Biathlon-Trainer Ullrich:Vor der Kulisse eines falschen Friedens

Die Verteidigung des Biathlontrainers Frank Ullrich gegen die Doping-Vorwürfe aus seiner DDR-Vergangenheit wird von neuen Zeugen erschüttert.

Thomas Hahn

In den Kindern von Jürgen Wirth regt sich nun langsam die Neugier nach dem früheren Leben ihres Vaters. Sie wissen, dass er mal in einem Deutschland hinter Mauern lebte und dass er Biathlet war, sie kennen seine Pokale und Medaillen, zu denen auch eine goldene gehört von der WM 1987 mit der Staffel der DDR. Wirth sagt, es sei "schon schwer", den Kindern zu erklären, dass es mal zwei Deutschlands gab.

Biathlon-Trainer Ullrich: Neue Zeugen wiederholen die Doping-Vorwürfe gegen Frank Ullrich, hier beim Weltcup-Finale der Biathleten.

Neue Zeugen wiederholen die Doping-Vorwürfe gegen Frank Ullrich, hier beim Weltcup-Finale der Biathleten.

(Foto: Foto: AP)

Aber wenn sie eines Tages wissen wollen, wie das war für ihn hinter den Mauern als junger Sportsoldat mit Stasi-Mitgliedschaft und Platz im Nationalteam, ist er bereit. "Irgendwann wird die Frage mal kommen: Hast du auch gedopt, Papa?" Und Wirth, ist froh, dass er dann nicht lügen muss. In der DDR hat der Staat seine Sportler flächendeckend gedopt. Ihn auch. Jürgen Wirth hat sich das schon vor vielen Jahren klar gemacht, weshalb er auch neulich ganz ruhig hat antworten können, als ihn Journalisten danach fragten, wie das noch mal war im Sport der DDR.

Seine Antworten haben das Sportland erschüttert. Obwohl der frühere DDR-Biathlet und heutige Bad Berleburger Schichtarbeiter Jürgen Wirth, 43, zunächst nicht viel mehr getan hat, als das Wissen aus unzähligen Stasi-Akten und Verhörprotokollen zu bestätigen. Nämlich, dass der DDR-Sport ein autoritäres System war, in dem von oben herab Mittel und Methoden für den Erfolg verordnet wurden. Die Sportler standen am Ende der Befehlskette, Ärzte, Trainer und Betreuer waren Übermittler und Ausführende, also auch Frank Ullrich, erst Olympiasieger, dann Trainer für die DDR und heute als Bundestrainer an den Fernsehsport-Wochenenden in der Rolle des beschwingten Biathlonstaatsmannes zu bewundern.

"Meines Erachtens war Frank Ullrich seit Sommer 1986 verantwortlicher Trainer im Laufbereich, und als verantwortlicher Trainer hatte er meiner Meinung nach alle Befugnisse, die er von oben gekriegt hat, weiterzuleiten oder durchzuführen", sagt Wirth. Also auch sicherzustellen, dass die blauen Anabolika-Tabletten ordnungsgemäß eingenommen wurden? "Ja", sagt Wirth und bestätigt damit, was er Anfang vergangener Woche in der ARD sagte: "Ullrich hat uns damals angewiesen, dieses Mittel Oral-Turinabol einzunehmen."

Diese Pfeile aus der Vergangenheit können nur DDR-Karrieristen treffen, die schon immer weniger mitgekriegt haben wollen vom Systemzwang als andere. Ullrich jedenfalls wirkt angeschlagen, er dementiert wütend. Und daneben hat das Publikum neben dem Weltcup-Finale von Chanty Mansijsk einen DSV erlebt, der die Krise bekämpft, indem er sich um eine verträglichere DDR-Vergangenheit bemüht.

"So zügig wie gewissenhaft" wollte er sich laut Sprecher Stefan Schwarzbach der Sache annehmen und versandte vorigen Dienstag zügig eine Mitteilung, nach der im Januar 1992 "eine eigens einberufene Kommission" des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) es "glaubwürdig" fand, dass Ullrich "weder als Aktiver noch als Trainer mit Dopingfragen direkt oder indirekt befasst gewesen sei". Dazu lieferte der DSV einen Satz aus einer Vernehmung Wirths vor dem Landeskriminalamt Thüringen, wonach Wirth von Ullrich "nie diese Tabletten bekommen" habe. Der DSV schloss daraus: Wirths aktuelle Aussagen seien "unglaubwürdig" und "wahrheitswidrig" und empfahl Ullrich, eine Klage zu prüfen.

