Biathlon-WM:Krank werden darf keiner

Biathlon Weltmeisterschaft Hochfilzen

Bester Deutscher im 20-Kilometer- Einzelrennen bei der WM in Hochfilzen: Erik Lesser.

(Foto: Martin Schutt/dpa)

Das Nachwuchs-Problem der deutschen Biathlon-Männer dürfte bald nicht mehr zu kaschieren sein - zu groß ist die Lücke, die zwischen der zweiten Reihe und den Besten klafft.

Von Joachim Mölter, Hochfilzen

Wenn man in Zukunft an die Biathlon-Weltmeisterschaften 2017 in Hochfilzen zurückdenkt, werden sie als "Laura-Dahlmeier-Festspiele" aus dem Gedächtnis aufploppen: Die 23-Jährige aus Garmisch-Partenkirchen prägt diese Titelkämpfe wie niemand sonst, am Mittwoch erst wieder mit ihrem Triumphzug im 15-Kilometer-Einzel mit anschließendem Kreislaufkollaps. In ein paar Jahren wird man sich zu erinnern glauben, dass sie jeden Tag ein Rennen gewonnen hat. Hat sie natürlich nicht, an diesem Donnerstag ging sie leer aus, da waren aber auch nur Männer am Start, beim Einzelrennen über 20 Kilometer. Falls man je speziell an diesen Tag zurückdenken sollte, dann allenfalls als Randnotiz: als ersten Tag dieser WM, an dem die Biathleten des Deutschen Skiverbandes (DSV) keine Medaille gewonnen haben.

Sensations-Sieger Lowell Bailey startete mit der Nummer 100

Die gingen an die fehlerfrei schießenden Lowell Bailey (USA) und Ondrej Moravec (Tschechien) sowie den laufstarken Franzosen Martin Fourcade, den jedoch zwei Strafminuten zurückwarfen. Der Frankenhainer Erik Lesser (eine Strafminute) hatte die Hoffnung auf eine Medaille lange aufrechterhalten, erst als der bereits 35 Jahre alte Überraschungssieger Bailey mit der Startnummer 100 ins Ziel gekommen war, fiel er auf Rang vier zurück. Die übrigen deutschen Starter Simon Schempp (Uhingen/13. mit zwei Schießfehlern), Benedikt Doll (Breitnau/19. mit drei) und Arnd Peiffer (Clausthal-Zellerfeld/34. mit vier) hatten sich frühzeitig durch Schießfehler um ihre Chancen gebracht.

Was den Männer-Wettbewerb frappant vom Frauen-Rennen tags zuvor unterschied: Ein großer Teil der Weltbesten war in die erste Startgruppe gegangen, allen voran Fourcade und der Russe Anton Schipulin, die Führenden im Gesamtweltcup; der kleinere Teil wählte die letzte Gruppe, darunter der starke Norweger Johannes Thingnes Bö und der spätere Weltmeister Bailey. Dazwischen hatten sich die Deutschen eingereiht, nicht ganz vorne, aber auch nicht recht weit hinten, so wie es ihren gegenwärtigen Fähigkeiten entspricht.

Im Weltcup-Gesamtklassement ist Schempp Dritter hinter Fourcade und Schipulin; hinter Bö folgt Peiffer als Fünfter, Lesser ist Neunter, Doll Elfter. Auch altersmäßig liegen die besten Deutschen dicht beieinander, zwischen 26 (Doll) und 29 Jahren (Peiffer), "alle im besten Biathlon- Alter", wie Männer-Bundestrainer Mark Kirchner findet. Man muss sich also keine akuten Sorgen um die deutschen Männer machen; dass sie siegfähig sind, hat Doll als Sprint-Weltmeister demonstriert. Aber man kann schon sehen, wo ihr Schwachpunkt ist: Es fehlt Nachwuchs, der nach vorne drängt und die Etablierten antreibt.

"Wir haben es leider noch nicht ganz geschafft, die relativ große Lücke zwischen den vier Top-Athleten und der zweiten Reihe zu schließen", sagt Karin Orgeldinger, die Sportdirektorin Nordisch/Biathlon. Auch der Bundestrainer Kirchner räumt das Manko ein, "dass wir aktuell nur vier leistungsstarke Athleten haben". Die Staffel für Samstag (14.30 Uhr/ARD und Eurosport) stellt sich damit von selbst auf. Was passieren könnte, wenn im nächsten Winter bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang einer der vier Leistungsstarken ausfällt, mag sich Mark Kirchner nicht ausmalen: "Ich bin jetzt hier bei der WM, ich denke nicht an Olympia", sagt er: "Immer eins nach dem anderen. Wir müssen die Lücke mittelfristig schließen."

Wer das tun soll, ist noch offen. Kirchner hat in diesem Winter einige Athleten im Weltcup ausprobiert, aber keiner hat seine Chance wirklich genutzt. Nun vertraut er auf die Junioren, die nächste Woche in der Slowakei ihre Weltmeisterschaften austragen: Vier Talente aus dem Jahrgang 1996 wechseln nach dieser Saison in die Männerklasse. Kirchner, als Athlet selbst Olympiasieger und Weltmeister, gibt sich gelassen: "Wellenbewegungen gibt's immer", sagt er; nach der großen Ära von Ricco Groß, Sven Fischer und Michael Greis "haben wir auch eine Weile gebraucht, bis wir wieder in der Weltspitze waren".

Auf seine aktuellen Athleten lässt Mark Kirchner nichts kommen, bei Kritik reagiert er dünnhäutig. Aber er bestreitet nicht, dass es bei der Nachwuchsförderung hapert. So ist beispielsweise der Fluss von Talenten aus Sachsen weitgehend versiegt. "In Altenberg haben sie sicher Fehler gemacht", räumt Kirchner ein, "aber sie haben gelernt, dass sie sich um den Nachwuchs kümmern müssen." Der Ort hat seinen Status als Bundesstützpunkt verloren, alles konzentriert sich jetzt auf die deutschen Weltcup-Orte Oberhof und Ruhpolding, wo mit der Infrastruktur für die internationalen Bewerbe auch gute Trainingsbedingungen geschaffen wurden. Aber so schnell wie Laura Dahlmeier bei den Frauen wird bei den Männern kein Talent ins Blickfeld rücken.

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