Biathlon-WM in Östersund:Zeit, die innere Balance zu finden

Die entthronte Weltmeisterin Magdalena Neuner lernt gerade, mit dem Druck der Erwartungen umzugehen. Heute will sie mit der Mixed-Staffel eine Medaille erkämpfen.

Volker Kreisl

Eigentlich sei doch alles wunderbar, sagt Magdalena Neuner, dabei lacht sie unschuldig wie am ersten Tag und erzählt, wie sie am Samstagabend mit Zimmerkollegin Kathrin Hitzer mit irgendeinem natürlich harmlosen Getränk angestoßen hatte. Auf Neuners 21. Geburtstag und auf ihr fünfjähriges Zusammensein auf einem Zimmer bei Biathlonreisen aller Art. Dabei sei ihnen eine Erkenntnis gekommen: "Mensch! Du bist jetzt 21, und machst schon deine zweite WM! Und hast schon Medaillen gesammelt." Neuner erzählt also, wie sie und Hitzer anstießen und sich sagten: "Ist doch super, dass wir dabei sind."

Biathlon-WM in Östersund: Magdalena Neuner lernt gerade, mit Druck umzugehen.

Magdalena Neuner lernt gerade, mit Druck umzugehen.

(Foto: Foto: dpa)

Mit diesen und anderen Worten hat Magdalena Neuner immer wieder versucht, die Dinge zu relativieren, und den Fragen nach ihren vielen Patzern im Schießen, nach ihrer Nervosität, nach einem Formeinbruch ein Stück Normalität entgegenzuhalten. Vier Treffer hatte die Titelverteidigerin und Dreifach-Weltmeisterin von Antholz beim Stehendschießen im Sprint daneben gesetzt, womit für Neuner wegen des Rückstandes auch gleich die Titelverteidigung im Jagdrennen ausgeschlossen war.

Ihre Medaillenchancen reduzierten sich innerhalb von fünf Sekunden also auf drei weitere Versuche: Beim Einzelrennen am Mittwoch tritt sie nicht an, also hat sie noch am Dienstag die Mixed-Staffel sowie am Samstag den Massenstart. Und vielleicht die Frauenstaffel - falls Bundestrainer Uwe Müssiggang sie aufstellt. Vier Treffer daneben, vier Mal dieses gemeine rote Leuchten am Fernseher, als würde der innerlich mitrasende Zuschauer vier Mal von der Polizei geblitzt, wie konnte das passieren? Unabhängig davon, dass diese Frage sehr einfach beantwortet werden kann, bleibt festzuhalten: Aus Sicht der vielen neuen Fans ist Magdalena Neuners bloßes Dabeisein schon lange nicht mehr alles.

Noch im Moment ihres Einbrechens in die Phalanx der arrivierten Siegläuferinnen beim Weltcup 2007 in Oberhof hatte Bundestrainer Uwe Müssiggang die Erwartungen gedämpft. Und genauso hatte auch Neuner immer wieder darauf hingewiesen, dass sie noch viel Zeit vor sich habe, ehe sie wirklich zu den Besten zähle. Dennoch machten sie alle möglichen nahen und fernen Begleiter zu einem frühen Star. Ihr Manager sprach ihr höchstes Potential zu, genauso Fachleute wie der Norweger Ole Einar Björndalen.

Noch nie war jemand in ihrem Alter wirklich beherrschend im Biathlon, und trotzdem ging das Verfolgungsrennen um Neuner als Schirmherrin, als Pokalempfängerin, Sponsorbegrüßerin und Interviewpartnerin los. Auch in Östersund ist überall ihr Foto zu sehen, auf Plakaten, Monitoren, Prospekten. Dabei teilte sie sich die Nebenjobs immer klüger ein, und wenn man sieht, mit welcher Lockerheit sie den Aufregungsparcours um ihre Fehlschüsse passiert, dann kann der Absturz nicht an Ablenkung oder Überlastung gelegen haben. Es ist viel banaler: Schießen, vor allem die Variante im Stehen, lernt man eben nur über Jahre.

Zeit, die innere Balance zu finden

Trainer Müssiggang präzisiert: "Wir reden nicht über eine Magdalena Neuner, die nicht Stehendschießen kann, sondern die ihr Können im Stehendschießen im Wettkampf nicht abrufen kann." Hinter jeder äußeren Bewegungsform im Sport liegt auch eine psychologisch viel schwierigere Ebene und immer, auch beim bloßen Laufen oder Schwimmen, muss ein Athlet auch wachsam sein für eventuelle taktische Spielchen.

Beim Stehendschießen im Biathlon spielt sich dies besonders konzentriert binnen eines Vorgangs von zwölf bis 20 Sekunden ab: Abgesehen von den mechanisierten Abläufen, dem Herunterfahren des Pulses möglichst auf 140 (nicht mehr, aber auch nicht weniger), dem Ablegen der Stöcke, dem Anlegen des Schaftes und dem Beruhigen des Auges sollte der Athlet also möglichst eine innere Balance finden - zwischen Wachsamkeit, um auf den Wind richtig zu reagieren, und Gedankenlosigkeit, um nicht ins Grübeln zu geraten. Schließlich kommt das Stehendschießen zum Schluss, und der Athlet sollte sich nicht darüber klar werden, dass er sich gleich alles verderben kann.

"Ich habe den ersten danebengesetzt", erinnerte sich Neuner am Montag noch mal bei der Pressekonferenz ihres Ski-Ausrüsters, "und bekam Stress, dann den nächsten, und hatte noch mehr Stress." So sei das weiter gegangen, bis sie am Ende "am liebsten davongelaufen" wäre. Schnell davonlaufen ist indes genau das, was sie am besten beherrscht. Das könnte ihr einerseits Sicherheit geben, andererseits auch ein Nachteil sein. Denn während andere Talente das Stehendschießen normalerweise jahrelang in der Anonymität des Mittelfeldes üben dürfen, trat Neuner von Anfang an als Mitfavoritin an die Scheiben.

Mit kleineren Abweichungen allerdings. Bei der WM 2007 in Antholz hatte sie noch keiner auf der Rechnung, und sie leistete sich nur so viele Fehler, wie sie auch auf der Strecke aufholen konnte. Nun, im selben Rennen in Östersund, als alle auf sie schauten, versagten ihr die Nerven. Tags darauf, als Andrea Henkel, die zweifache Goldgewinnerin, die Aufmerksamkeit auf sich zog, gelang ihr stehend wieder ein fast sauberes Trefferbild, nur einen Schuss setzte sie daneben. Eine Favoritin ist sie dann, wenn sie sich von solchen Einflüssen unabhängig gemacht hat. "Magdalena Neuner muss immer wieder im Weltcup antreten, sie braucht Praxis", sagt Müssiggang. - "Ich muss noch mehr Wettkämpfe absolvieren, das Schießen kann man nur in Wettkämpfen trainieren", sagte Neuner in einem Tonfall, als wolle sie sich irgendwie entschuldigen für ihre Patzer. Dabei muss sie sich nicht entschuldigen, nur Zeit nehmen.

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