Borussia Dortmund:Deutlich weniger Zucker

Borussia Dortmund v Wolfsberg - UEFA Europa League: Third Qualifying Round 2nd Leg

Windschnittig wie derzeit alle Dortmunder: Marcel Schmelzer hat abgenommen und ist pfeilschnell auf dem Flügel unterwegs.

(Foto: Christof Koepsel/Getty Images)
  • Linksverteidiger Marcel Schmelzer steht stellvertretend für die wieder erweckte Dortmunder Dynamik.
  • Im Heimspiel gegen Hertha BSC soll die Bestätigung des Kickstarts folgen.
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Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

So windschnittig hat selbst Marcel Schmelzers Ehefrau Jenny ihren Mann noch nicht gesehen. Nicht einmal auf den ältesten seiner Spielerfotos bei Borussia Dortmund, auf denen er 19 oder 20 Jahre alt ist, sieht Schmelzers Gesicht so schmal aus wie im Moment. Die vielleicht beste Fitness ihrer Profikarriere scheinen auch diverse Teamkollegen beim BVB derzeit zu haben, zum Beispiel die Nationalspieler Mats Hummels oder Ilkay Gündogan.

Doch der wahre Gewinner der ersten Wochen des Aufschwungs unter dem neuen Trainer Thomas Tuchel scheint Schmelzer zu sein. Nicht Ballkünstler und Torjäger wie Mkhitaryan, Reus, Aubameyang oder Kagawa kassieren derzeit die Bestnote bei der Borussia, sondern diese fällt oft dem blonde Linksverteidiger zu.

Die Borussia stand nach zwei 4:0-Siegen gegen Gladbach und in Ingolstadt in der Tabelle mal wieder auf Platz eins. Am Sonntag, im Heimspiel gegen Hertha BSC, soll die Bestätigung des Kickstarts folgen. Schmelzer wird gegen Berlin gesetzt sein, aber was ist nur mit ihm passiert?

Er ist ein zu unaufgeregter Typ, um mit großen Theorien aufwarten zu wollen. "Ich bin jetzt einfach über eine längere Strecke verletzungsfrei, gesund. Ich kann selbst in den Englischen Wochen immer voll durchziehen, ich kann unsere neue Vorstellung vom Spiel komplett umsetzen."

Beobachter und wohl auch sein Trainer wollen das erstaunliche Comeback aber nicht einfach reduzieren auf eine bessere Fitness. Schmelzer spielt mutiger, wirkt technisch sicherer, bisweilen wie ausgetauscht, flankt mit einer Rasanz und Präzision, wie man sie von ihm selbst in seiner besten Zeit in den Dortmunder Meisterjahren 2011 und 2012 nicht kannte. Manche glauben schon, dass "Schmelle", wie die Stadt ihn nennt, in einen Zaubertrank gefallen sein muss, wie man ihn von Miraculix und den Comic-Galliern kennt.

Die "überragende Form", die Schmelzer nach Einschätzung seines Trainers bisher durchgängig zeigt, wird im Ensemble des BVB zwar wie immer ein wenig überschattet von den Kabinettstückchen der Künstler-Abteilung. Aber das war immer schon so. "Das, was jetzt so gelobt wird, haben wir meiner Meinung nach vor zwei, drei Jahren ganz ähnlich gezeigt. Auch da habe ich nicht so schlecht gespielt", findet Schmelzer, "aber man sticht nicht so heraus, wenn neben einem solche Kaliber wie Shinji (Kagawa), Nuri (Sahin) oder Mario (Götze) spielen." Schmelzer gehört vielleicht auch deswegen zu den Profis, die im großen Geraune des Fußball-Betriebs oft unterschätzt werden.

Vor der WM in Brasilien wurde Schmelzer auf der Zielgeraden ausgemustert

Als großer Unterschätzer bewirbt sich gelegentlich auch Bundestrainer Joachim Löw. Seit 2010 hat Schmelzer es zwar auf 16 Länderspiele gebracht. Aber Löw rüffelte den inzwischen 27-Jährigen gleich zweimal öffentlich - was ein ungewöhnlicher Vorgang ist. Vor der WM in Brasilien wurde Schmelzer auf der Ziel- geraden, im letzten Trainingslager, unter merkwürdigen Umständen ausgemustert. Als Verteidiger nahm Löw lieber dessen Dortmunder Teamkollegen Kevin Großkreutz und Erik Durm mit. Eine Demütigung für Schmelzer, der die WM in Brasilien deshalb ebenso verpasste wie seine verletzten BVB-Kollegen Reus, Gündogan und Sven Bender.

Im Moment steht Schmelzer bei Löw wieder unter aufmerksamer Beobachtung, allerdings holte der Bundestrainer für die Länderspiele gegen Polen (kommenden Freitag) und Schottland (übernächsten Montag) einen anderen Dortmunder zurück: Matthias Ginter, den Weltmeister ohne WM-Einsatz, der jüngst in Ingolstadt als rechter Außenverteidiger aufgefallen war. Schmelzer schaut weiter zu.

Vielleicht hat Schmelzer lange Zeit ein wenig darunter gelitten, dass seine Karriere beim BVB allzu sehr mit der Überfigur Jürgen Klopp verbunden zu sein schien. Der Trainer Klopp hatte den jungen Schmelzer aus der zweiten Mannschaft in den Profikader befördert und ihn einer Vereins-Ikone, dem Brasilianer Dedê, vor die Nase gesetzt. Das mag Schmelzer das Image eingebracht haben, er funktioniere nur im System Klopp und sei ein reiner System-Arbeiter. Unter Tuchels in vieler Hinsicht neuer Trainingsleitung zeigt sich nun, dass Schmelzers Fähigkeiten eher verschüttet waren. Tuchel fordert extrem tief in Gegners Hälfte agierende Verteidiger. Schmelzer ist jetzt ständige Anspielstation, mit starker Passquote und Zug zum Tor.

So gut wie nie zuvor

"Im letzten Jahr", sagt Schmelzer, "nach meinem Handbruch im Spiel gegen Hamburg, habe ich schon angefangen, Flanken zu üben und zu üben, als ich nicht am Mannschaftstraining teilnehmen konnte. Das fruchtet halt jetzt."

Schon in der Rückrunde, als Dortmund sich noch vom letzten Tabellenplatz auf einen Europa-League-Rang (Platz sieben) vorarbeitete und fürs Pokal-Endspiel qualifizierte, war er offenbar auf dem Weg zum neuen Hoch. Fast jeder in Dortmund - außer Schmelzer selbst - scheint der Meinung zu sein, dass Schmelzer noch nie so gut war. Und das nach dieser langen Laufbahn: Auf 240 Bundesliga-Spiele (vier Tore) kommt er nun schon im Trikot des BVB.

Wenn man ihn etwas drängt, räumt Schmelzer sogar ein, dass die schmalen Gesichtszüge und die besondere Fitness auch mit der Umstellung der Ernährung zu haben, die Tuchels Trainerteam eingeführt hat. "Klar hat sich bei der Ernährung manches getan. Wir nehmen deutlich weniger Zucker zu uns, vor allem in den Getränken. Wenn man das ein Trainingslager und eine Vorbereitung lang durchzieht, ändert sich bei jedem etwas." In Dortmund, das sorgte bundesweit für Aufsehen, wurde vom neuen Team der Pizza&Pasta-Service in der Mittagspause abbestellt. Schmelzer sagt über den Verlust an Kohlehydraten: "Je mehr du merkst, dass Dinge etwas nützen, desto besser. Auch wenn das nur ein paar Prozentpunkte zum großen Ganzen beiträgt."

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