Borussia Dortmund:Sechs Gründe, weshalb der BVB schwächelt

Europa League Round of 16 Second Leg - RB Salzburg vs Borussia Dortmund

BVB-Kapitän Marcel Schmelzer.

(Foto: Leonhard Foeger/Reuters)

Borussia Dortmund hat kaum noch etwas gemein mit der Mannschaft, die vor einigen Monaten ganz Europa begeisterte. Das hängt mit den Führungskräften zusammen, aber auch mit dem Spielsystem.

Von Sebastian Fischer und Christopher Gerards

Es ist nicht so, dass bei Borussia Dortmund alles schlecht wäre, das Team liegt in der Bundesliga vor dem Spiel an diesem Sonntag gegen Hannover (13.30 Uhr) noch immer auf Platz drei. Aber dass etwas nicht stimmt, darauf deutet nicht nur das Europa-League-Aus gegen Salzburg hin, sondern auch die Aussagen der Verantwortlichen. Sportdirektor Michael Zorc sagte am Freitag zum Beispiel mit Blick auf die Spieler: "Wir halten die Augen sehr geöffnet und beobachten ganz genau, was hier in den letzten Monaten passiert ist und was in den kommenden Monaten auf dem Platz passieren wird." Was in den letzten Monaten passiert ist, das hat natürlich nicht nur Michael Zorc beobachtet. Sechs Gründe für die BVB-Formschwankungen.

Die Führungsspieler-Frage

Bevor Marcel Schmelzer das Stadion von Salzburg verließ, machte er noch einen Witz. "Wie oft schreiben irgendwelche Leute, dass wir keine Führungsspieler haben", sagte er und schaute lauernd in Richtung der Leute, die das seiner Meinung nach oft schreiben. "Deshalb haut ja keiner auf den Tisch bei uns." Was Schmelzer sagen wollte: Ich bin ein Führungsspieler; ich haue auf den Tisch.

Schmelzer, seit Januar 30 Jahre alt, ist beim BVB längst zum begabtesten Krisenredner geworden, nach Niederlagen steht er vor den Mikrofonen und weiß eine Antwort, er wäre inzwischen wahrscheinlich ein geeigneter SPD-Generalsekretär. Sein Wort hat auch bei Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke Gewicht, man könnte ihn einen Aki Allstar nennen (der andere Aki Allstar wäre dann der momentane Ergänzungs- und Führungsspieler Nuri Sahin). Auf dem Platz ist er immer einer, der kämpft, weshalb er hinterher mit Recht erklären darf, es müssten alle mehr kämpfen.

Doch es gehört zu den Fragen, die Michael Zorc durchaus stellen könnte, ob der Linksverteidiger Schmelzer, seit 13 Jahren im Verein, als solcher sportlich in Zukunft noch das hohe Champions-League-Niveau hat, das sie in Dortmund gerne wieder erreichen würden. Schmelzer hat zum Beispiel in dieser Saison noch kein Tor vorbereitet. Zum Vergleich: Augsburgs Philipp Max ist - ebenfalls als Linksverteidiger - mit 13 Vorlagen der beste Vorbereiter der Liga. Nun spielt Augsburg zwar ein ganz anderes System. Doch noch 2016, dies nur eine Statistik als Indiz, bereitete Schmelzer selbst in der Liga in 26 Spielen noch fünf Treffer vor. Schmelzer, Sahin, das sind die Dortmunder Führungsspieler, als solche sind sie wertvoll. Doch es ist mit Führungsspielern so: Sie sollten nicht nur auf den Tisch hauen. Sie sollten bestenfalls sportlich auch vollkommen unumstritten sein.

