hätte spielen sollen.

So ist das inzwischen im Dortmunder Luxuskader: Wer einmal raus ist, der muss sich schwer strecken, um wieder in die Startaufstellung zu kommen. "Reizpunkte?", fragt deshalb auch Kapitän Kehl: "Nein, ich muss nun wirklich keinen bei uns im Training weggrätschen. Bei uns sollte der Konkurrenzkampf eigentlich schon für genug Spannung sorgen."

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Götze, Reus und Alaba haben sich längst etabliert - nun ist es Zeit für eine neue Generation an jungen Durchstartern. Ein Münchner erinnert an Lukas Podolski, ein Dortmunder verblüfft mit seinem Rotschopf - und Schalke 04 freut sich auf die neue Zwillings-Innenverteidigung. Die hoffnungsvollsten Talente im Überblick.

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Zu den Wackelkandidaten gehören fast alle Mittelfeldspieler, nicht nur Götze und Blaszczykowski. Um die zwei defensiven Plätze rangeln außer Kehl: Sven Bender, der eben wieder von Bundestrainer Joachim Löw ins Aufgebot berufen wurde, der EM-Fahrer Ilkay Gündogan und U21-Nationalspieler Moritz Leitner.

Bender allerdings scheidet für die nächsten vier Wochen für die Startelf aus, er muss an beiden Leisten operiert werden und sagte auch für das Länderspiel gegen Argentinien am nächsten Mittwoch ab. Insofern macht sich das breite Reservoir im BVB-Kader schon vor Saisonbeginn bezahlt.

Offensiv kann sich zwar Rückkehrer Reus einigermaßen sicher sein, dass er die zentrale Position des abgewanderten Shinji Kagawa erbt, aber Klopp hat schon wissen lassen, dass ihm das "Arbeiten gegen den Ball" beim früheren Gladbacher noch nicht gefalle. "Aber das gilt bisher eigentlich für die ganze Mannschaft", hat er dann umgehend verallgemeinert. Dennoch ist Klopp zuzutrauen, dass er auch auf eine Größe wie Reus verzichten könnte, wenn der sich nicht bald das Defensiv- und Lauf-Level seines neuen Dortmund-Umfelds aneignet.

Die erstaunlich vielen Gegentore in den Testspielen - mit drei Niederlagen - haben Klopp insgeheim verärgert. Die ganze Woche wurde taktisch nur Defensiv-Arbeit verrichtet. "Mit dem Ball", findet der Trainer, "war es schon ordentlich, gegen den Ball noch ausbaufähig." Und Kehl pflichtet bei: "Wenige Gegentore sind Grundvoraussetzung für unser Spiel."

So gesehen dürften all jene in den Personal-Ausscheidungsrennen die besseren Chancen haben, die ausgewiesene Defensiv-Charaktere sind: Für die Besetzung der umkämpften Mittelfeld-Positionen dürfte das heißen, dass Kehl und der defensiv-starke Kevin Großkreutz (links) im Moment die Nase vorne haben. Ob sich Klopp daneben zwei reine Künstler wie Reus und Götze leistet - oder gar den neuen Ball-Artisten Leo Bittencourt, 18 -, ist offenbar längst keine ausgemachte Sache.

Irgendwie scheint diese Verwaltung des spielerischen Überflusses in Dortmund die Aufgabe des Jahres für Klopp zu werden. Da kann man ein Spiel wie den Supercup in München schon mal zur Nebensache kleinreden. Verlieren aber kann Klopp nach bisherigen Erfahrungen nicht gerade gut.

© SZ vom 11.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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