Sonntag Ein Tag noch bis zum Spiel gegen Österreich, aber die Deutschen sind schon bereit, die deutschen Fans. Man kann sie hören: "Hurra, hurra, die Deutschen, die sind da!", brüllen sie, und "Deutschlaaand, Deutschlaaand, Deutschlaaand, Deutschlaaand." Einige von ihnen haben sich eine Art Irokesenkamm in Schwarz-Rot-Gold aufgesetzt, der jeden anderen Menschen lächerlich aussehen lassen würde, aber diese hier profitieren eher von ihrer Verkleidung. Ohne diese Perücke, nur mit dem rasierten Kugelkopf auf dem Fettnacken, würden sie aussehen wie das Klischee. Ihr Treffpunkt ist das Bermuda-Dreieck im 1. Bezirk, wo es viele Kneipen gibt, in denen man verschwinden kann, deswegen Bermuda-Dreieck.
Ein Laden heißt Krah-Krah, Rabensteig 8, und spät in der Nacht lässt der Wirt vom Krah-Krah die Bestuhlung lieber zusammenschieben. Etwas staut sich auf, etwas will entladen werden. Eine Einheit der Polizei hat sich aufgebaut, U 340 steht auf ihren Uniformen, irgendwann ruft der Einsatzleiter "Helm auf", und dann schieben sich die Polizisten die Straße rauf, sie tragen jetzt alle weiße Helme und bewegen sich in die Richtung einer brüllenden, gestikulierenden deutschen Fangruppe. Man hört das Fiepen der Walkie-Talkies, es ist ein bisschen unheimlich, aber die Deutschen trollen sich, weichen aus in die Seitenstettengasse, an deren Ende eine andere Polizeieinheit wartet, die U 330 auf ihren Jacken trägt.
Damit die Europameisterschaft friedlich ablaufen kann, arbeiten die Polizisten eng zusammen. Die Österreicher kennen ihre 50 oder 60 Problemfans beim Namen, sie kennen ihre Gesichter, und für die deutschen Problemfans sind extra deutsche Beamte nach Wien gekommen. Es geht um Deeskalation, und wenn Deeskalation bedeutet, dass die Leute sich nicht auf die Köpfe hauen, geht die Taktik auf im Bermuda-Dreieck. Irgendwann ruft der Einsatzleiter "Helm ab", und dann stehen die Polizisten wieder an ihren Plätzen, während die Fans in den Kneipen Bier nachschütten.
Ein paar kommen später wieder raus. In der Seitenstettengasse liegen Kaktus-Bar, Mojo-Bar und der Kuchldragoner dicht beieinander. Die Fans stehen auf der Straße und schauen, ob noch was geht. Sie schreien "Steht auf, wenn ihr Deutsche seid." Bierwampen wabbeln, Doppelkinne glänzen. Ein paar Türken kommen vorbei, ein paar Deutsche brüllen "Zick-Zack-Zigeunerpack" und "Fenerbahce Istanbul, wir hassen die Türkei." Irgendwann hebt einer den rechten Arm, irgendwann ist die Rede auch vom Vergasen.
Es ist nur eine Minderheit, die meisten deutschen Fans benehmen sich einigermaßen, aber es ist nicht so, dass es diese Minderheit nicht mehr gäbe. Die Freunde des Sommermärchenfußballs sehen darüber gern hinweg, aber es gibt diese Fans, sie tragen die Aufschrift "Ein Volk, ein Park, ein Stadion" auf ihrer Jacke, wahrscheinlich gehen sie daheim jeden Tag in irgendein Büro, aber hier strecken sie den Arm zum Führergruß aus und rufen dem dunkelhaarigen Ober, der sie abfüllt, gurgelnd "Kanake" hinterher.
Das alles passiert in der Seitenstettengasse im 1. Bezirk, gegenüber sitzt die israelitische Kultusgemeinde, und ein paar Schritte weiter biegt man in die Judengasse ein.
Foto: DDP