Boris Becker bei den French Open:Gedrosselter Zuarbeiter

-

Zweites Grand-Slam-Turnier als Trainer von Novak Djokovic (l.): Boris Becker

(Foto: AFP)

Lange war es ruhig um Boris Becker, den Trainer von Novak Djokovic. Bei den French Open stellt sich nun die Frage: Welche Rolle hat Becker, die Ich-AG von einst, im Team des Serben gefunden? Ein Trainingsbesuch.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Der Tag beginnt, als stünde die zweite französische Revolution bevor. Vor den Toren stehen die Menschen Schlange bis zur Avenue de la Porte d`Auteuil, die Sonne scheint, hektisches Gewusel. Um exakt 9.45 Uhr schreit, wie jeden Morgen, der wahrscheinlich beste Schreihals von Paris "Öffnet die Tore des Stadions" durch die Lautsprecher. Als sich die Drehkreuze zu drehen beginnen, bricht Jubel bei jenen aus, die weiter hinten stehen. Endlich geht es voran.

Als eine Gruppe Jugendlicher drinnen ist im Raumschiff Roland Garros, werden sie von ihren Freunden, die es schon geschafft haben, abgeklatscht. Pünktlich um elf heben die French Open mit den ersten Matches ab, jetzt gilt es, sich die besten Plätze zu sichern. Am zweiten Samstag kommen mehr als 40.000 Menschen, Volksfest beim berühmtesten Sandplatzturnier der Welt.

Es gibt zwar kein Riesenrad, keine Achterbahn, kein Bierzelt, aber dafür gesalzene Preise. Ein kleines Eis fünf Euro, ein kleines Wasser vier, und um überhaupt auf die Anlage im Westen der Metropole zu gelangen, muss man viele Scheine hinlegen, je nach Kategorie sind sogar 100, 200 Euro weg. Aber auch wer kein Vip-Ticket hat oder eines für die drei größten Arenen, für die eine eigene Karte nötig ist, bekommt an diesem Frühsommertag etwas Spezielles geboten.

Novak Djokovic trainiert. Aus deutscher Sicht heißt das natürlich: Auftritt Boris Becker! Der 46-Jährige, bekannt als Leimener, Wimbledonsieger, Gazettenfüller, zählt seit Dezember zum Stab des Weltranglisten-Zweiten. Die French Open sind nach den Australian Open in Melbourne Beckers zweites Grand-Slam-Turnier mit dem 27 Jahre alten Serben. Damals, Mitte Januar in Down Under, gab Becker sein viel beachtetes Debüt. Vier Monate später stellt sich die Frage: Wie sieht jetzt das Training von Djokovic aus? Was macht Becker? Ab zu Court 4.

Grünes Shirt, Short, dünne Beine

13.15 Uhr, mit einer Viertelstunde Verspätung betritt Djokovic, Spitzname Nole, als erster den Platz, rund 400 Zuschauer sitzen und stehen erwartungsfroh auf den kleinen Tribünen. Becker schreitet als Dritter hinterher, grünes Shirt, Short, dünne Beine. Seit seiner Hüftoperation im März konnte er offenbar nicht mehr viel Aufbauarbeit betreiben. Er lächelt, die Teammitglieder gehen in Position, stellen sich auf wie Schachspieler ihre Figuren. Djokovic an der Grundlinie, Becker am Netz mit Bällen in der Hand. Physiotherapeut Milan Amanovic in der Ecke als Ballsammler, Fitnesstrainer Gebhard Phil-Gritsch in der anderen Ecke. Ach, und Marian Vajda ist auch da.

Das ist sogar sehr wichtig, das zu erwähnen. Eigentlich wollten sich der langjährige Coach von Djokovic, der frühere slowakische Profi, und Becker immer abwechseln. Doch aus irgendeinem Grund, der noch nicht so richtig genannt wurde, wechseln sie sich nicht mehr ab. Als Becker zwei Mal fehlte, gewann Djokovic prompt zwei Turniere, in Indian Wells und Miami. Vajda war damals stets dabei.

