Borussia Dortmund:Der BVB soll funktionieren - aber wie?

Trotz des Attentats auf den Mannschaftsbus will Dortmund erfolgreich Fußball spielen. Trainer Tuchel rätselt, ob das überhaupt möglich ist.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Der Fußballtrainer Thomas Tuchel ist Experte darin, seinen Spielern zu erklären, wie sie sich auf dem Rasen verhalten und miteinander umgehen sollen. Bei der Aufarbeitung des Sprengstoffanschlags vom vergangenen Dienstag funktioniert das nicht so einfach. "Es ist unglaublich schwer, darüber zu sprechen und es begreifbar zu machen", sagt Tuchel. Da helfe kein kollektiver Ansatz, um die Spieler von ihrer Last zu befreien: "Weil das Gießkannenprinzip nichts nützt, ziehen wir einen Experten für solche Extremsituationen hinzu und stellen jedem Spieler frei, das anzunehmen."

Beim 2:3 gegen den AS Monaco am Mittwoch hatte sich in der ersten Halbzeit (0:2) gezeigt, wie belastet die Spieler wirklich waren. Weitergehende Erkenntnisse soll die Ligapartie am Wochenende gegen Eintracht Frankfurt bringen.

"Die Spieler haben von dem Vorfall innerhalb des Busses ganz unterschiedliche Eindrücke", sagt Tuchel: "Einige Spieler hinten rechts haben die Explosionen gesehen, und wie etwas auf sie zufliegt." Dort saß auch der Spanier Marc Bartra, der als Einziger körperlich verletzt wurde und operiert werden musste. "Die Schmerzen, die Panik und die Ungewissheit, nicht zu wissen, was vor sich geht oder wie lange es dauert, machten daraus die längsten und härtesten Minuten meines Lebens", teilte Bartra am Freitag via Internet mit. "Der ganz große emotionale Schock kam bei vielen Spielern, als sie zu Hause ihre Kinder und Familien wiedergesehen haben und ihnen dieser Moment sehr besonders und wertvoll vorgekommen ist", sagte Tuchel.

Tuchel kämpft um den Traum

Mit gesellschaftlichen Reaktionen auf Bombenterror und Signalen an Terroristen hat Tuchels persönlicher Ansatz zur Aufarbeitung wenig zu tun. Der Trainer würde mit seiner Mannschaft einfach gern lange im Wettbewerb bleiben. "Es geht hier auch um unseren Champions-League-Traum, und für den fühlten wir uns bei der schnellen Neuansetzung des Spiels einfach übergangen." Für diesen Traum war es keine so gute Entscheidung, dass die Dortmunder einen Tag nach dem Anschlag und nach einer schlaflosen Nacht wieder spielen mussten. Die Niederlage hat die Aussichten minimiert, am Mittwoch im Rückspiel in Monte Carlo ins Halbfinale einzuziehen.

"Die Ereignisse vom Dienstag haben uns in den Knochen gesteckt", sagt Tuchel, "wir hätten uns mehr Zeit für eine Entscheidung zur Neuansetzung gewünscht, aber die hat man uns nicht gegeben." Tuchel klagte damit den europäischen Fußballverband Uefa an, vermied aber explizit zu erwähnen, dass auch BVB-Chef Hans-Joachim Watzke in die Entscheidung involviert war (auch wenn dieser nun in einem Spiegel-Interview angab, er habe erwogen, den BVB aus dem Wettbewerb zurückzuziehen). "Wenn einer der Leute, die das entschieden haben, im Bus gesessen hätte, dann hätten sie die Partie nicht gespielt", ist sich Tuchel sicher.

Tuchel: "Wie in einer Wolke"

Wie die Funktionäre die schnelle Neuansetzung einordneten, war schon am Dienstagabend aus einer Bemerkung des BVB-Präsidenten Reinhard Rauball deutlich geworden: "Das sind Profis, ich bin überzeugt, dass sie das wegstecken können." Trainer und Spieler betonten hingegen, der Anschlag sei ihnen als Menschen widerfahren - nicht als Fußballprofis.

So unerwünscht das Spiel am Mittwoch auch war, es schien nötig gewesen zu sein, um zu begreifen, wie es ihnen nach dem Attentat wirklich ging. "Am Mittwoch war das Gefühl noch diffus", sagt Tuchel, "man fühlte sich wie in einer Wolke." Dann kam das Spiel und mit ihm die Hoffnung, durch die schnelle Rückkehr in den Alltag ein Trauma zu verhindern. Ein Sieg gegen Monaco hätte die Sache vielleicht erleichtert, eine durchgängig starke Leistung wie in der zweiten Halbzeit hätte helfen können. Doch die der großen Belastung geschuldete erste Hälfte (0:2) war eine Hypothek.

Reus kann wieder spielen

Einen Tag nach dem Spiel saß Tuchel erneut in einer Pressekonferenz. Diesmal sollte er über das Spiel gegen Frankfurt sprechen, aber Tuchel kann zurzeit kaum unbelastet über Fußball reden. "Heute ist mein schlimmster Tag", sagte er. Mittlerweile war bekannt geworden, dass Nägel in den Bomben auch für Todesfälle hätten sorgen können. Das drohende Aus in der Champions League kommt sportlich als Belastungsfaktor hinzu. "Wir müssen einen Weg finden, mit allem klarzukommen", sagt Tuchel, "aber wir wissen noch nicht, wie das gehen soll. Wir müssen einen Umgang damit finden, der es uns erlaubt, wieder mit Spaß an die Sache ranzugehen - der beste Sportler bist du nur, wenn du dir keine Sorgen machst."

Tuchel berichtete dann noch lächelnd, dass der beim Anschlag verletzte Bartra trotz seines Gipses am liebsten schon wieder mitmachen möchte. Auch die angekündigte Rückkehr des verletzten Marco Reus kann zur Linderung beitragen. "Marco spielt wieder mit", sagt Tuchel. "Das ist eine gute Nachricht."

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