Dortmund ohne Jürgen Klopp:Ende der Pubertät

Lesezeit: 4 min

Wirkt wie ein vergilbendes Dokument aus lange vergangener gold-schwarzer Zeit: Das Dortmunder Trio Zorc (l.), Klopp und Watzke feiert das Double 2012. (Foto: imago)
  • Borussia Dortmund sortiert sich nach dem Rückzug von Jürgen Klopp neu.
  • Schon in der Hinrunde gab es Gedankenspiele mit Thomas Tuchel.
  • Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc trauen Tuchel zu, den BVB spielerisch weiterzuentwickeln.
  • Bekannte von Jürgen Klopp rechnen damit, dass er eine Auszeit nimmt.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Pressekonferenzen sind selten dazu da, der ganzen Wahrheit zum Recht zu verhelfen. In der Regel sollen sie eine spezielle Version eines bestimmten Themas vermitteln oder zumindest ein paar Sprachregelungen unters Volk bringen. Das war am Mittwoch nicht anders, als Jürgen Klopp und Borussia Dortmund verkündeten, dass sich ihre Wege drei Jahre vor Ende der Vertragslaufzeit trennen. Tatsächlich aber ließ sich die Tiefe des klassischen Dramas nicht abbilden. Im Zeitalter designter medialer Oberflächen ist für gemischte Gefühle kein Platz.

Noch am Tag vor der Trennung hatte Dortmunds unumschränkter Boss Hans-Joachim Watzke einen Rücktritt seines Trainers für unwahrscheinlich gehalten. Für "eine Option" zwar schon, aber nicht für eine reale. Watzke wirkte niedergeschlagen, weil ihn, offenbar ähnlich wie Klopp, eine merkwürdige Ausweglosigkeit befallen hatte. Schon seit Wochen war da dieses diffuse Gefühl, dass Klopp das Ruder nicht mehr würde herumreißen können - und dass ihm das womöglich auch in der nächsten Saison nicht gelingen würde.

Und zugleich war Watzke und seinem Sportdirektor Michael Zorc klar, dass sie den emotionalen Helden des BVB-Märchens auf keinen Fall würden entlassen können. Und dass sie das, noch wichtiger, erst recht nicht wollten.

So ein Ende wäre auch zu profan für diese ganz spezielle Zusammenarbeit gewesen. Als Alternative hätten Watzke und Zorc am Ende dieser vermaledeiten Saison acht bis zehn Spieler austauschen können, um für den nächsten Anlauf irgendeine neue Art von Dynamik zu erzeugen. Aber geht so eine personelle Blutwäsche mit den finanziellen Mitteln des BVB?

Klopp musste mit Ansehen, wie ihm seine Elf entglitt

Die Aussicht, nur vor dieser Alternative zu stehen, hat Watzke und Zorc in den vergangenen Wochen und Monaten emotional unter einen Dauerdruck gesetzt, der dem wohl nicht nachstand, den Klopp selber auszuhalten hatte. Für einen, der zeitweise das Gefühl haben durfte, dass er demnächst über Wasser gehen kann, muss es ein Martyrium sein, machtlos mitansehen zu müssen, wie ihm seine hoch dotierte, möglicherweise überschätzte Elf immer mehr entglitten ist.

Schleichend hatte der Niedergang schon 2013 begonnen. Die Unfähigkeit, tief verteidigende Gegner auszuspielen, statt sie niederzurennen, wurde aber noch eine Weile überdeckt. In der vorigen Saison holte der BVB in der Rückrunde 40 Punkte und wurde noch mal Zweiter. So ein Turnaround war jetzt nicht mehr möglich.

B- und C-Pläne gab es schon länger

Schon im November 2014, als die Elf eine Niederlage nach der anderen einfuhr, hatten Watzke und Zorc angefangen, sich mit B- und C-Plänen für die Trainerfrage zu beschäftigen. Nicht wegen des Tabellenstandes, der immer beklemmender wurde, sondern unter anderen Vorzeichen: Die BVB-Macher mussten ernsthaft befürchten, dass der als emotional bekannte Klopp Knall auf Fall zurücktreten würde.

Aus Enttäuschung und Wut, beinahe schon im Affekt.

Und was dann? Schon damals haben Watzke und Zorc sich mit der offenbar einzig echten Alternative Thomas Tuchel beschäftigt - mit jenem Mann, der Klopp nun offenbar nachfolgen soll. Tuchel, so wurde schon im Dezember beim BVB laut gedacht, habe in Mainz zwar oft einen ähnlichen Überfall-Fußball spielen lassen wie jenen, der sich unter Klopp gerade als Auslaufmodell herausstellte.

Aber Tuchel ist breiter in seiner Stilpalette, beim BVB trauten sie ihm damals schon zu, einen reiferen, zur Not weniger romantischen Fußball einstudieren zu können. Dem erschöpft wirkenden Klopp traute man das da schon nicht mehr zu.

