Borussia Dortmund:Reus therapiert sein Trauma

Borussia Dortmund v Tottenham Hotspur - UEFA Europa League Round of 16 First Leg

Erzielte in der Europa League einen Doppelpack gegen Tottenham: Marco Reus.

(Foto: REUTERS)

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Marco Reus hat einen emotionalen Sonntag vor sich, er spielt mit Borussia Dortmund gegen Mainz 05. Mit Mainz verbindet er zwei prägende Erinnerungen: sein erstes Bundesliga-Tor - und seinen schlimmsten Tag als Fußballer.

Am 28. August 2009 hatte Reus gegen Mainz das 2:0 erzielt, damals noch für Borussia Mönchengladbach. Als 20-Jähriger hatte er seinerzeit in drei Kurzeinsätzen gerade mal 46 Minuten Bundesliga hinter sich gebracht. Danach ahnten alle: Der wird ein Großer - nicht nur, weil Reus auf Niederländisch "Riese" heißt. Der gebürtige Dortmunder ist ein Riesenfußballer - aber einer ohne Titel. Der 26-Jährige hat bis heute in 260 Bundesliga-, Pokal- und Europapokalspielen für Gladbach und Dortmund 110 Tore geschossen sowie in 27 Länderspielen neun Treffer. Das sind beachtliche Quoten. Aber Pokale hat Reus noch keine geschwenkt.

2016 könnte ein gutes Jahr für ihn werden

An dieser Stelle gelangt man zur zweiten Erinnerung, die Reus mit Mainz verbindet: Am 6. Juni 2014 zog er sich dort im letzten Testspiel der Nationalmannschaft vor dem Abflug zur WM nach Brasilien einen Bänderriss im Fuß zu. Er verpasste das Turnier - und den Weltmeister-Titel. Das ist, als hätte man vergessen, einen Lottoschein mit sechs Richtigen abzugeben.

Das ist nun fast zwei Jahre her. Reus spricht kaum über die Vergangenheit, er blickt demonstrativ nach vorne. 2016 könnte ein gutes Jahr für ihn werden, vielleicht ein historisches. Mit dem prächtigen 3:0 am Donnerstag gegen Tottenham Hotspur hat sich Dortmund zum Favoriten auf den Gewinn der Europa League gemausert. Reus hat zwei wunderbare Tore dazu beigetragen. Im Sommer ist außerdem EM, mit dem Titel dort könnte Reus sein WM-Trauma therapieren. Er scheint gerade wieder in Form zu kommen.

Vor vier Jahren ist Reus von Mönchengladbach nach Dortmund gewechselt. Damals hatte der BVB gerade zweimal nacheinander die Meisterschaft gewonnen - seither nicht mehr. 2013 verlor Reus mit Dortmund das Champions-League-Finale gegen Bayern München, 2014 auch das Pokalfinale gegen die Bayern - und 2015 das Pokalfinale gegen den VfL Wolfsburg. Reus hat bisher eine regelrechte Pokal-Allergie. Dieses Jahr hat er noch vier Optionen: Bundesliga, Pokal, Europa League und Europameisterschaft.

Nicht konstant auf hohem Niveau

"Ich habe hohe Ansprüche", hat Reus am Donnerstag unter der Haupttribüne des Dortmunder Stadions betont. Um Titel-Ambitionen ist es dort aber nicht gegangen, sondern um seine Zufriedenheit mit der kurz zuvor gezeigten Leistung. Zwei schöne Tore und ein laufintensives Spiel hatte er gegen Tottenham gezeigt. Zufrieden war er aber nur "teils teils", wie er sagte. Reus spielt momentan ganz gut, aber längst nicht konstant auf dem hohen Niveau seiner ersten beiden Spielzeiten in Dortmund. Zuletzt blieb er auch beim Ligagipfel gegen die Bayern (0:0) blass. Was seine Form angeht, gibt es tatsächlich so etwas wie einen Bruch im WM-Sommer 2014. Es gibt ein Davor und ein Danach.

Doch das Danach besteht nicht nur aus dem Frust über den verpassten WM-Titel, es besteht auch aus Verletzungen, die Reus seither immer wieder aus jeder ansteigenden Formkurve geschleudert haben. Um seine Anfälligkeit zu minimieren und den Bewegungsapparat zu optimieren, fährt er nun regelmäßig in die Rückenklinik des niederländischen Osteopathen Hub Westhovens westlich von Aachen. Reus braucht mehr Robustheit, Sicherheit und Selbstvertrauen. Erst dann kann er wieder auf höchstem Niveau spielen.

Im Schatten seiner herausragenden Kollegen

"Tore sind wichtig für ihn", sagt sein Trainer Thomas Tuchel, "auch die beiden Treffer gegen Tottenham helfen Marco weiter auf dem Weg dorthin, wo wir ihn alle haben wollen." In dieser Saison spielt Reus bislang im Schatten seiner herausragenden Kollegen Henrikh Mkhitaryan, Ilkay Gündogan, Julian Weigl, Mats Hummels und Pierre-Emerick Aubameyang. Reus weiß aber, wie er wieder aufholen kann: "Indem ich so eine Leistung nicht nur einmal pro Woche auf den Platz bringe, sondern dreimal."

Denn im hohen Rhythmus wird es für den Dortmunder weitergehen: Sonntag gegen Mainz, Donnerstag in Tottenham, danach in Augsburg, dann kommen zum Liga-Restprogramm wohl weitere Europa-League-Abende hinzu, Ende März Länderspiele gegen England und Italien und Mitte April das Pokal-Halbfinale gegen Hertha BSC in Berlin. Wenn es sportlich optimal läuft, dann hat Reus bis zum EM-Beginn noch 21 Spiele vor sich. Das ist zwar gut, weil er sich so beweisen kann. Aber auch gefährlich, weil die Belastung den Körper strapaziert. Reus kämpft nicht nur um seinen ersten Titel, "er kämpft auch um die absolute Wettkampf-Fitness", sagt Tuchel, "daran arbeiten wir, aber es ist ein ständiger Spagat".

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