Blessuren nach Pokalfinale:Warten auf die Diagnosen

Bayern Munich's Lahm lies injured on the pitch during their German Cup (DFB Pokal) final soccer match against Borussia Dortmund in Berlin

Am Boden? Philipp Lahm verletzt sich im Pokalfinale.

(Foto: REUTERS)

Schweinsteiger spielt nicht, Lahm muss raus, Neuer hat "nicht nichts": Beim Pokalfinale in Berlin wird Joachim Löw noch einmal klar, dass nie zuvor ein Bundestrainer mit so vielen Angeschlagenen zu einer WM reisen musste.

Von Christof Kneer, Berlin

So weit man weiß, spielt Forrest Gump nicht Fußball, zumindest nicht jene Art von Fußball, die man in Europa kennt. Ansonsten kann Forrest Gump rechts wie links, er ist ein exzellenter Footballspieler, ein virtuoser Tischtennisspieler, ein ausdauernder Läufer. Man hat schon länger nichts mehr von Forrest Gump gehört, aber nach allem, was man weiß, ist er immer noch fit.

Fitness ist im Moment eine sehr gefragte Qualität in jener Art von Fußball, die man in Europa spielt. Jedes Jahr im Mai wird der Fußball dort zu einer zehrenden Materialschlacht, Mannschaften schleppen sich mit letzter Kraft in Endspiele, die sie mit viel mehr Kraft erreicht haben. In manchen Jahren dürfen die wund gelaufenen Spieler nach ihren Endspielen in den Urlaub gehen. In anderen Jahren nicht: Dann folgt den ganzen Anstrengungen noch eine Weltmeisterschaft, die wichtigste Fußball-Veranstaltung der Welt, die in diesem Jahr, wenn man den Experten Glauben schenken darf, noch anstrengender werden könnte als ohnehin schon.

Beim ebenfalls anstrengenden Berliner Pokalfinale hat sich Bundestrainer Joachim Löw mit Tom Hanks fotografieren lassen, jenem US-Schauspieler ("Philadelphia", "Schlaflos in Seattle"), der auch den Forrest Gump verkörpert hat. Hanks, der gerade in Berlin dreht, hat freundlich gelächelt, Löw hat auch freundlich gelächelt.

Als das Spiel begann, hat Joachim Löw bald nicht mehr gelächelt. Es gab Momente in diesem Pokalfinale, in denen der Bundestrainer gefürchtet haben dürfte, dass er demnächst wahrscheinlich noch Forrest Gump nachnominieren muss, um seinen WM-Kader aufzufüllen.

Es gab selten ein Spiel, in dem der Bundestrainer droben auf der Tribüne so regelmäßig zusammengezuckt ist. Der Film, der drunten auf dem Rasen ablief, war farbig und aufregend, aber er lieferte Bilder, die Löw weniger gefallen haben dürften.

Löw sah, wie Nationalmannschafts-Kapitän Philipp Lahm am Rande des Spielfeldes behandelt wurde, er sah, wie Lahm ein paar Minuten wieder mitspielte, um dann doch endgültig vom Feld zu humpeln.

Löw sah, wie Nationaltorwart Manuel Neuer mit Karacho aus seinem Tor schoss und nach erfolgreicher Grätsche schmerzhaft mit der Schulter bremste.

Reus wälzt sich, Kroos sinkt zusammen

Löw sah, wie sich Nationalstürmer Reus am Boden wälzte, nachdem ihn Nationalverteidiger Boateng unsanft tiefer gelegt hatte; Löw sah, wie Nationalmittelfeldspieler Toni Kroos nach eleganter Zidane-Drehung unelegant zusammensank; Löw sah, wie Nationalmannschaftsstürmer Thomas Müller sich vom ersten Krampf in den zweiten rettete, um dann mit dem dritten Krampf ein Tor zu erzielen.

Und Löw sah, dass der Nationalmannschaftszweitkapitän Bastian Schweinsteiger einen roten Daunen-Umhang trug, der aussah, als habe er ihn beim diensthabenden Nikolaus ausgeliehen. Schweinsteiger saß auf der Bank neben all den Sportlern, aber nur als Privatier. Schweinsteiger habe in der Woche vor dem Pokalfinale "nur zweimal fünf Minuten leicht laufen können", hatte Guardiola verraten und alle Fragesteller an den behandelnden Arzt Dr. Müller-Wohlfarth überstellt, der sich wiederum auf seine Schweigepflicht berief.

Am Mittwoch wird Löw mit seinem erweiterten WM-Kader ins Trainingslager nach Südtirol reisen, aber nach Lage der Dinge wird er dort nicht nur Fußballseminare abhalten, sondern auch ein kleines Sanatorium errichten, in dem neben den Genannten womöglich auch der Dortmunder Mats Hummels ein paar heilende Hände konsultieren wird. Er hat eine Fußblessur gut überspielt im Pokalfinale, aber nur unter Zuhilfenahme von Schmerztabletten.

In Berlin ist Löw, komprimiert auf 120 Minuten, noch mal vorgeführt worden, was er ohnehin längst ahnt: Dass vielleicht noch nie ein deutscher Bundestrainer vor ihm mit so vielen Pflegefällen zu einem Turnier gereist ist - quer durch den Kader, von den vorderen Bänken (Schweinsteiger, Khedira, Klose) bis zu den hintersten (Höwedes).

Mit erheblicher Spannung erwartet Löw nun, was die Befunde an diesem Montag erbringen werden; er habe "nicht nichts", hat der unersetzliche Torwart Neuer nach dem Spiel schon mal sachte vorgewarnt, aber Löw geht in diesem Fall ebenso von guten Nachrichten aus wie im Falle des ebenso unersetzlichen Philipp Lahm. Es habe sich vielleicht "ein bisschen was verschoben im Sprunggelenk", meinte Lahm in einer ersten Reaktion am späten Samstagabend, womöglich hätten auch "die Kapseln ein bisschen was abbekommen", aber es sei wohl "nicht wirklich wild".

Auch am Sonntag, nach ein paar Stunden Schlaf, blieb der Kapitän bei der vagen Selbstdiagnose "nichts Schlimmes", auch Stellvertreter Schweinsteiger beharrt weiter auf seiner Turniertauglichkeit. Man müsse sich "keine Sorgen machen", ließ er dem Bundestrainer ausrichten, "es ist eine Entzündung, die muss abheilen, ich bin zuversichtlich, dass ich Mitte oder Ende der Woche wieder trainieren kann". Beim FC Bayern klingen sie da etwas vorsichtiger.

"Im Trainingslager in Südtirol haben wir genügend Zeit, um die Dinge zu bewerten", sagte Löws Assistent Hansi Flick am Sonntag nach der Heimreise vom Pokal- finale. Im Passeiertal, das ist nach dem Humpel-Gipfel von Berlin offensichtlicher denn je, wird auch die medizinische Abteilung in Bestform sein müssen. Am Ende des Trainingslagers werden die DFB- Trainer dann Entscheidungen treffen müssen, und es könnten unter Umständen auch Entscheidungen dabei sein, die ihnen keinen Spaß machen werden.

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