Borussia Dortmund:Flucht ins Derby

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"Endspiel würde ich es nicht nennen" - aber am Samstag gegen Schalke geht es auch um den Job von BVB-Trainer Peter Bosz. (Foto: Bernd Thissen/ dpa)

Am Samstag muss der BVB einen Berg erklimmen: Das Revier­duell gegen Schalke 04 bietet die Chance, das internationale Scheitern zu verdrängen.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Mit hängenden Schultern schlichen die Verlierer über den Platz bis zur Südtribüne. Vor ihren euphorischsten und zugleich skeptischsten Fans schienen sie bereit zu sein zur Buße - doch das schwarz-gelb kostümierte Publikum empfing sie mit unerwarteter Begeisterung. Oben auf der Tribüne und unten auf dem Rasen hüpften Zuschauer und Fußballer - nach einem eigentlich deprimierenden Fußballabend samt Heim-Abschied aus der Champions League - gemeinsam für eine bessere Zukunft. Es war ein überraschender Akt des Trotzes und der Hoffnung - aber es war auch ein Ultimatum der Fans an die Spieler. Es gilt nur vier Tage, am Samstag gegen 17.20 Uhr läuft es ab.

Borussia Dortmund hat schon wieder verloren: fünf sieglose Spiele nacheinander in der Bundesliga, fünf jetzt auch in der Champions League, 1:2 gegen Tottenham Hotspur. Das Achtelfinale ist passé, die Europa League kein Trost, die Mannschaft deprimiert und der Trainer Peter Bosz ratlos - und doch bietet sich den Fußballern zur Versöhnung der Stammkundschaft eine einzige, eine ultimative Gelegenheit: das Revierderby gegen Schalke 04. "Am Samstag zählt es", stand nach dem Abpfiff am Dienstagabend auf einem Transparent der Fans; ihr Angebot zur Versöhnung verdichtete sich quasi auf diese vier Wörter. "Das Derby wird ein sehr, sehr wichtiges Spiel für uns", sagte auch der Mittelfeldspieler Mario Götze, und der Verteidiger Jeremy Toljan befand: "Das Derby hat so eine Wucht, wenn man das gewinnt, dann kann man hier die Stimmung vielleicht auch allein dadurch wieder drehen."

Nach dem Absturz in der Tabelle geht es jetzt auch um den Arbeitsplatz von Trainer Bosz

Nur ist "Wucht" eine Vokabel, die momentan nicht recht zum BVB passt. Nach einem berauschenden Saisonstart mit aggressivem Hochgeschwindigkeitsfußball hat sich die Elf am Dienstag endgültig von einem röhrenden Rennwagen in ein tuckerndes Moped verwandelt. Mit abwartendem Sicherheitsfußball wollte man Tottenham zermürben, mit einem radikalen Wandel zu fast gemächlicher Ballrotation wollte man den bisherigen Risikofußball begraben - und retten, was zu retten war. Tatsächlich ging der BVB gegen zunächst ebenfalls abwartende Engländer mit 1:0 (31.) in Führung. Pierre-Emerick Aubameyang schoss sein erstes Tor nach 507 erfolglosen Pflichtspielminuten. Es war wie ein Kuss auf dem Bahnsteig nach langer Trennung. Den Fans wurde wohlig ums Herz, doch die Elf auf dem Rasen verbreitete keinerlei Romantik mehr. Nach der Pause leistete sie kaum noch Gegenwehr, hatte keine Kraft, "kein Vertrauen", wie Trainer Bosz nach dem Spiel mangels anderer Theorien immer und immer wieder sagte. Es war offensichtlich, dass der Absturz dieser Mannschaft auch ihm ein Rätsel ist.

Der Patient BVB gehört jetzt eigentlich in ein Sanatorium, stattdessen muss er nun einen Berg erklimmen. Deprimierte Dortmunder gegen euphorische Schalker, das klingt nach einer einträglichen Sportwette für Zocker, allerdings weiß man vor diesem Revierderby nie, wer die Schöne und wer das Biest ist. Die Rollen werden erst im Laufe der Aufführung verteilt. Die Dortmunder wissen nicht, wo sie selbst stehen, "aber wir wissen, was am Samstag auf dem Spiel steht", beteuerte BVB-Kapitän Marcel Schmelzer. So einen Satz beziehen Beobachter natürlich auf den umstrittenen Trainer, aber Schmelzer verneinte explizit die Nachfrage, ob es gegen Schalke schon um den Arbeitsplatz von Peter Bosz gehe: "Die Mannschaft steht geschlossen hinter dem Trainer." Erklären konnte aber auch er nicht, warum das gegen Tottenham nicht zu erkennen gewesen war.

Die Spieler hatten vor allem in der zweiten Halbzeit nahezu alles vermissen lassen, was für Champions-League-Fußball erforderlich ist. Darum bekam Bosz später auch den umfänglichen Fragenkatalog für angeschlagene Fußballlehrer um die Ohren gehauen: Ist die Mannschaft nicht fit? Könnte ein Mentaltrainer helfen? Wird das nächste Spiel ein Endspiel für Sie? Bosz taumelte durchs Labyrinth der Erklärungsversuche: "Die Mannschaft ist fit, Endspiel würde ich es nicht nennen - und einen Mentaltrainer brauchen wir nicht, denn wir haben ja als Nächstes das Derby, das ist besser als jeder Psychologe."

Die Partie gegen das jüngst auf Tabellenplatz zwei gekletterte Schalke wird zum Lackmustest für das Verhältnis zwischen Dortmunds Fußballern und ihrem erst seit fünf Monaten amtierenden Trainer. Doch dieses Spiel ist auch eine Falle für Schwarz-Gelb. Denn spielt Dortmund gut und gewinnt, dann entpuppen sich die mauen Wochen mit nur einem Sieg in neun Pflichtspielen (gegen Drittligist Magdeburg im Pokal) als kuriose Farce - spielt Dortmund schlecht und verliert, ist die Geduld der Fans dahin und Bosz seinen Job vielleicht schon los. Wie auch immer das Spiel endet, der Trainer Peter Bosz, der Sportdirektor Michael Zorc und Vorstandschef Hans-Joachim Watzke stehen vor wegweisenden Stunden.

© SZ vom 23.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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