Ende der Hinrunde, der BVB war auf Augenhöhe mit dem damaligen Tabellenletzten Freiburg angekommen, hatte Klopp seinen Vorgesetzten erklärt, dass sich die Wende im Frühjahr fast von allein einstellen würde - wenn alle wieder fit wären, wenn man mit dem alten Vollgasfußall zurück in die Zukunft donnern könnte. Ob Klopp das selbst für wahrscheinlich hielt oder ob sich in einer Winterpause kaum Alternativen zum "Weiter so" bieten?

Spieler wie Mats Hummels waren in einer Zwickmühle

Bei aller Nibelungentreue, die sich Klopp, Watzke und Zorc die ganze Saison über geschworen haben, gab es aber jene tiefere Erkenntnis aus dem klassischen Drama: Dass für zwei Herzen in einer Brust nicht auf Dauer Platz sein kann. Die Mannschaft schien es ebenso zu zerreißen.

Typen wie Kapitän Mats Hummels, der über weite Strecken seine schlechteste Bundesliga-Saison spielt, pendeln zwischen emotionaler Verbundenheit mit ihrem faszinierenden Trainer und der rationalen Erkenntnis, von eben diesem Trainer zu wenig Anhaltspunkte an die Hand zu bekommen, wie man der eigenen Fußballer-Pubertät entkommen könnte. Auch Spieler haben die Statistiken gelesen, wonach die Bayern wenig laufen und viele Punkte sammeln - während der BVB am meisten läuft und die wenigsten Punkte dafür holt.

Die letzte Forderung: Pokalsieg oder Platz sieben

Jürgen Klopp hat am Mittwoch verkündet, dass er sich "nicht müde" fühle, auch wenn er gelegentlich so aussehe. Pointen sind halt sein Fach. Tatsächlich aber wäre er ein Übermensch, wenn er sich nicht müde fühlte. Es wäre außerdem nicht klug, die letztverbliebenen Saisonziele mit so einem Geständnis zu gefährden.

Klopps Elf kann mit zwei guten Tagen, wie es sie selbst in dieser Saison ab und zu gab, noch Pokalsieger werden. Alternativ muss sie aber - so lautet die beinahe schon ultimative Forderung des Geschäftsführers Watzke - jenen siebten Tabellenplatz erreichen, der den BVB in die kleine Europa League brächte und massivere finanzielle Verluste verhindern würde. Klopp muss noch ein paar Spiele lang Vitalität und Ungebrochenheit demonstrieren, muss die letzten guten Sprüche raushauen und alle so lange umarmen, bis sie sich stärker fühlen.

Sieben Jobs für BVB-Trainer
:Durch die Nacht mit Domian Klopp

Gleich ein neuer Job? Oder erst mal ein Sabbatical? Jürgen Klopp hat sich noch nicht geäußert, was er nach seiner Zeit bei Borussia Dortmund zu tun gedenkt. Wir hätten da sieben Vorschläge.

Von Carsten Eberts, Matthias Schmid und Martin Schneider

Das wahrscheinlichste Szenario: Eine Auszeit

Auch wenn englische Klubs wie Manchester City angeblich heiß auf Klopp sind: Für den Coach wäre - sagen Vertraute - eine Auszeit wohl das Beste. Und der staatsmännisch über die Bühne gebrachte Abschied lässt sowohl dem BVB als auch Klopp die Chance, irgendwann noch mal gemeinsam zu arbeiten - so wie einst Ottmar Hitzfeld noch mal zum FC Bayern zurückkehrte.

Keiner kann ja abschätzen, wie Klopps potenzieller Nachfolger Thomas Tuchel beim BVB ankommt. Sein Erbe ist Tonnen schwerer als das von Klopp, der den Klub mit bescheidenen Ansprüchen auf Platz 13 von Thomas Doll übernahm.

Fraglich, ob jemals wieder ein Trainer so zu Klub und Stadt passt

Ohnehin muss es als fraglich gelten, ob je wieder ein Trainer so zu den Sehnsüchten und zur Mentalität des BVB-Anhangs passen wird wie Klopp. Tuchels Tonfall ist eher ein akademischer, er taugt weniger zum Guru, womöglich werden ihm nicht auf Anhieb alle Sympathien der Klopp-gläubigen BVB-Gemeinde zufliegen. Und mancher BVB-Anhänger kann sich womöglich eher mit einem zehnten Platz unter dem Sympathieträger Klopp abfinden als mit einem spielerisch weiter entwickelten, aber etwas weniger abenteuerlichen Fußball unter neuer sportlicher Leitung.

Aber umgekehrt gilt das alles auch für Jürgen Klopp: Ob er jemals wieder emotional so zu einem Klub und zu einer Stadt passen wird wie zu Dortmund und zum BVB, das darf man ruhig bezweifeln.

© SZ vom 17.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: