Borussia Dortmund:Dortmund-Coach Tuchel: "Den nötigen Respekt hatten wir alle nicht"

Von Felix Meininghaus, Dortmund

Thomas Tuchel stand am Spielfeldrand und fröstelte. Die Hände hatte er tief in den Taschen seiner langen Daunenjacke vergraben, man wäre am liebsten von der Tribüne helfend an die Seitenlinie geeilt und hätte dem Trainer von Borussia Dortmund eine Heizdecke um die Schultern gelegt. Schützende Fettpolster, die an kalten Dezemberabenden Wärme spenden, fehlen Tuchel ja gänzlich, und auch die Darbietungen seiner Mannschaft waren nicht dazu geeignet, ein Wohlgefühl zu verbreiten.

Im Gegenteil, der BVB verlor sein letztes Gruppenspiel in der Euro League gegen das internationale Leichtgewicht Paok Saloniki mit 0:1 (0:1). Tuchel und 55 200 Augenzeugen konnten sich beim schwachen Auftritt davon überzeugen, dass die Gastgeber ganz offensichtlich Probleme hatten, den Elan zu entwickeln, der nötig ist, um eine lästige Pflichtaufgabe souverän über die Bühne zu bringen.

Hernach sprach Tuchel davon, dies sei "kein dramatisches Ereignis", und irgendwie war er ja auch im Recht. Schließlich hatten sich die Dortmunder bereits in den Spielen zuvor die Berechtigung erworben, in Europa auch im kommenden Jahr präsent zu sein. Und doch blieb ein fader Beigeschmack, weil der Zweite der Bundesliga unter seinem neuen Trainer die erste Niederlage vor eigenem Publikum kassierte und sich dabei weit unter Wert verkaufte.

"Wir haben keine Lösungen für die Probleme gefunden, vor die uns der Gegner gestellt hat", analysierte Manndecker Neven Subotić treffend. Auf tiefstehende Gegner, die mit Mann und Maus verteidigen, trifft die Borussia regelmäßig, doch normalerweise findet diese technisch so versierte Mannschaft Möglichkeiten, das Abwehrbollwerk zu knacken. An diesem Abend fehlten sowohl Inspiration als auch Tempo und Überzeugung.

Hätte es sich Tuchel leicht gemacht, wäre ihm die hohe Belastung als Begründung für die Unpässlichkeit eingefallen. Schließlich hat hierzulande in dieser Saison kein Profiteam so viele Pflichtspiele absolviert wie Borussia Dortmund. Doch dieses Szenario ersparte er sich in dem Wissen, dass fünf Tage nach dem Sieg in Wolfsburg "alle frisch, alle erholt" auf den Platz gingen. Vielmehr vermisste der Schwabe die "absolut letzte Anspannung, den nötigen Respekt hatten wir alle nicht". Und weiter: "Das gewisse Etwas hat gefehlt."

Die Kritik bezog Tuchel explizit auch auf sich selbst. Vielleicht hatte er die wenig stringente Marschroute ja schon dadurch vorgegeben, dass er seine Aufstellung so kräftig durcheinanderwirbelte, dass ein Nobody wie der 19-Jährige Pascal Stenzel sein unverhofftes Profidebüt feiern durfte. Am Ende ging die brachiale Rochade in die Hose.

Was Tuchel tunlichst vermeiden will

"Uns hat die Gier gefehlt", monierte Matthias Ginter, und Kapitän Mats Hummels ergänzte: "Die erste Halbzeit war zu pomadig." Tatsächlich offenbarte die Partie, dass der BVB Probleme hatte, die richtige Einstellung zu finden. Genau das also, was Tuchel tunlichst vermeiden will. Bei seinem Amtsantritt im Revier hatte der extrem ehrgeizige Coach sein ganz persönliches Credo ausgegeben. Sein Ziel sei es, seinem Ensemble ein Selbstverständnis zu vermitteln, das den absoluten Willen beinhalte, in jedem Spiel an Grenzen zu gehen. Solch eine Haltung ist ehrenwert, doch im grauen Alltag schwer umzusetzen. Und deshalb ließ der Chef trotz der erkennbaren Enttäuschung Milde walten: "Ich will nicht ungerecht werden und zu viel verlangen."

Schließlich stehen bis zur Winterpause noch die beiden Bundesligapartien gegen Frankfurt und in Köln sowie das Pokalspiel in Augsburg auf der Agenda, bevor die geschlauchte Belegschaft in den Weihnachtstagen die Füße hochlegen darf. Wenn der Spielbetrieb Ende Januar wieder losgeht, darf sich Borussia Dortmund im europäischen Vergleich auf weitaus namhaftere Gegner einstellen, als die bisherigen aus Wolfsberg, Odds, Qäbälä, Krasnodar und Thessaloniki. Die potenziellen Gegner heißen Manchester United, Olympiakos Piräus, FC Porto, FC Liverpool, SSC Neapel, Lazio Rom oder Tottenham Hotspur.

Die Frage, ob er sich auf die K.-o.-Phase der Euro League freue, beantwortete Tuchel mit einem "klaren Ja". Nach den letzten Erfahrungen einer am Ende quälenden Vorrunde weiß Dortmunds Trainer, "dass meine Mannschaft die absolute Wertschätzung für alle Bereiche unseres Spiels braucht". Der schnöde Alltag gegen Paok Saloniki mag den BVB ein Stück vom Ideal seines beseelten Trainers abgebracht haben, aber die generelle Richtung soll darunter nicht leiden: "Ich bin der Überzeugung", sagte Tuchel, "dass wir in der Lage sind, in besonderen Spielen besondere Leistungen zu bringen."

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