Bildstrecke:Die Tage der traurigen Helden

Problemfans mit Perücke, Mozart vor dem Weinwurm und ein Hahn mit Stadionverbot - Einblicke in den Rückraum eines regnerischen Fußballfestes

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Fanmeile Wien

Quelle: SZ

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Freitag Es ist so gekommen, wie es ersehnt gewesen war, die Dramaturgie passt wunderbar. Am Abend zuvor haben die Deutschen verloren, die Österreicher aber nicht, deshalb wird am Montag das Spiel zwischen den beiden darüber entscheiden, wer das Viertelfinale erreicht, wie der Deutsche sagt. Oder, österreichisch: Wer ins Viertelfinale aufsteigt. Sie werden in Wien spielen, Wien dampft jetzt schon, Wien wartet auf den Sieg von Österreich. Aber Österreich sollte sich nicht zu große Hoffnungen machen.

Am Karlsplatz läuft an der Fassade der Kunsthalle ein Leuchtband entlang. Der österreichische Dichter und Kritiker Friedrich Achleitner hat sich ein paar Sätze zu Österreich ausgedacht, die noch bis Ende Juli über die Wand der Kunsthalle flimmern, Tag und Nacht. Jeder kann sie lesen, wenn er an der Ampel steht, es ist wie eine archaische Art des Public Viewing. Die Sätze sind so einfach wie ausdeutbar.

"Österreich ist zu klein für große Sprünge" könnte der Nationalmannschaft gelten, "Österreich ist zu klein für große Dinge" auch. "Österreich ist zu schmal für Querdenker" lappt eher ins Grundsätzliche, "Österreich ist zu kalt für soziale Wärme" ins Politische. "Österreich ist zu klein für Österreich" bildet die Stimmung ganz gut ab, die gerade angefacht wird, auch von den bunten Zeitungen in Österreich. Das Wunder von Wien soll herbeigebetet und wachgetrommelt werden.

Schräg gegenüber der Kunsthalle sitzt die Redaktion einer dieser Zeitungen. Sie heißt Österreich. Von Österreich aus kann man vielleicht sogar das Leuchtband sehen, auf dem auch der Satz flimmert: "Österreich ist zu klein für große Köpfe." Aber man darf als Journalist nicht alles auf sich beziehen, was andere so schreiben.

Foto: DDP

Otto Rehhagel

Quelle: SZ

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Samstag Der Trainer Otto Rehhagel hat ein Problem damit, was andere über ihn schreiben, das war schon so, als er noch nicht Coach der Griechen war und mit ihnen 2004 Europameister wurde, eine der größten Sensationen des Weltfußballs. Eigentlich könnte er entspannt sein, aber er hat jetzt wieder diesen zugleich drohenden und beleidigten Tonfall in der Stimme wie kurz vor seinem Rauswurf beim FC Bayern.

Griechenland hat einen gruseligen Seitwärts-rückwärts-Fußball gezeigt im ersten Spiel gegen Schweden, und als danach in der Pressekonferenz jemand fragte, ob Rehhagel denn jetzt immer mit acht Verteidigern antreten wolle, hat er geschnaubt: "Wenn wir weniger Verteidiger in der Mannschaft gehabt hätten, hätte es schon zur Halbzeit 0:5 gestanden."

Otto Rehhagel hat es immer so gemacht. Er baute die Journalisten als Gegner auf und motivierte so seine Spieler zusätzlich, es war ein psychologischer Kniff. Sie sollten es auch den Journalisten zeigen. Oft hat das funktioniert, in Bremen, in Kaiserslautern, aber genauso oft ist unterwegs irgendwann etwas kaputtgegangen. Vor dem zweiten Spiel der Griechen gegen Russland hat er zu einem Journalisten gesagt: "Jeder darf schreiben, was er will. Aber Ihre Aussage ist ohnehin falsch."

Er ist jetzt bald siebzig, und er wird dem späten Helmut Kohl immer ähnlicher. Rehhagel ist herablassend und schaut die Leute, zu denen er spricht, noch weniger an als sonst schon. Am Ende ist immer die Frage, wer wen mehr verachtet, der Trainer die anderen, oder die anderen ihn.

Am Abend verlieren die Griechen auch gegen Russland. Sie waren nicht viel besser als im Spiel gegen Schweden. Otto Rehhagel hätte als großer Mann abtreten können nach der EM 2004, sie nannten ihn Rehakles damals, aber er muss sich beweisen, immer muss er sich beweisen. Bald kommt die Meldung, dass er weitermacht bis 2010.

