Biathlon-WM:"Frauen im Sport sollen nicht nur gut sein. Das ist unfair."

Biathlon Weltmeisterschaft Hochfilzen

Vier Gold-Frauen: Vanessa Hinz, Maren Hammerschmidt, Franziska Hildebrand und Laura Dahlmeier (von links).

(Foto: dpa)

Sigi Heinrich kommentiert seit 27 Jahren Biathlon-Rennen. Er spricht über Erwartungen der Zuschauer, warum Laura Dahlmeier "absolut erfrischend" ist und wie er mit der Dopingfrage umgeht.

Interview von Saskia Aleythe, Hochfilzen

Für viele Zuschauer vor den Fernsehern ist Sigi Heinrich die Stimme des Biathlons. Seit 27 Jahren ist der Reporter und Kommentator beim Fernsehsender Eurosport und kümmert sich dort um alles von Leichtathletik über Turnen bis Volleyball - und eben Biathlon. Bei der Weltmeisterschaft in Hochfilzen kommentiert der 63-Jährige auch die Rennen von Laura Dahlmeier. Im SZ-Interview erklärt er, warum die frühere deutsche Ausnahmeerscheinung Magdalena Neuner ganz anders ist als Dahlmeier - und spricht über die Dopingproblematik im Biathlon.

SZ: Sie kennen Biathlon länger als Laura Dahlmeier alt ist, Ihre Kommentierungen leben auch von den Emotionen. Reißt es Sie nach 25 Jahren immer noch mit?

Heinrich: Absolut, es ist wie früher. Das Einzelrennen der Männer mit dem Sieg von Lowell Bailey war ein Highlight im Leben eines Reporters. Ich kenne die US-Boys auch gut. Keine Hundert Amerikaner wissen, was Biathlon ist - und jetzt haben sie einen Weltmeister. Und man sieht: Es gibt auch in den Zeiten von Trump noch gute Nachrichten von Amerikanern.

Die Biathlon-WM könnte aus deutscher Sicht kaum besser laufen, auch der Fernsehzuschauer ist offenbar begeistert. Warum ist die Faszination gerade so groß?

Dass sich innerhalb von ganz kurzer Zeit so viel verändern kann und alle gespannt darauf warten, ob ein Athlet Jubel oder - im übertragenen Sinn - Prügel kriegt, das befriedigt ganz niedrige Instinkte. Das gibt es in anderen Sportarten so nicht. Und Laura Dahlmeier ist sicher ein entscheidender Faktor.

Was macht Laura Dahlmeier denn aus Ihrer Sicht aus?

Ihre Natürlichkeit und Cleverness, ihre Unaufgeregtheit. Dass sie das Ganze zwar an sich heranlässt, aber trotzdem ist ein Schutzwall da. Sie wird keine sein, die beim zehnten Gold in Folge auf der Bühne herumtanzt oder geschminkt ins Rennen geht. Sie nimmt Biathlon als vorübergehende Phase ihres Lebens mit. Und weiß ganz genau: Das ist nicht die Hauptsache, da kommt später noch etwas nach.

Dabei bedient sie nicht unbedingt die typischen Erwartungen an eine Sportlerin, die sich im Fernsehen gut verkauft.

Die Zuschauer würden normalerweise lieber eine Gabriela Koukalova sehen oder eine Magdalena Neuner, die vielleicht noch mehr Weiblichkeit ausstrahlen. Laura ist ein sportlicher Typ, das ist auch sehr angenehm und minimiert die Sympathiewerte auf keinste Weise. Aber der normale Zuschauer ist eher darauf gepolt: Die Frauen im Sport sollen nicht nur gut sein, sondern auch noch eine hübsche äußere Erscheinung haben und wie geschnitzt ausschauen und dürfen bestenfalls nicht mal schwitzen. Bei den Männern ist es anscheinend egal. Das ist unfair.

Ist es ihr Glück, dass sie so ganz anders ist als Magdalena Neuner damals?

Laura ist das Mädel aus den Bergen und das nimmt man ihr total ab. Das ist absolut erfrischend. Wenn sie vom Äußeren ein Typ wie Magdalena Neuner wäre, würde man sie noch viel mehr immer mit ihr vergleichen. Sie hat es aber geschafft, von Anfang an von dieser Vergleichbarkeit wegzubleiben.

Auch weil sie von den sportlichen Fähigkeiten ein anderer Typ ist?

