Borussia Dortmund:Der BVB ist unter Stöger erlahmt

Pressekonferenz Borussia Dortmund

Reagierte gereizt auf das Ausscheiden in der Euro League: Dortmunds Trainer Peter Stöger.

(Foto: dpa)
  • Der BVB im Jahr 2018 hat nicht mehr viel gemeinsam mit dem BVB, der einst zu den angesagtesten Mannschaften Europas zählte.
  • Trainer Peter Stöger kritisiert nach dem Aus in der Europa League Mario Götze in ungewöhnlicher Schärfe.
  • Die Borussia hat unter Stöger noch nie den angriffslustigen Fußball gespielt, der mal typisch für sie war.

Von Sebastian Fischer, Salzburg

Sokratis sah einsam aus. Er war zwar nicht allein, rund 30 000 Menschen sahen ihm im Stadion in Salzburg bei der Arbeit zu, und 21 Fußballer standen mit ihm auf dem Platz, von denen zehn die Aufgabe hatten, mit ihm Fußball zu spielen. Doch niemand wollte dem Verteidiger helfen, als er den in diesen Tagen nicht sehr aussichtsreichen Versuch unternahm, einen Angriff für Borussia Dortmund zu eröffnen. Sokratis ruderte mit den Armen, seine Gesten sagten: Kommt auf mich zu, bietet euch an! Er brüllte, die Augen aufgerissen. Doch es kam niemand.

Die vergangenen Jahre waren beim BVB so kompliziert, wie sie in einem Fußballverein sein können: Spieler wollten gehen, Trainer mussten gehen, es ging nicht immer um Fußball. Aber die Jahre waren stets von Erfolgen geprägt, gerade im Europapokal, es waren rauschende Nächte in Madrid oder Liverpool. Vielleicht werden sie sich beim BVB gerade deshalb lange an dieses 0:0 beim FC Red Bull Salzburg erinnern, an das Ausscheiden im Achtelfinale der Europa League, das einer glanzlosen Dortmunder Saison das letzte Glänzen nahm. Seit Donnerstagabend hat der BVB des Jahres 2018 auch in Europa nicht mehr viel gemein mit dem BVB von einst.

Es gab sicher BVB-Fans in Salzburg, die in der 21. Minute in Nostalgie verfielen. Anstelle von Sokratis hätte vor ein paar Jahren noch Mats Hummels den Ball geführt. Hätte er keine Anspielstation gehabt (was eher unwahrscheinlich war), hätte er den Rücken durchgedrückt, hätte ein wenig ausgesehen wie Franz Beckenbauer - und hätte ein verrücktes Dribbling begonnen oder einen verrückt genauen Pass nach vorne gespielt. Dort hätte Robert Lewandowski ein Tor geschossen. Vielleicht hätte er auch abgelegt, auf Henrikh Mkhitaryan zum Beispiel. In einer noch früheren Zeit hätte ein Talent namens Mario Götze zwei Übersteiger beigetragen, die sich die Leute in der Zeitlupe hätten anschauen müssen, um sie zu verstehen.

Dieser Götze wäre natürlich nicht zu verwechseln gewesen mit dem Götze, 25, der am Donnerstag in Salzburg in der 21. Minute seinem Kollegen beim Scheitern zusah. Sokratis, der eher nicht als griechischer Beckenbauer gilt, passte den Ball verzweifelt irgendwo in die Nähe eines anderen BVB-Innenverteidigers namens Dan-Axel Zagadou. Der verlor ihn. Und Salzburg hatte die nächste Torchance.

Götze und Reus sind jene Protagonisten, die aus der erfolgreichen Zeit übrig sind

Peter Stöger, der für diesen Fußball verantwortliche Trainer, streifte später die großen Fragen, als er das enttäuschende Ergebnis erklären sollte. "Sind wir in der Lage, in der Situation, in der wir jetzt sind, mit den Spielern, mit der Konstellation, diese großartigen Dinge, die es beim BVB irgendwann einmal vor ein paar Jahren gegeben hat, so in der Größenordnung abzuliefern?" Das müsse man nun analysieren, fand er, nachdem er selbst analysiert hatte, seine Mannschaft habe "in der ersten Halbzeit richtig schlecht" gespielt.

