Borussia Dortmund:Der Stein, unter dem Peter Stöger sitzt

Bayern München - Borussia Dortmund

BVB-Trainer Peter Stöger nach dem 0:6 in München.

(Foto: Matthias Balk/dpa)

Aus dem Stadion von Thomas Hummel

Da verliert der stolze Ballsportverein Borussia Dortmund in München mit 0:6, und der Trainer sagt danach: "Vielleicht ist es gut, dass wir mal eine richtige Klatsche gekriegt haben. Dass man vielleicht mal alle Steine hier umdreht." Peter Stöger sagte das nicht aus der Wut heraus, nicht aus dem Affekt nach einer schockierenden Niederlage. Sondern ruhig, sachlich, mit einer Art trotziger Gelöstheit. Und er sagte es nicht nur einmal, sondern zuerst in die eine Kamera, dann in die nächste. Nach dem Motto: So, jetzt ist es raus, die Mannschaft ist einfach nicht so gut, und ich kann nicht zaubern.

Wer die Zeit seit August hinter dem Mond verbracht hatte, zufälligerweise an diesem Samstagabend zurückkam und sich darüber freute, dass das Spitzenspiel der Fußball-Bundesliga anstand, der verstand die Welt nicht mehr. War das nicht der deutsche Clásico? Eins gegen Zwei (beziehungsweise laut Tabelle: Drei) des Landes? Ein Spiel auf Augenhöhe, unberechenbar? Das konnte nicht die Mannschaft des BVB sein, die da in Gelb und Schwarz herumirrte. Kraftlos, ideenlos, mutlos. 0:3 nach 23 Minuten. 0:5 nach 45 Minuten.

Dass in der zweiten Halbzeit nur noch ein weiteres Gegentor dazukam, war keineswegs neuen Dortmunder Kräften zuzuschreiben. Die Bayern berichteten hinterher ohne Scham: "Am Ende hat man gesehen, dass wir in der zweiten Halbzeit ein bisschen Gas rausgenommen haben." Das war Thomas Müller. Mats Hummels stimmte zu: "In der zweiten Halbzeit ging es darum, dass wir uns nicht komplett verausgaben müssen." Damit nahm die Dortmunder Demütigung zerstörerische Ausmaße an.

Rund um die Mannschaft baut der Klub bereits neue Strukturen auf

Laut Sportdirektor Michael Zorc habe die Bereitschaft gefehlt, sich der Niederlage entgegen zu stemmen. Das habe nichts mit Taktik zu tun gehabt, oder mit der Aufstellung. "Heute haben die Grundtugenden gefehlt." Er verwendete damit das gleiche Wort wie Trainer Stöger. Die Grundtugenden: Einstellung, Kampfbereitschaft, Einsatzwille. So weit ist es gekommen in Dortmund. Mittelfeldspieler Julian Weigl, der mit einem rätselhaften Ballverlust das 0:5 eingeleitet hatte, sagte: "Wir waren von Anfang an zu ängstlich, sind nie in die Duelle gekommen." Und wenn der BVB den Ball hatte, habe der Mut gefehlt und die Genauigkeit im Passspiel. "Wir konnten heute einfach nur lernen."

Dabei hatte die Borussia zuvor in der Bundesliga zwölf Mal nicht verloren und sich unter dem Trainer Stöger im Kampf um die Champions-League-Plätze gut gehalten. Noch immer liegt der Klub auf Rang drei der Tabelle. Und doch hatte sich der Niveau-Verfall in vielen Phasen dieser Saison angedeutet. Nach diesem Auftritt in München wird es im Klub kurzfristig nur noch um eines gehen: Irgendwie durchzuhalten, um in den letzten sechs Saisonspielen noch genügend Punkte für Platz zwei, drei oder vier zu sammeln. Und danach stellt sich eine zweite Frage in Dortmund: Woran liegt es? Sind die Spieler zu schwach? Ist der Trainer der falsche? Oder stimmt beides?

Rund um die Mannschaft baut der Klub bereits neue Strukturen auf. Sebastian Kehl soll der sogenannte Leiter der Lizenzspielerabteilung werden und als solcher nah an der Mannschaft dran sein, mit Spielerberatern reden und der medizinischen Abteilung. Zorc will als Sportdirektor die Strategien festlegen, Transfers tätigen, die grundsätzliche sportliche Ausrichtung bestimmen. Matthias Sammer hat zugesagt, als externer Berater den Verein von außen zu beobachten und mit seinen scharfen Analysen zu helfen, wieder aufs europäische Topniveau zu kommen.

"Wir können es deutlich besser", sagt Sportdirektor Michael Zorc

Denn davon ist der Klub derzeit weit entfernt. Vor einem Jahr unter Thomas Tuchel stand Dortmund noch im Viertelfinale der Champions League, ehe die Irritationen nach dem Attentat auf den Mannschaftsbus die europäische Reise beendeten. Danach gelang immerhin noch der Sieg im DFB-Pokal - übrigens mit einem Halbfinal-Erfolg zuvor in München. Nimmt man die Leistungen von vor zwölf Monaten als Maßstab, ist die Borussia fußballerisch abgestürzt wie selten eine Mannschaft zuvor.

Vor allem im Mittelfeld waren die Dortmunder in München heillos unterlegen. Sie versuchten sich wie gewohnt nach vorne zu kombinieren, setzten den Plan aber so ungenau um, dass der nächste Ballverlust immer nur eine Frage der Zeit war. Einmal den Ball verloren, wurden die Gäste von den Bayern förmlich weggespült. Tempo, Passspiel, Zweikämpfe, Dribblings - die Dortmunder kamen kaum hinterher. Die Bayern hätten nur auf die Ballverluste gewartet, analysierte Stöger, "und dann haben sie diese beinhart ausgenutzt". Am auffälligsten war das beim 0:3, nachdem Gonzalo Castro im Mittelfeld versucht hatte, James zu tunneln. Danach dauerte es keine fünf Sekunden, bis der Ball im Netz lag. Wenige Minuten später wechselte ihn Stöger aus. Er hätte auch fast jeden anderen runternehmen können.

Stögers Taktik schien zudem auf halber Strecke stecken zu bleiben. Dortmund deutete hier und da ein Pressing an, oder auch ein Gegenpressing nach Ballverlusten, traute sich aber nicht ganz und stand hinten dennoch viel zu offen. "Das hat den Bayern viele Räume gegeben und dann kriegst du hier halt eine Packung", kritisierte Stürmer André Schürrle. Kurz vor dem Gang zum Mannschaftsbus sagte Sportdirektor Zorc noch: "Wir können es deutlich besser. Aber wir waren heute weit von dem entfernt, was wir uns vorstellen." Das hörte sich eher nach Trainerschelte an.

Der findet es ja ohnehin gut, dass jeder Stein umgedreht wird. Also auch der, unter dem er sitzt. Für diesen Fall baute Peter Stöger in München schon einmal vor, indem er erklärte: "Mein Leben definiert sich nicht darüber, dass ich beim BVB an der Seitenlinie stehe."

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