Laura ist jetzt schon weiter als Lena es jemals war. Lena konnte super rennen, aber am Schießstand wusstest du: Manchmal trifft sie, manchmal nicht. Laura ist von Haus aus eine bessere Schützin. Sie ist die kompletteste deutsche Biathletin, die ich je gesehen habe. Auch im Vergleich zu Kati Wilhelm oder Uschi Disl. Bei ihren Vorgängerinnen war die Karriere immer geprägt von großen Unsicherheiten am Schießstand. Bei Laura denken auch die Zuschauer, wenn sie zum Schießstand kommt: Sie macht das schon.

Wird es für den Zuschauer nicht irgendwann langweilig, wenn immer die gleiche gewinnt?

Nein, man kann nicht oft genug gewinnen. Der Zuschauer hat sich auch an Steffi-Graf-Siegen nicht totgesehen.

Was wohl auch damit zusammenhängt, dass der Biathlon-Zuschauer einen besonderen Charakter hat.

Der Biathlon-Zuschauer ist anders gepolt als der Fußball-Zuschauer. Beim Fußball-Zuschauer geht es mehr um Sieg oder Niederlage, um SEINEN Verein, um SEINEN Sportler. Das Publikum im Biathlon ist nicht so nationalistisch, übertrieben aufs eigene Land bezogen. Da geht es nicht um den Einzelnen, sondern ums große Ganze. Das kann man auch im Stadion hier verfolgen: Die Leute sind nicht mal sauer, wenn der Erik Lesser am Ende vom Podest rutscht. Sie sagen: Okay, heute waren andere besser und dann jubeln wir halt für Lowell Bailey. Das ist Wahnsinn.

Kaum ein Athlet wehrt sich gegen Doping - das ärgert Heinrich

Die WM hat mit einem Eklat begonnen, dem Disput zwischen Martin Fourcade und Anton Schipulin. Welche Rolle nimmt die Dopingproblematik beim Kommentieren ein?

Natürlich muss man den Finger in die Wunde legen. Alexander Loginow war zwei Jahre gesperrt, Irina Starych auch, das sage ich auch bei jedem Rennen, auch wenn es den Zuschauer vielleicht schon nervt und er es nicht mehr hören will. Wenn man es nicht mehr sagt, wird so getan, als wäre das eine heile Welt. Aber eine heile Welt ist das nicht. Diese Dopingprobleme sind da - und man wird sie nicht ausrotten können. Ich bin geläutert, ich glaube nicht mehr an einen sauberen Sport.

Ist es dann nicht umso schwerer, ein Rennen zu kommentieren - wenn der Verdacht immer mitläuft?

Die Sportler sind die, die von anderen betrogen werden. Aber dass sie sich selber nur wenig wehren, das ärgert mich wahnsinnig. Die Situation mit Fourcade, da habe ich gedacht: Endlich mal hat sich ein Sportler erhoben. Das tun sie viel zu wenig. Die Athleten müssten einfach Zeichen setzen. Wenn hier ein Staffelrennen stattfindet, bei dem ein russisches Team startet, das nachweislich durch Staatsdoping manipuliert worden ist - und das sage ich so, weil die Athleten es vielleicht gar nicht wussten, was die Funktionäre gemacht haben - dann müssten die anderen Teams sagen: Wir starten nicht. Aber das passiert ja nicht.

Trotzdem ist die Aufmerksamkeit für den Sport enorm. Ist der Zuschauer Doping-resistent?

Ja, denke ich schon. In der Leichtathletik ist das Thema schon länger omnipräsent und trotzdem schauen die Leute zu. Ich habe manchmal den Eindruck, wir könnten hier auch eine Monstershow veranstalten, nur noch mit vollgedopten Sportlern und es wäre allen egal. Das ist traurig. Der Sport lebt von der Vergleichbarkeit und die ist nur gegeben, wenn alle die gleichen Voraussetzungen haben.

Olympia in Sotschi und Rio haben Sie verpasst, weil Eurosport keine Übertragungsrechte hatte - bei den Winterspielen 2018 sind ARD und ZDF leer ausgegangen und Ihr Sender hat den Zuschlag bekommen. Komfortabel, oder?

Am Anfang hat es mich brutal getroffen, dass wir keine Olympischen Spiele haben - jetzt trifft es die Anderen. Genugtuung ist aber nicht dabei, ich hätte auch ARD und ZDF die Rechte gewünscht. Nun freue ich mich einfach, dass ich wieder dabei sein kann. Während der Winterspiele in Sotschi bin ich extra in den Urlaub nach Teneriffa gefahren, wollte nichts hören, nicht sehen, so hart war das für mich. Wir wurden jahrelang nur als der Spartensender wahrgenommen, der kleine, unwichtige. Das sieht nächstes Jahr dann ein bisschen anders aus.

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