Der BVB hatte in der ersten Halbzeit keine einzige Gelegenheit herausgespielt, Stöger wechselte zur Pause Marco Reus aus, der nach langer Verletzungspause immer noch angeschlagen ist, und er wechselte Götze aus. Er sei "überhaupt nicht einverstanden" gewesen mit Götzes Leistung, erklärte Stöger und präzisierte, was er alles vermisst hatte: Pässe in die Tiefe, Laufwege hinter die gegnerische Abwehr, eine spielerische Linie - alles eigentlich. Es ist sehr selten, dass Trainer einzelne Spieler öffentlich derart deutlich kritisieren.

Götze und Reus, das sind jene Protagonisten, die aus der erfolgreichen Zeit noch übrig sind. 2013, als das britische Fußballmagazin FourFourTwo den BVB den "angesagtesten Klub Europas" nannte, waren die beiden neben Trainer Jürgen Klopp auf dem Titel abgebildet. Es passte ins Bild, dass Bundestrainer Joachim Löw beide am Freitag nicht für das erste Länderspiel des Jahres nominierte.

Für Stöger spricht die gute Bilanz in der Liga

Nun lag Stöger zwar durchaus richtig mit seiner Einschätzung. Reus und Götze spielten schwach wie die ganze Dortmunder Mannschaft. Der BVB wurde verhöhnt von den Zuschauern in Salzburg, es waren ausnahmsweise viele gekommen, normalerweise liegt der Schnitt des österreichischen Tabellenführers bei 6200 Besuchern. "Echte Liebe ist rot-weiß", hatte der Red-Bull-Klub als Motto ausgegeben. "Echte Liebe", das ist der Slogan, mit dem der BVB seit 2010 wirbt. Lange passte das ja zum kämpferischen, ehrlichen, offensiven Fußball auf dem Rasen.

Dortmund hätte zwei Tore schießen müssen, um nach der Niederlage im Hinspiel noch weiterzukommen, doch der BVB kam nicht mal einem Tor nahe, wurde wie im Hinspiel vorgeführt von schnellen, perfekt verschiebenden, wie eine Maschine funktionierenden Salzburgern. Was Stöger in seiner Analyse eher vernachlässigte, war sein eigener Anteil daran.

Stöger hat nie den angriffslustigen Stil spielen lassen, der typisch für Dortmund war

Der Österreicher, 51, ist im Dezember als Wohlfühltrainer für eine Mannschaft gekommen, die zuvor in acht Bundesligaspielen unter Vorgänger Peter Bosz nur drei Punkte gewonnen hatte und von dessen Offensivtaktik verunsichert war. Stöger hat in elf Bundesligaspielen keinmal verloren, Dortmund ist Dritter. Doch der BVB hat unter Stöger noch nie so Fußball gespielt, dass es dem angriffslustigen, anspruchsvollen Stil entsprach, der mal typisch für Dortmund war.

Unter Thomas Tuchel übten die Spieler im Training nicht nur passen, sie spielten, je nach einstudierter Situation, ihren Kollegen in den linken oder rechten Fuß. Auch unter Bosz arbeitete der BVB mit entsprechender Akribie an Technik und Taktik. Nun, heißt es, werde das Standardpensum eines Erstligisten abgespult, ähnlich wohl wie in Köln, bei Stögers ehemaligem Klub. Wo es früher um Feinheiten ging, werde unter Stöger eher eine Runde gekickt.

Es geht nun für den Rest der Saison darum, die Qualifikation für die Champions League zu sichern; bloß nicht zu jenen Klubs abrutschen, die um Plätze in Europa kämpfen, das ist wie immer das Minimalziel. Dass es im Sommer mit Stöger weitergeht, sieht eher wie die unwahrscheinliche Variante aus, Gespräche soll es Ende März geben. Doch sie haben beim BVB wohl nicht erst in Salzburg erkannt, dass es nicht damit getan ist. Sie brauchen noch etwas anderes: ein paar frische Ideen.

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