Borussia Dortmund:Die Risiken des Dortmunder Traumfußballs

Borussia Dortmund: Überzeugt das riskante Spiel des BVB auch gegen Real Madrid?

Überzeugt das riskante Spiel des BVB auch gegen Real Madrid?

(Foto: AFP)
  • Borussia Dortmund dominiert in der Bundesliga seine Gegner nach Belieben und avanciert zum ernsthaften Meisterschaftskandidaten.
  • Doch der Fußball, den Trainer Peter Bosz spielen lässt, birgt auch große Risiken.
  • Real Madrid kommt morgen zur Champions-League-Partie nach Dortmund und wird die Standhaftigkeit des Dortmunder Spiels prüfen.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

"Amusant", sagt man in den Niederlanden, wenn man "unterhaltsam" meint. Insofern äußerte sich Borussia Dortmunds niederländischer Trainer Peter Bosz nur allzu verständlich, als er nach dem 6:1 gegen Mönchengladbach sagte: "Das war amüsant." Ein Anflug von Arroganz, wie das die Formulierung im Deutschen nahelegen würde, war das also nicht.

Bosz schien vielmehr sogar darum bemüht zu sein, den Kantersieg rhetorisch zu entschärfen. Er ahnte ja längst, was so ein Ergebnis in der Branche auslöst. Während sich Gladbachs Trainer Dieter Hecking einer spontanen Fehleranalyse nach dem Schlusspfiff verweigerte und im Fernsehinterview blaffte, man brauche ihm die sechs Gegentore gar nicht vorzuspielen, suggerierten die ersten Internet-Medien bereits, Dortmund werde den Bayern die Meisterschaft diesmal streitig machen. Bebildert wurden solche Thesen mit dem neuesten Salto des Stürmers Pierre-Emerick Aubameyang, aufgenommen nach seinem achten Saisontreffer im sechsten Spiel.

Dortmunds Spiel gleicht einem Hochseilakt

Die Fußballmannschaft von Borussia Dortmund ähnelt zurzeit einer Varieté-Truppe. Eine 18er-Tordifferenz (19:1) nach sechs Spieltagen ist in der 54-jährigen Bundesliga-Historie bislang Rekord. Heißt: Aus durchschnittlich 68 Prozent Ballbesitz zaubern die sehr dominanten und sehr hoch stehenden Dortmunder alle 28 Minuten ein Tor. Das ist ungefähr so atemberaubend wie ein Hochseilakt im Zirkus, aber mitunter auch so gefährlich. Abgestürzt sind die BVB-Artisten in acht Pflichtspielen unter Bosz ja schon einmal: in der Champions-League bei Tottenham Hotspur. Am Dienstagabend kommt Real Madrid. Die Branche rechnet fest damit, dass es zumindest "amusant" wird.

Ein Fußballspiel dauert 90 Minuten, aber entschieden wird es gegen den BVB binnen Sekunden. Wer gegen die derzeit beste deutsche Mannschaft ein Tor schießen will, hat bloß vier Sekunden Zeit. Vier Sekunden lang versuchen die Dortmunder nach einem eigenen Ballverlust sehr aggressiv, den Ball sofort wieder zurückzugewinnen. Gelingt ihnen das in dieser Zeit nicht, dann ziehen sie sich erst einmal zurück. Die Mannschaft, die nahezu perfekt demonstriert hat, wie man Dortmund besiegen kann, war Tottenham. Im Champions-League-Spiel im Londoner Wembley-Stadion vor zwei Wochen nutzten die Spurs ihr Sekundenglück nach der Balleroberung gleich dreimal. Die Treffer durch Harry Kane (2) und Heung-Min Son genügten zu einem 3:1-Sieg. Dortmunds 64 Prozent Ballbesitz? Waren vergebens.

Die Gladbacher haben nun versucht, es ähnlich zu machen, aber sie hatten bei ihren Kontern nicht annähernd die Qualität der Spurs. In London haben Son (4.) und Kane (15.) die ersten beiden Konter direkt zu Toren genutzt, die Gladbacher versäumten ein mögliches frühes Tor durch Thorgan Hazard (10.). Ob dieses Spiel völlig anders verlaufe wäre, wenn Hazard die frühe Führung für Gladbach gelungen wäre? Möglich, aber eben: Spekulation.

Real Madrid wird den Dominanzfußball des BVB auf die Probe stellen

Natürlich ist diese Art zu spielen auch für Zweifel anfällig. Wie in der Saisonvorbereitung zu sehen war, als die Mannschaft sich nicht so richtig sicher zu sein schien, ob sie diesen Fußball, den der neue Trainer ihr da erklärte, auch wirklich spielen kann: sehr hoch stehen und nach Ballverlusten sehr aggressiv attackieren. Auch Gladbachs Trainer Hecking wusste eigentlich, wie man sich gegen Dortmunds Aggressivität wehrt. "Man muss nach der Balleroberung schnell hinter das Dortmunder Gegenpressing gelangen", hatte er vor dem Spiel gesagt. Hinter das Gegenpressing zu gelangen, bedeutet nichts anderes, als die Abwehrspieler schnell zu überspielen, sie klassisch auszukontern. Versucht haben die Gladbacher das - aber eben die Konter zu schlecht zu Ende gespielt.

Am Dienstag bekommen es die Dortmunder im eigenen Stadion nun mit Fußballern zu tun, die solche Konter recht gut zu Ende spielen können. Cristiano Ronaldo ist der weltbeste Fußballer in dieser Disziplin. "Real Madrid ist eine andere Größe als Gladbach", sagt Peter Bosz. Ronaldo kontert nicht nur besser als Stindl und Hazard, er ist auch noch einmal eine ganz andere Größe als Son und Kane von Tottenham. Insofern steht der Bosz-Fußball des BVB gegen Real vor seiner ersten, großen Bewährungsprobe. "Wir werden gegen Madrid sicher nach vorne spielen können und unsere Chancen haben", sagt Sportdirektor Michael Zorc, "aber wir müssen sehr sorgfältig sein im eigenen Ballbesitz, denn Ballverluste wie vor den zwei, drei Kontersituationen gegen Gladbach wird Real anders bestrafen - das ist ganz klar."

Dortmunds größtes Pfund ist zurzeit das Selbstvertrauen. Dass Marco Reus, André Schürrle, Raphael Guerreiro und Marcel Schmelzer verletzt fehlen und Ousmane Dembélé weg ist, merkt man kaum. Maximilian Philipp, Zugang aus Freiburg, erzielte gegen Gladbach seine Saisontore drei und vier. Andrej Jarmolenko, Zugang aus Kiew, wurde für Real geschont. Und der nach viermonatiger Pause erstmals wieder von Beginn an spielende Julian Weigl erzielte sein erstes Bundesliga-Tor.

"Traumhaft", nannte Weigl die Umstände des 6:1. Aber wie das mit Träumen so ist: Sie enden, wenn der Wecker klingelt. Und so wird es nun gegen Madrid spannend zu sehen sein, ob die Dortmunder dem großen Ronaldo ähnlich viele Räume im Rücken anbieten wie Tottenham und Gladbach - oder ob Peter Bosz auch einen Fußball in Auftrag geben kann, der etwas mehr auf Nummer sicher geht. Ronaldo würden vier Sekunden jedenfalls genügen, um einige Träume zu beenden.

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