Die Breite im Kader, die gerade eher dünn ist

Eines ist Emre Mor sicher nicht vorzuwerfen: Dass er abseits des Rasens keine gute Figur abgegeben hätte. Mor, 20, im Sommer 2016 als großes Talent nach Dortmund gewechselt, trug Mützen, die oft derart glitzerten, dass er durchaus mit dem glitzernden Stürmer Pierre-Emerick Aubameyang konkurrieren konnte. Nur auf dem Platz glänzte der begabte Dribbler beim BVB nicht so oft, seit dem vergangenen Sommer steht er bei Celta Vigo in Spanien unter Vertrag. Mors Geschichte ist durchaus beispielhaft.

Wirtschaftlich war sein kurzer Aufenthalt für den BVB erfolgreich, er kam für rund zehn Millionen Euro und ging für die Ablöse von rund 13 Millionen. Doch seine eigentliche Aufgabe, eine wichtige Ergänzung im Kader darzustellen und langfristig zum Stammspieler heranzuwachsen, die erfüllte er nicht. Der BVB wird für seine Transfers oft gelobt, vor allem durch den Verkauf von Ousmane Dembélé zum FC Barcelona steht ein riesiges Transferplus zu Buche. Aber der sportliche Ertrag?

Dan-Axel Zagadou zum Beispiel, der 18 Jahre alte französische Verteidiger, war mit den schnellen Salzburger Angreifern am Donnerstag eher überfordert. Auch Jadon Sancho, 17, oder Alexander Isak, 18, sind wohl noch etwas zu jung, als dass sie den Kader bereits entscheidend verstärken können. Für einen Ausbildungsverein, der sich das erlauben kann, ist der BVB in den vergangenen Jahren dem eigenen Anspruch gemäß zu sehr gewachsen.

So etwas ähnliches wie Spielaufbau

Nach dem 0:0 in Salzburg erinnerte sich Marcel Schmelzer an den Plan vor dem Spiel: "In der ersten Halbzeit haben wir versucht, hinten raus zu spielen, haben versucht, spielerisch Lösungen zu finden", sagte er, kam aber zu dem Fazit: "Das ist uns nicht gelungen." Pointiert zeigte die Begegnung die Dortmunder Probleme im Spielaufbau, das Pressing der Salzburger überforderte sie regelrecht. Den Dortmundern versprangen Bälle, die Dortmunder schlugen Befreiungsschläge, die Dortmunder spielten Fehlpässe.

Einmal, der Innenverteidiger Sokratis wollte das Spiel aufbauen, fand sich keine Anspielstation. Sokratis gestikulierte, er forderte seine Mitspieler auf, ihm zu helfen, aber niemand half. Irgendwann entschied er sich für einen Querpass, der allerdings sogleich beim Gegner landete und diesem eine gute Chance ermöglichte. Mit Marc Bartra verließ der fußballerisch stärkste Innenverteidiger den Klub im Januar (nicht unbedingt aus sportlichen Gründen). Und einer, der sich in den vergangenen Jahren quasi zum Synonym für gelungene Spieleröffnungen entwickelt hat, ist auch nicht mehr da: Mats Hummels kickt in München.

Das Offensivspiel, die Stürmer, die Physis

Das einst charakteristische Offensivspiel

Im Dezember hat Peter Stöger einen interessanten Satz gesagt. Seine Mannschaft hatte gerade im DFB-Pokal beim FC Bayern verloren, da kündigte er an, wie der BVB in der Rückrunde spielen wolle: "Es wird ein offensiv orientierter Fußball sein, aber mit Restabsicherung." Drei Monate später muss sich Peter Stöger die Sache mit der Restabsicherung nicht vorwerfen lassen: In 13 Pflichtspielen hat der BVB 14 Gegentore kassiert, das ist sehr okay. Stöger hat den BVB stabilisiert, auf Platz drei geführt. Andererseits: In 13 Pflichtspielen hat der BVB 19 Tore geschossen, das ist eher so mittelokay.

