Borussia Dortmund:Hilfe, eine ganze Mannschaft fehlt

Borussia Dortmund Hertha BSC Berlin 14 10 2016 Valentin Stocker Hertha foult Matthias Ginter B

Für solche Fouls wurden Platzverweise erfunden: Herthas Stocker sieht für diese Grätsche an Dortmunds Ginter die rote Karte.

(Foto: Horstmüller/imago)
  • Vor der Champions-League-Reise zu Sporting Lissabon beklagt Dortmund eine verheerende Verletzungsmisere.
  • Sie lässt sich nicht allein auf die Foul-Debatte in der Bundesliga zurückführen.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Mit Eheschließungen haben die Fußballer Christian Pulisic und Felix Passlack noch nichts am Hut. Sie sind gerade mal 18 Jahre alt und könnten eigentlich noch in der A-Jugend von Borussia Dortmund spielen. Trotzdem werden sie in den nächsten Tagen für die Dortmunder Profimannschaft auf mehreren Hochzeiten tanzen müssen - so nennt man das jedenfalls blumig in der Fußballbranche, wenn es um die feierliche Teilnahme an den verschiedenen Wettbewerben geht.

Pulisic und Passlack sind Dortmunds juvenile Hoffnungen in einer bedeutsamen Saisonphase, in der dem Trainer Thomas Tuchel erfahrene Spieler im Ausmaß einer kompletten Mannschaft wegfallen. Mit diesem Manko spielen die Dortmunder am Dienstag Champions League bei Sporting Lissabon, am Samstag Bundesliga in Ingolstadt, am Mittwoch darauf DFB-Pokal gegen Union Berlin und am Samstag danach im vierten und gefühlt vielleicht sogar wichtigsten Wettbewerb namens "Traditionsderby": das Heimspiel gegen Schalke 04.

Wie schwierig all diese Partien angesichts des Ausfalls so vieler Stammkräfte werden können, hat sich am Wochenende gezeigt, als die Dortmunder mit der drittjüngsten Mannschaft ihrer Vereinshistorie (die Startelf war im Schnitt 22,9 Jahre alt) ein mühevolles 1:1 gegen Hertha BSC Berlin erwirkten. Nach dem Spiel hat sich dann auch noch Marcel Schmelzer mit einem Faserriss in den Adduktoren abgemeldet. Schmelzer war in der Startelf vom Freitag mit 28 Jahren der Älteste.

Zehn Spieler haben gegen Berlin gefehlt, mit Schmelzer wären es am Dienstag in Lissabon elf - falls kein anderer zurückkehrt. Hinzu kommt das Dilemma, dass Mikel Merino und Jo-Hoo Park vom BVB vor der Saison nicht in den 25 Spieler umfassenden Champions-League-Kader aufgenommen wurden. Zählt man sie hinzu, würde sich die Zahl der Dienstag-Ausfälle auf 13 erhöhen. Nächsten Samstag in Ingolstadt sind sie zwar wieder dabei, dann aber darf Emre Mor nicht mitspielen, weil er sich gegen Hertha eine rote Karte einhandelte. Tuchels Mannschaft stellt sich gerade fast von selbst auf, viel Spielraum hat der Trainer nicht. Spieler vom Kaliber eines Marco Reus, Gonzalo Castro, André Schürrle oder Raphael Guerreiro würden diesem BVB ein anderes Gesicht verleihen.

Tuchel muss gegen Hertha subtile Provokationen ertragen

Diese Ansammlung von Ausfällen hat indes wenig mit der Tuchel'schen Anklage zu tun, laut derer die Dortmunder unter dem robusten Spiel ihrer Kontrahenten zu leiden hätten. Thematisiert hatte Tuchel dies nach dem 0:2 in Leverkusen, konkretisiert hat er vor dem Spiel gegen Berlin, dass er eine gegnerische Zweikampfhärte ab einer Summe von "20 Fouls" für übertrieben erachte. Dass die Dortmunder von den Herthanern nun 21 Mal gefoult wurden, hat Tuchel mit Verweis auf seine lädierten Stimmbänder dann allerdings ignoriert - und wie einen Frosch tapfer hinuntergeschluckt. Ertragen musste er gleichwohl subtile Provokationen des Berliner Trainers Pal Dardai, der das vorangegangene, hart umkämpfte Spiel genüsslich als "Männerfußball mit vielen Zweikämpfen" adelte und mehrfach betonte: "Ich mag so was."

Tuchel mag das eher nicht. Seine technisch hoch talentierten, aber eben noch blutjungen Talente wie Pulisic, Passlack oder Ousmane Dembelé, 19, sind fragile Fußball-Ästheten und rustikale Bundesliga-Duelle aus dem Nachwuchsbereich nicht gewöhnt. Genau deshalb legte Tuchel öffentlich den Finger in diese Wunde und hoffte wohl nebenbei auf eine subtile Sensibilisierung der Schiedsrichter. "Die Dortmunder spielen gern Fußball und mögen es nicht, wenn es physisch wird", sagte der Berliner Mittelfeldspieler Per Skjelbred später.

In der Champions League nun gegen Sporting Lissabon

Nun wird es am Dienstag im dritten Gruppenspiel der Champions League vor dem Hintergrund dieser Debatte spannend sein zu sehen, ob sich die Fußballer von Sporting wohl des verschärften Körpereinsatzes als Stilmittel bedienen. Während ihrer 1:2-Niederlage bei Real Madrid begingen die Portugiesen 14 Fouls und bekamen drei gelbe Karten, beim darauffolgenden 2:0-Heimsieg gegen Legia Warschau begingen sie nur zehn Fouls und bekamen überhaupt keine gelbe Karte. Das sind Fairnesswerte, bei denen Tuchel eigentlich das Herz aufgehen müsste, zumal seine eigene Mannschaft mit 15 Fouls und vier gelben Karten beim 2:2 gegen Real Madrid rustikaler zur Sache gegangen ist als im Vergleich die Elf von Sporting Lissabon.

Bereits am Sonntagnachmittag sind die Dortmunder mit ihrem in den Vereinsfarben Schwarz und Gelb lackierten Charterflugzeug in die portugiesische Hauptstadt gejettet. An Bord flog die Hoffnung auf eine leichte Entspannung der Personalsorgen mit. Lukasz Piszczek und Adrian Ramos haben wieder trainiert, Sokratis absolvierte eine Laufeinheit. Ob sie unbedingt die bessere Wahl wären gegenüber den jungen Passlack, Pulisic oder Mor, ist aber fraglich.

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