Foto: AFP

Deutsche Fans

Quelle: SZ

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Sonntag Ein Tag noch bis zum Spiel gegen Österreich, aber die Deutschen sind schon bereit, die deutschen Fans. Man kann sie hören: "Hurra, hurra, die Deutschen, die sind da!", brüllen sie, und "Deutschlaaand, Deutschlaaand, Deutschlaaand, Deutschlaaand." Einige von ihnen haben sich eine Art Irokesenkamm in Schwarz-Rot-Gold aufgesetzt, der jeden anderen Menschen lächerlich aussehen lassen würde, aber diese hier profitieren eher von ihrer Verkleidung. Ohne diese Perücke, nur mit dem rasierten Kugelkopf auf dem Fettnacken, würden sie aussehen wie das Klischee. Ihr Treffpunkt ist das Bermuda-Dreieck im 1. Bezirk, wo es viele Kneipen gibt, in denen man verschwinden kann, deswegen Bermuda-Dreieck.

Ein Laden heißt Krah-Krah, Rabensteig 8, und spät in der Nacht lässt der Wirt vom Krah-Krah die Bestuhlung lieber zusammenschieben. Etwas staut sich auf, etwas will entladen werden. Eine Einheit der Polizei hat sich aufgebaut, U 340 steht auf ihren Uniformen, irgendwann ruft der Einsatzleiter "Helm auf", und dann schieben sich die Polizisten die Straße rauf, sie tragen jetzt alle weiße Helme und bewegen sich in die Richtung einer brüllenden, gestikulierenden deutschen Fangruppe. Man hört das Fiepen der Walkie-Talkies, es ist ein bisschen unheimlich, aber die Deutschen trollen sich, weichen aus in die Seitenstettengasse, an deren Ende eine andere Polizeieinheit wartet, die U 330 auf ihren Jacken trägt.

Damit die Europameisterschaft friedlich ablaufen kann, arbeiten die Polizisten eng zusammen. Die Österreicher kennen ihre 50 oder 60 Problemfans beim Namen, sie kennen ihre Gesichter, und für die deutschen Problemfans sind extra deutsche Beamte nach Wien gekommen. Es geht um Deeskalation, und wenn Deeskalation bedeutet, dass die Leute sich nicht auf die Köpfe hauen, geht die Taktik auf im Bermuda-Dreieck. Irgendwann ruft der Einsatzleiter "Helm ab", und dann stehen die Polizisten wieder an ihren Plätzen, während die Fans in den Kneipen Bier nachschütten.

Ein paar kommen später wieder raus. In der Seitenstettengasse liegen Kaktus-Bar, Mojo-Bar und der Kuchldragoner dicht beieinander. Die Fans stehen auf der Straße und schauen, ob noch was geht. Sie schreien "Steht auf, wenn ihr Deutsche seid." Bierwampen wabbeln, Doppelkinne glänzen. Ein paar Türken kommen vorbei, ein paar Deutsche brüllen "Zick-Zack-Zigeunerpack" und "Fenerbahce Istanbul, wir hassen die Türkei." Irgendwann hebt einer den rechten Arm, irgendwann ist die Rede auch vom Vergasen.

Es ist nur eine Minderheit, die meisten deutschen Fans benehmen sich einigermaßen, aber es ist nicht so, dass es diese Minderheit nicht mehr gäbe. Die Freunde des Sommermärchenfußballs sehen darüber gern hinweg, aber es gibt diese Fans, sie tragen die Aufschrift "Ein Volk, ein Park, ein Stadion" auf ihrer Jacke, wahrscheinlich gehen sie daheim jeden Tag in irgendein Büro, aber hier strecken sie den Arm zum Führergruß aus und rufen dem dunkelhaarigen Ober, der sie abfüllt, gurgelnd "Kanake" hinterher.

Das alles passiert in der Seitenstettengasse im 1. Bezirk, gegenüber sitzt die israelitische Kultusgemeinde, und ein paar Schritte weiter biegt man in die Judengasse ein.