Wortklauberei und symbolische Muskelspiele

Längst ist die NOK-Kommission als jenes Dreier-Gremium identifiziert, in welchem das damalige DSV-Ehrenmitglied Fritz Wagnerberger nach kurzer Recherche mitentschied über den DSV-Kandidaten Ullrich. Das LKA-Protokoll hat der DSV laut Schwarzbach von einem Anwalt, der 1991 im verlorenen Widerrufsprozess des damaligen DSV-Trainers Kurt Hinze gegen die Dopingvorwürfe des früheren DDR-Athleten Jens Steinigen tätig gewesen sei (in dem Ullrich keine Rolle spielte). Faxen mochte der DSV das Dokument zunächst nicht, nur einräumen, dass er sein Datum - 1991 - falsch vermeldet habe, es sei unleserlich.

Schwarzbach las daraus vor. Etwa den Satz Wirths: "Ich kann nur noch mal abschließend wiederholen, dass meiner Meinung nach die Trainer eingeweiht waren in die Verabreichung dieser unterstützenden Mittel, wobei ich jedoch nicht konkret sagen kann, dass im Einzelfall ein Trainer auch diese verabreicht hat." Das klingt stark nach Wirth 2009. Der sagt: "Ich habe immer gesagt, ich habe von Ullrich keine Tablette erhalten."Mittlerweile liegt das Protokoll der SZ vor, und es zeigt sich, dass Ermittlungen gegen mutmaßliche DDR-Doper wegen des Verdachts der Körperverletzung der Grund für Wirths Vernehmung waren.

Wortklauberei und symbolische Muskelspiele der Ullrich-Verteidigung lenken vom Kern der Debatte ab: Die Osthelden der Biathlon-Oper pflegen eine andere Art der DDR-Erinnerung als ihre distanzierten Sportkameraden von früher. Andreas Heß kann das sogar dokumentieren. Der frühere Junioren-Weltmeister ist ein echtes DDR-Opfer, von Stasi-Spitzeln um seine Karriere gebracht, vom Staatsdoping um seine Gesundheit. Aber er hat noch die Protokolle von fünf polizeilichen Verhören, die 1997 bei Ermittlungen zum DDR-Doping zustande kamen.

Die Befragten: Ullrich, dessen früherer Assistent Klaus Siebert, Eberhard Rösch, einst Stasi-Spitzel, heute DSV-Wettkampfbeauftragter, Jürgen Grundler, einst Stasi-Bespitzelter, heute offiziell anerkanntes Dopingopfer, und er, Heß. Ergebnis: Grundler und Heß berichteten davon, Tabletten bekommen zu haben, Ullrich, Siebert und Rösch sagten das Gegenteil. "Komisch, ausgerechnet die drei Personen, die Angestellte des DSV gewesen sind", sagt Heß. "Mit Frank Ullrich war ich vier Jahre zusammen in der Nationalmannschaft. Freilich haben wir alle das gleiche gekriegt." Heß schließt daraus: "Für mich ist nicht der Jürgen Wirth unglaubwürdig, für mich ist der Frank Ullrich unglaubwürdig."

Und wenn man in die Stasi-Akte des früheren Teamarztes Hans-Joachim Kämpfe schaut, findet sich für die Saison 1985/86 ein Plan zur Vergabe von Oral-Turinabol mit der dazugehörigen Kaderliste. Der Name Jürgen Wirth steht drauf. Der Name Frank Ullrich auch.

Jürgen Wirth sagt, es gehe ihm nicht darum, jemanden anzuschwärzen. "Ich möchte helfen, die Dopingvergangenheit in der DDR aufzuklären." Ihn stört das DSV-Theater vor der Kulisse eines falschen Friedens, der sich immer nur von einer Enthüllung zu nächsten schleppt. "Wie lange soll denn das noch gehen?", sagt er, "wenn von den zuständigen Personen in gewissen Positionen nie ganz klar Stellung bezogen wird. Ich finde es schade, dass diese Personen öffentlich von sich geben, dass sie davon nichts gewusst hätten." Jürgen Wirth wollte nicht so dastehen wie sie. Was sollten sonst seine Kinder denken?

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