Borussia Dortmund:Selbst der Pokalsieg überstrahlt Tuchels Probleme nicht

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  • Thomas Tuchel gewinnt mit dem BVB seinen ersten Titel als Profitrainer.
  • Doch auch im Erfolg zeigen sich Risse zwischen ihm und Teilen der Mannschaft.
  • Tuchel würde gerne in Dortmund bleiben, doch er weiß selbst, dass die Gespräche mit dem Klub "ergebnissoffen" seien.

Von Christopher Gerards, Berlin

Irgendwann an diesem Abend ging es auch um Umarmungen. Es ging darum, wer wen umarmt hatte, wie lange, wie herzlich und was das alles bedeutet, für den BVB und vor allem für dessen Trainer. Thomas Tuchel war gerade in der Pressekonferenz angekommen, kurz nach elf am Samstagabend, er hatte über das Spiel geredet, über die erste Hälfte, den starken Gegner, all das. Aber jetzt ging es darum, die Bilder nach dem Abpfiff zu interpretieren, sie zeigten Tuchel, der im Grunde jeden umarmte, der ihm begegnete. Und irgendwann begegnete ihm auch: Hans-Joachim Watzke, sein Vorgesetzter. Und die Bilder zeigten: Tuchel und Watzke umarmten sich. Und sie lächelten dabei.

Das habe ja herzlicher ausgesehen als zuletzt, nach dem Spiel gegen Bremen, sagte also ein Reporter in der Pressekonferenz. Und Tuchel antwortete: "Nachdem die letzte handgestoppt wurde, haben wir uns Mühe gegeben, es heute besser hinzukriegen."

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Nur nochmal kurz zur Erinnerung: Ja, hier sprach gerade der Trainer des neuen Pokalsiegers.

So einen Samstagabend wie diesen hat der DFB-Pokal auch noch nicht oft erlebt, es war ein Abend voller Widersprüche. Da war der BVB, der ein aufregendes Spiel gegen Eintracht Frankfurt 2:1 gewann, der seinen ersten Titel seit 2012 holte. Und da war Thomas Tuchel, 43, der seinen ersten Titel überhaupt als Trainer feierte. Und der nun wahrscheinlich trotzdem den Verein verlassen muss. Da waren zudem einige Sätze, die Tuchel sprach. Und da waren einige Sätze seiner Spieler, die als Kritik an Tuchel zu verstehen waren. Und bei dieser Gemengelage konnte man fast vergessen, dass hier gerade ein Pokalfinale gespielt worden war.

Die Episoden des Streits, der beim BVB schwelt, sind derart oft erzählt worden, dass sie im Grunde schon zum Bundesliga-Standardwerk gehören. Tuchels Auseinandersetzung mit dem Chefscout. Die Diskussionen über die richtigen Transfers. Die Kommunikation nach dem Anschlag auf den Teambus. Das von Watzke gegebene Interview, in dem er einen "klaren Dissens" mit seinem Trainer zugibt. All diese Geschichten passten in eine einzige Saison, und auch der Pokalsieg konnte sie nicht verschwinden lassen. Im Gegenteil: Es kam sogar eine neue Geschichte hinzu.

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Natürlich haben hinterher alle sehr zurecht gesagt, wie glücklich sie seien, Spieler, Trainer, Funktionäre, zumindest all jene, die nicht zufällig für Eintracht Frankfurt arbeiten. "Wir werden jetzt ein paar Tage durchfeiern", hat Kapitän Marcel Schmelzer zum Beispiel angekündigt und sicherheitshalber noch angefügt: "Wir müssen es genießen." Marco Reus fand den Titelgewinn nach drei verlorenen Finals "sehr verdient", und Tuchel sprach gar von "einem der schönsten Tage meiner Trainerkarriere" und davon, dass er nun Gin Tonic trinken werde.