Foto: DDP

Petr Cech

Quelle: SZ

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Montag Der Österreicher Roland Linz hat nur den Namen einer Landeshauptstadt auf dem Trikot, der tschechische Torwart Petr Cech trägt sein ganzes Land auf dem Rücken. Cech, Nummer 1, das ist eine Verpflichtung, aber Tschechien ist in der Nacht rausgeflogen, weil Cech einen Ball nicht hat festhalten können. Das Tor der Türken zum 2:2 geht auf seine Kappe, die schwarz ist und einzigartig im Fußball. Petr Cech, der sonst bei Chelsea im Kasten steht, hat sich vor zwei Jahren in einem Spiel beim FC Reading den Schädel gebrochen, seitdem trägt er die Kappe, weil er ohne sie nicht mehr wie früher hätte ins Gewühl springen können. Die schwarze Kappe ist ein Schutz, sie ist dazu da, ihm die Angst zu nehmen. Für die Fans ist sie längst ein Accessoire, im Stadion tragen einige zum gelben Trikot auch die Mütze.

Für Petr Cech ist die Kappe so wichtig wie sein Handschuhpaar, aber sie hebt ihn auch heraus aus der Masse der Fußballer. Niemand sonst trägt eine Kappe, sie war lange so etwas wie die Krone des besten Torwarts der Welt, sie ist immer da, wo er ist. Auf den Panini-Sammelstickern trägt er die Kappe, sein Computer-Ebenbild auf der Playstation trägt die Kappe, sogar vor dem Riesenrad am Wiener Prater hat er sie auf. Sein Ausrüster hat dort eine Werbefigur aufstellen lassen, 42 Meter hoch. Er hat acht Arme, die das Riesenrad im ganzen Durchmesser abdecken. Wenn man von weitem zu ihm hinschaut, entspricht das ungefähr dem Ausschnitt, den ein Stürmer vor sich hat, wenn er Cech gegenübersteht. Kaum möglich, ihn zu besiegen.

Aber Petr Cech ist nicht mehr der beste aller Torwarte, er war ein paar Mal verletzt in der vergangenen Saison, und im Champions-League-Finale hat er die Niederlage gegen Manchester United nicht verhindern können, obwohl das Spiel im Elfmeterschießen entschieden wurde. Das Elfmeterschießen ist eine Bühne, für einen Torwart noch mehr als für jeden Feldspieler. Bei der EM schossen die Türken nach dem 2:2 schnell das 3:2, die Tschechen waren ausgeschieden, und Cech stand am Ende mit zerzaustem Haar und ohne seine Kappe da, die er auf den Rasen geworfen und der er einen Tritt verpasst hatte. Sie blieb noch lange im Regen liegen.

Foto: AP

Deutsche Fans

Quelle: SZ

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Dienstag Die Deutschen haben gegen Österreich gewonnen, aber die Spieler sind schon wieder im Tessin, wo sie sehr abgeschottet trainieren. Man hat manchmal das Gefühl, die Mannschaft wäre auf einer Weltraummission, so wenig bekommt man von ihr mit. Wenn das Training unter Verschluss dazu beitragen sollte, besonders eindrucksvolle Formen des Zusammenspiels zu üben, dann hat es seinen Zweck jedenfalls verfehlt. "Die tun grad so, als erfinden sie den Fußball neu, und kriegen nicht mal einen vernünftigen Eckball hin", sagt am Stephansplatz ein Mann im Deutschlandtrikot, unter zustimmendem Nicken der versammelten Gemeinde. Einige Fans sind in Wien geblieben, sie haben die Nacht in Hotels zugebracht, die zum Beispiel "Zur goldenen Spinne" heißen, und jetzt erzählen sie sich, wie das Frühstücksbuffet so war. Man kann sagen, dass die österreichischen Hotels schönere Namen haben als die deutschen, frühstückstechnisch aber deutlich abfallen.

Für die deutsche Nationalmannschaft ist die EM eine Prüfung, der sie mit größter Disziplin zu begegnen hat, die Fans lassen es wesentlich entspannter angehen. Für viele von ihnen ist die EM eine Klassenfahrt, ein Eintauchen in Kinderzeiten. Sie haben ihre Lieder der veränderten Situation halbwegs angepasst, sie brüllen jetzt "Hurra, hurra, die Deutschen, die war'n da", während sie am Stephansplatz in einem Café sitzen, das den schönen Namen Weinwurm trägt, was die Deutschen dazu veranlasst, Zusammenhänge zwischen Alkoholgenuss und sexueller Leistungsfähigkeit des Österreichers herzustellen.

