Dortmund in der Champions League:Meister der Grünschnäbeligkeit

Es ist tragisch, wie Meister Borussia Dortmund derzeit agiert. Beim 0:3 in Marseille betreibt der Klub erneut einen gigantischen Aufwand, zieht daraus jedoch keinen Ertrag. Dabei rächt sich eine strategische Unachtsamkeit in der Sommerpause.

Carsten Eberts

Am Mittwochabend musste Jürgen Klopp den breitschultrigen Bodyguard spielen. Seine Mannschaft, der Meister aus Dortmund, hatte sich im zweiten Gruppenspiel der Champions League ziemlich dumm angestellt, viele Chancen vergeben, durch schlimme Fehler sogar 0:3 gegen Olympique Marseille verloren. In Sachen Effektivität und internationaler Klasse war Dortmund chancenlos, das wollte kein Zuschauer ernsthaft bestreiten.

Champions League - Olympique Marseille - Borussia Dortmund

"Das ist unser Weg": Dortmund-Coach Jürgen Klopp (rechts) in Marseille.

(Foto: dpa)

Doch was tat Klopp? Er stellte sich vor seine Mannschaft. Er habe einen "richtigen Scheißabend" erlebt, gestand der Trainer zwar, betonte jedoch: "Der Umgang mit bitteren Niederlagen gehört zu unserem Entwicklungsprozess. Das ist unser Weg. Ich habe das größte Vertrauen in diese Mannschaft von allen Menschen auf dem Planeten. Ich weiß, was hier noch drin ist."

Klopp hatte kaum eine andere Wahl. Er hat eine junge Mannschaft, die wunderbar funktionieren kann, die es derzeit jedoch nicht tut. Sei es wegen Verletzungen, unter anderem von Top-Stürmer Lucas Barrios, der in den vergangenen Wochen nur selten ersetzt werden konnte. Sei es durch den Wechsel von Mittelfeldorganisator Nuri Sahin zu Real Madrid, der die Dortmunder mehr schwächt, als es die Verantwortlichen bislang zugeben haben. Oder sei es, weil hochveranlagte Spieler, wie beispielsweise Mario Götze, trotz bester Gelegenheiten das Tor nicht treffen.

Das Spiel des Meisters hat sich seit der vergangenen Saison nicht verändert. Der BVB kann - anders als der FC Bayern etwa - sein eigenes Tempo kaum dosieren. Die Mannschaft betreibt stets den größtmöglichen Aufwand, spielt stets lange Bälle in die Spitze, rückt überfallartig nach, rennt wieder und wieder an. Wird dieses Spiel nicht belohnt, zermürbt das die Spieler.

Im ersten Gruppenspiel gegen den FC Arsenal wurde der Aufwand noch belohnt - mit dem späten Ausgleichstreffer. Gegen Marseille lohnte sich dieser Aufwand nicht. Dortmund dominierte das Spiel, nutzte durch Marcel Schmelzer (17. Minute) und Götze (19., 50., 51.) jedoch erneut beste Chancen nicht.

Stattdessen leistete sich der BVB hinten Fehler, schlimme sogar: Vor dem 0:1 durch Andre Ayew (20.) rutschte Verteidiger Neven Subotic weg, nach einer verhängnisvollen Kopfball-Rückgabe von Mats Hummels traf Loic Remy zum 0:2 (62.), das dritte Tor erzielte erneut Ayew (69.), diesmal per Foulelfmeter. "Wir haben mehr Ballbesitz, laufen mehr, aber liegen hinten", klagte Sportdirektor Michael Zorc, "wir sind zu nervös und haben einfache Ballverluste. Insgesamt muss sich unser Spiel ändern."

Die Frage ist, wie sich das Dortmunder Spiel ändern kann. Klopp hat genau jene Spieler, die zu seinem System passen: junge, verrückte, enthusiastische Jungs, teilweise noch echte Grünschnäbel, die mit enormer Kraft nach vorne preschen. "Das hat uns auch schon sehr viele Punkte gebracht, mit welchem Enthusiasmus die Jungs zu Werke gehen", sagte Klopp nach dem Spiel in Marseille. An guten Tagen überrumpelt der BVB damit jeden Gegner, an schlechten verliert er auch überlegen geführte Spiele.

Frust für Klopp

Das Frustrierende für Klopp ist, dass die vielleicht größte Schwachstelle in seiner Mannschaft schnell zu analysieren ist: Ihm fehlt Lucas Barrios, sein mit Abstand effektivster Stürmer. Auch in der vergangenen Meister-Saison vergab Dortmund viele Chancen, hatte jedoch in vorderster Spitze stets Barrios: Der Paraguayer saugte die Bälle förmlich an, legte sie als einziger Stürmer entweder auf die heranstürmenden Mittelfeldmänner wie Sahin oder Kevin Großkreutz ab, oder verwertete - nicht selten - auch selbst.

Dieser Stürmertyp fehlt Klopp derzeit. Vertreter Robert Lewandowski ist zwar ein schneller, intuitiv spielender Stürmer - jedoch kein sicherer Verwerter. Die gewohnte Art der Barrios'schen Spieleröffnung klappt mit ihm nur selten. Gegen Marseille war fast jedes Anspiel auf Lewandowski ein sicherer Ballverlust.

Kamen die Bälle einmal über Außen in die Mitte, wurde Barrios erneut vermisst: weil derzeit kein Dortmunder in der Lage scheint, einfache Tore zu erzielen. "Es ist grotesk und unglaublich frustrierend", kritisierte Abwehrspieler Mats Hummels, "wir haben wieder nicht die vielen Chancen verwertet. Da muss man ehrlich sagen, dass das eine Qualität ist, die uns fehlt." Gemeint waren an diesem Abend vor allem Götze und Lewandowski.

Barrios wurde gegen Marseille zwar in der 72. Minute eingewechselt, zeigte jedoch, dass er noch einige Trainingstage braucht, um wieder voll in die Mannschaft zu finden. Damit rächt sich eine strategische Unachtsamkeit vor der Saison: Dortmund verzichtete bewusst auf den Kauf eines weiteren Stürmers, weil im System kein Platz für einen zweiten hochkarätigen Mann neben Barrios schien. Darüber denken die BVB-Verantwortlichen mittlerweile vermutlich anders. Dass Barrios mit einem Muskelbündelriss von der Südamerika-Meisterschaft zurückkehrte, war schlichtweg nicht einkalkuliert.

Klopp blieben so nur die üblichen, flockigen Sprüche. "Wir nehmen uns jetzt mal das Recht, in dem Millionengeschäft Champions League über unsere eigene Dappigkeit zu schmunzeln", erklärte Klopp, kurz bevor er zur Mannschaft in die Kabine entschwand. Er weiß jedoch: Die Rückkehr von Barrios in die erste Dortmunder Elf wäre derzeit wertvoller als jeder Entwicklungsprozess.

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