Tuchel wusste schon selbst, dass seine Mannschaft nicht ihr bestes Spiel der Saison gezeigt hatte. Dass sie nach der frühen Führung durch Ousmane Dembélé (8.) vor allem mit Verteidigen befasst war. Dass sie kurz nach Ante Rebic' Ausgleich (29.) sogar beinahe ein weiteres Gegentor kassierte hätte, das nur der Pfosten verhinderte. Und dass sich vor dem Siegtreffer per gelupftem Elfmeter von Pierre-Emerick Aubameyang (67.) Frankfurts Torwart Lukas Hradecky nicht übermäßig klug bewegt hatte. Aber Tuchel hatte auch dies gesehen: dass sein Team nach der Pause wieder stärker spielte, obwohl Marco Reus und Marcel Schmelzer verletzt vom Feld mussten. Und deshalb sagte Tuchel: "Ich glaube, dass du besondere Leistungen nur dann erbringst, wenn du eine Verbindung hast. Wir haben eine ganz besondere Saison nochmal gekrönt. Ich glaube, das geht nur, wenn die Mannschaft dem Trainer vertraut und wenn der Trainer der Mannschaft vertraut."

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Eine Verbindung also. Vertrauen. Das klang gut. Doch manche Spieler, die dieser Mannschaft angehören, sagten Dinge, die Tuchels Aussagen zum Binnenklima impliziert widersprachen.

Konkret ging es um Mittelfeldspieler Nuri Sahin. Er hatte das Finale von der Tribüne verfolgt. Keine Verletzungen plagten ihn, keine Gelbsperre verhinderte einen Einsatz, vormittags hatte er noch ein Bild auf Facebook gepostet: Er selbst tritt gegen einen Ball, daneben die Logos von Frankfurt, Dortmund und dem DFB-Pokal, darüber das Wort "Matchday!".

Warum er dann plötzlich nicht dabei war, ist Sahin spät am Abend im Sportschau Club gefragt worden. Woraufhin er sagte, er wisse es nicht. Wurde vorher nicht drüber gesprochen, wollte die Moderatorin wissen. "Doch, kurz, es ist jetzt auch zweitrangig ehrlich gesagt. Weil ich jetzt mein Ego hinten anstellen muss. Es war ein Schock, klar. Ich war auch tieftraurig. Aber über die 90 Minuten habe ich versucht, die Jungs zu pushen, und bin sehr glücklich darüber, dass wir diesen Pokal endlich gewonnen haben", sagte Sahin. Als die Moderatorin erneut nachhakte, antwortete er: "Ich möchte nicht mehr darüber reden, weil das...Sonst... Ich möchte nicht mehr darüber reden."

Nächste Woche spricht Tuchel mit Watzke

Dafür sprachen andere, Kapitän Marcel Schmelzer etwa, der sagte: "Mich hat es sehr geschockt. Ich verstehe es einfach nicht. Wenn ein Spieler wie Julian Weigl ausfällt, dann ist er der Einzige, der das mindestens genauso gut kann. Deshalb war ich sehr überrascht, dass er nicht gespielt hat und nicht mal im Kader war. Wir alle wissen, was er für Qualitäten hat. Wir stehen komplett hinter Nuri." Auch Marco Reus sagte, er sei "überrascht" gewesen. Tuchel begründete den Wechsel damit, er habe "mehr Kopfballstärke und Körperlichkeit" ins Spiel bringen wollen, er stellte deshalb Matthias Ginter ins defensive Mittelfeld, der jedoch derart überfordert wirkte, dass Tuchel ihn in der Pause in die Abwehr zurückzog. Letztlich muss man aber auch sagen: Die Entscheidung hat das Spiel nicht entschieden. Tuchel hat den Titel gewonnen. Und die Fans haben ihn hinterher freundlich besungen.

An diesem Sonntag feiern die Borussen weiter, diesmal in Dortmund, am Borsigplatz. Tuchel wird indes nächste Woche mit Watzke über seine Zukunft beim BVB reden. Als ein Reporter ihn fragte, ob er Trainer in Dortmund bleiben wolle, antwortete Tuchel: "Ja, natürlich." Er habe einen Vertrag bis 2018, den er zu erfüllen gedenke. Anderseits sagte Tuchel, dass er nicht naiv wirken wolle, er wisse, dass die Gespräche ergebnisoffen seien. Nach dem Pokalsieg hat er jedenfalls gute Argumente für sich, in Dortmund oder wo auch immer.

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