Der Österreicher begegnet den Deutschen am Stephansplatz vor allem in Gestalt von Wolfgang Amadeus Mozart, der Werbung für Wien macht. Es laufen viele Männer im Mozartkostüm herum, alle tragen weiße Perücken, und einige stehen vorm Weinwurm und betrachten die Deutschen mit ihren Irokesenmützen. Die Mozarte kommen zum Teil vom Balkan und zum Teil von noch weiter her, es gibt auch sehr dunkle unter ihnen, und die Deutschen begreifen schnell: Wien ist eine internationale Stadt.

Foto: dpa

Französischer Fan

Quelle: SZ

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Mittwoch Jetzt sind auch die Franzosen raus, in Wien konnte man es zwar nicht überall sehen, in einigen Lokalen sind die Leinwände schon wieder zusammengerollt worden. Österreich macht ja auch nicht mehr mit, außerdem regnet es jetzt nicht mehr nur bei den Spielen in der Schweiz. Wer sich am Abend vorher trotzdem vor einen der großen Bildschirme in der Stadt gestellt hat, konnte bei der Übertragung aus dem Letzigrund in Zürich sehen, wie die französische Mannschaft einen qualvollen Tod starb. Sie kassierte einen Elfer, eine rote Karte, die keine war, und Frank Ribéry verletzte sich so schwer, dass er nach zehn Minuten vom Platz getragen werden musste. Er war nicht gefoult worden, er hatte selber zu foulen versucht. Als er noch im Gras lag, hielt Thierry Henry, der Kapitän, Ribérys Kopf und sprach leise und tröstend auf ihn ein.

Es war ein Spiel getragen von Glück und Tragik. Italien spielte, wie Luca Toni spielt, manchmal rumpelig, aber doch im Bewusstsein, irgendwann ans Ziel zu kommen. Frankreich spielte wie Thierry Henry, sein stolzer Spielführer, der immer ein wenig traurig schaut, sogar nach seinen Toren. Er jubelt nicht wie Toni, der sich am Ohr herumschraubt. Thierry Henry nimmt seine Treffer zur Kenntnis. Thierry Henry ist ein wunderbarer Fußballer, aber er hat nicht verhindern können, was seinem Team passierte. Er hat ein paar Sololäufe versucht, aber dem Pech konnte auch er nicht davonrennen. Den Freistoß des Römers Daniele de Rossi zum 2:0 lenkte er so ab, dass sein Torwart ihn nicht mehr erreichen konnte. Dann war es vorbei.

Zum ersten Mal bei dieser EM regnete es in der Schweiz und in Österreich zugleich, und der Dunst über dem Stadion und der Fanmeile bot den passenden Hintergrund für eine Veranstaltung, die in der Vorrunde mehr traurige Helden als strahlende hervorgebracht hat. Der weinende Schweizer Frei, der weinende Franzose Ribéry, der Torwart Cech ohne Kappe, der innerlich vereiste Griechentrainer Rehhagel. Und Michael Ballack, den sie den ewigen Verlierer nennen, weil er oft verloren hat, wenn er eigentlich mit Gewinnen dran war. Aber er hat noch eine Chance, er hat sie sich selbst geschaffen mit diesem Freistoß gegen Österreich, der weniger belastbare Tornetze zerfetzt hätte.

Die Frage ist, was aus Balthazar geworden ist. Balthazar ist ein Hahn, der einem einigermaßen verrückten Franzosen namens Clément Tomaszewski gehört. Gemeinsam reisen sie seit 1998 ihrer Nationalmannschaft hinterher. Wegen der Vogelgrippe durfte Balthazar 2002 nicht mit zur WM nach Südkorea, Frankreich schoss kein Tor und musste nach der Vorrunde abreisen, als Weltmeister. Bei der WM 2006 in Deutschland ließen die Ordner ihn bei einem Spiel nicht ins Stadion, bei einem anderen gelang es Clément, ihn in seiner Hose einzuschmuggeln, allerdings schwenkte er den Hahn später gerade in dem Moment über dem Kopf, als die Kamera draufhielt und die Bilder um die ganze Welt schickte. Die Tierschützer protestierten, Balthazar bekam vom Weltfußballverband Fifa ein Stadionverbot aufgebrummt, so konnte Frankreich im Finale nur verlieren.

Angeblich gewinnt Frankreich, wenn Balthazar morgens kräht. Ob er diesmal gekräht hat, ist nicht klar, ob er überhaupt da war, auch nicht. Im Fernsehen konnte man ihn nicht erkennen, und als Thierry Henry am Ende, stellvertretend für viele andere, sagte, "das Turnier ist von Anfang an gegen uns gelaufen", war es sowieso zu spät.

Foto: dpa

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