Als Dortmund nun gegen Salzburg einen 1:2-Hinspiel-Rückstand aufholen, also zwei Tore schießen musste, da gelangen dem BVB: null Tore. Es ist ein sehr untypischer Fußball, den sie gerade in Dortmund spielen, eine Art Feuerwehrmann-Fußball deluxe, ausgerichtet vor allem aufs Ergebnis (wobei in Salzburg auch das Ergebnis nicht stimmte). Es ist ein Fußball, der erinnert an Zeiten, als Stöger noch den 1. FC Köln trainierte (wobei auch da die Ergebnisse irgendwann nicht mehr stimmten): hinten sicher stehen, und vorne hilft der liebe Modeste - nur dass er in Dortmund halt Batshuayi heißt.

Fantastische Vier?

Ousmane Dembélé spielt nicht mehr in Dortmund, Pierre-Emerick Aubameyang ebenfalls nicht. Aber glaubt man dem offiziellen Liga-Organ bundesliga.com, spielen in der BVB-Offensive weiterhin vier Fußballer, die "Fantastic 4" genannt werden. Wer genau Mario Götze, Marco Reus, André Schürrle und Michy Batshuayi so nennt, ließ die Publikation unerwähnt, aber wer auch immer den Namen geprägt hat, wird mit Widerspruch rechnen müssen.

Stimmt schon: Alle vier Spieler haben nachgewiesen, dass sie tendenziell fantastisch spielen können (vgl. etwa die Verlängerung des WM-Finales 2014). Doch drei dieser vier Spieler (Götze, Reus, Schürrle) fielen in dieser Saison mindestens ein paar Wochen aus. Schürrle etwa hat zwölf Mal in der Liga gespielt, ein Tor geschossen und vier Tore vorbereitet, was gut ist, aber nicht fantastischer als die Bilanz von Emil Berggreen (Mainz 05, vier Tore, zwei Vorlagen).

Götze wurde in Salzburg gar zur Halbzeit ausgewechselt und hinterher von seinem Trainer mit Kritik bedacht. Reus ist nach seiner Verletzung in guter Form, genau wie der von Chelsea ausgeliehene Batshuayi, der viele Tore schießt - aber nach jetztigem Stand im Sommer wieder gehen wird. Und Andrej Jarmolenko, als Dembélé-Ersatz eingeplant, ist seit Anfang Februar verletzt. Vielleicht kann man es so sagen: dass die Dortmunder Offensive gegenwärtig eher überdurchschnittliche Four umfasst, die gerade teils ganz gut spielen, teils aber auch ihre Form suchen.

Einen Bender braucht eine Mannschaft

"Das ist keine Entscheidung, bei der alle Hurra schreien, wir auch nicht", sagte Michael Zorc im vergangenen Sommer. Da hatte der BVB gerade verkünden müssen, dass Sven Bender den Verein verlässt, um fortan gemeinsam mit seinem Bruder Lars für Bayer Leverkusen zu spielen. Und Zorc, selbst als Profi defensiver Mittelfeldspieler, ahnte wohl schon, dass der furchtlose Zweikämpfer Bender eine Lücke im Kader reißen würde.

Es war eine Lücke, die vor allem im idealistischen System des Holländers Peter Bosz auffiel. Dem BVB fehlt ein physisch starker Fußballer im defensiven Mittelfeld. Fußballkommentatoren nennen die Ausstrahlung eines solchen Spielers gerne vielsagend "Präsenz". Spieler wie Javi Martinez für den FC Bayern oder Leon Goretzka für den FC Schalke 04 verkörpern diese Eigenschaft.

Beim BVB haben sie wohl gehofft, dass der Nationalspieler und noch unter Thomas Tuchel überragende Julian Weigl allein präsent genug sein kann. Doch wie auch der eher wuselige Gonzalo Castro ist Weigl ein anderer Typ Fußballer; einer, dem man einen robusteren zur Seite stellen könnte. In der risikoarmen Taktik von Peter Stöger fällt dieser Konstruktionsfehler im Kader derzeit nicht so auf. Doch wenn der BVB demnächst wieder aufregend spielen möchte, braucht er einen zweikampfstarken, nicht unbedingt feinfüßigsten aller Spieler, der in der Aufregung den Überblick behält.

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