Rückkehr der Beckerfaust

Er bedeute ihm viel, sei mehr als ein Trainer, ja, ein Freund, das hatte Djokovic gesagt über den 49-Jährigen, mit dem er seit 2006 zusammenarbeitet. Und, Vajda wolle Becker helfen, noch "effizienter" zu werden im Team. Immerhin das sagte er auch. Seit Rom, wo Djokovic zuletzt sein drittes ATP-Turnier 2014 gewann, arbeiten die beiden ungleichen Trainer zusammen.

Das Training beginnt, Djokovic zieht das gängige Programm durch, leichtes Einschlagen, härteres Schlagen, Volleys, Überkopf, Aufschläge. Sein Schlagpartner spricht nicht viel, Djokovic auch nicht, Becker? Guckt mit dem Kopf nach links und rechts und links und rechts. Früher haben so Millionen ihm zugeschaut. Andere Zeiten eben.

Was schnell auffällt: Vajda ist offensichtlich schon irgendwie der Chef auf dem Platz, er steht hinter Djokovic, beäugt dessen Technik wie ein Chirurg, flüstert ihm gelegentlich was ins Ohr. Er benennt auch die Übungen. Becker? Lässt einen Ball auf der Saite seines Schlägers hüpfen. Sonnenbrille, Kappe, er sieht cool dabei aus. Es dauert eine Weile, bis Djokovic das Gespräch mit Becker sucht, sofort sind sie da, Beckers typische Handbewegungen, die immer dann zu sehen sind, wenn er mit Leidenschaft referiert, wenn ihn etwas bewegt, wenn er sich ins Zeug legt. Dann ist das Gespräch wieder vorbei, Djokovic geht zur Aufschlaglinie, lockert die Beine, schlägt auf.

Es gehe nicht um ihn, das hatte Becker stets gesagt, als die Frage auftauchte, wie sehr er dem Topprofi helfen könne. In Deutschland gab es viele, die das nicht so recht glauben wollten, denn er, Becker, der rote Baron von einst, die großartige Ich-AG von Wimbledon, hat ja das Image, kein Teamplayer sein zu können.

"More Kicks!"

In Melbourne noch, das war wiederholt aufgefallen, hatte Becker beim Training wiederholt Kommandos gegeben. Hatte laut übers Netz gerufen. Hatte mehr gestikuliert. Hatte der deutschen Presse erzählt, dass die Präsenz früherer Helden, also seine, andere Spieler schon mal einschüchtere. "Wenn jemand vorbeikommt, der mal die Nummer eins war, dann wird ihm Platz gemacht. Das bedeutet 15:0 für den Spieler", genau das hatte Becker gesagt.

In Paris ist Becker eher ein gedrosselter Zuarbeiter, der, als sich Djokovic setzt, wie in Australien einen Luftschlag mit dem Racket macht, eine Rückhand. Aber er macht sie für sich, nicht zur Anschauung für seinen Spieler. Djokovic tauscht sich gerade länger mit Vajda aus. Später ruft Becker, es ist das einzige Mal, laut: "More Kicks!" Der Schlagpartner sollte dem Aufschlag mehr Drall geben. More Kicks, ja, das hatte er auch in Melbourne gerufen.

Nach drei Trainingseinheiten in Paris, die alle ähnlich abliefen, drängt sich tatsächlich der Eindruck auf: Es geht nicht um Becker. Er hat da schon absolut recht. Als Djokovic das Training beendet, ist er auch der einzige, nach dem die Kinder um ein Autogramm flehen. Das Abschlussritual im Team des Serben ist dann bei allen dasselbe: Djokovic, Amanovic, Phil-Gritsch, Vajda, sie stupsen die Faust an die Faust des anderen. Und tatsächlich, Deutschlands berühmteste Faust der Achtziger- und Neunzigerjahre, die Beckerfaust, sie hat wieder einen Einsatzbereich gefunden.

Alle Ergebnisse der French Open.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: