Biathlon:Sie nennen sie "Silber-Fuss"

Lesezeit: 2 min

Andrea Rothfuss ist viermal Zweite geworden. Doch auch ohne Gold ist sie eine Ausnahmeathletin.

Von Ronny Blaschke, Pyeongchang

Es ist schon etwas später am Abend im Alpenhaus, wo die Paralympier aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ihre Abende ausklingen lassen. Man sieht an den Augen von Andrea Rothfuss, dass sie in Pyeongchang zwei intensive Wochen erlebt hat. Und trotzdem geht sie keinem Gespräch mit Wirtschaftspartnern oder Journalisten aus dem Weg. Die alpine Skisportlerin weiß: Das paralympische Zeitfenster ist nicht allzu lang geöffnet.

Man kann sich Andrea Rothfuss, 28, gut im Plausch mit Wolfgang Schäuble vorstellen. Sie haben sich im vergangenen Jahr kurz kennengelernt, als Schäuble noch Bundesfinanzminister war. "Das war hoch interessant", sagt Rothfuss. Sie ist seit April 2017 beim Zoll angegliedert, das dem Finanzministerium untersteht, ebenso wie ihre Kolleginnen Anna Schaffelhuber und Anna-Lena Forster. Diese Förderung ähnelt der Partnerschaft zwischen olympischen Athleten und der Bundeswehr, sie sichert auch Rothfuss monatlich 2500 Euro. "Das ist ein großer Schritt in der Entwicklung des Behindertensports", sagt sie. "Durch diese Unterstützungen können wir nebenbei eine berufliche Laufbahn aufbauen. Die Freiräume sind größer."

Andrea Rothfuss beim paralympischen Riesenslalom im Jeongseon Alpine Centre. (Foto: Joel Marklund/AP)

Andrea Rothfuss, die ohne linke Hand geboren wurde, hat ihre Freiräume auch in Pyeongchang gut genutzt, mit vier Silbermedaillen in der stehenden Klasse. Je weiter die Spiele voran schritten, desto hartnäckiger schrieben ihr Medien einen Zweitnamen zu: "Silber-Fuss". Die Teamkolleginnen nannten sie "Vize-Fuss". Sie lächelt darüber noch immer, aber man kann vermuten, dass es auch ihren Ehrgeiz kitzelt. Ihre größte Konkurrentin, die Französin Marie Bochet, war meist schneller. Ein Wettbewerb aber steht in Südkorea noch aus: der Slalom, die Disziplin, in der Rothfuss 2014 in Sotschi Gold gewann.

Sie probierte auch Schwimmen und Leichtathletik aus

Es ist ohnehin erstaunlich, dass Andrea Rothfuss in ihrem Alter zu den Athleten mit dem größten Erfahrungsschatz zählt. Schon 2006 in Turin hat sie im Riesenslalom Silber gewonnen, sie war damals 16 Jahre alt. Sie trainierte hart, steigerte sich von Jahr zu Jahr. "Ich möchte immer wieder neue Grenzen erreichen", sagt sie. "Nur so wird man besser." Bei Weltmeisterschaften gewann sie fünfmal Gold. Der Deutsche Behindertensportverband würdigte ihr Engagement und ihre Vorbildrolle: In Sotschi 2014 führte sie mit der Fahne das deutsche Team ins Stadion. "Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Ein unvergesslicher Moment."

Und sie hatte früher nicht mal im Traum daran gedacht, dass sie es so weit bringt. Rothfuss ist im Schwarzwald aufgewachsen. Mit fünf Jahren stand sie zum ersten Mal auf Skiern, drei Jahre später bestritt sie in der Rennsportgruppe ihres Heimatvereins ihren ersten Schülerwettbewerb, gemeinsam mit Nichtbehinderten. Sie probierte auch Schwimmen und Leichtathletik, konzentrierte sich aber auf Skisport. Mit zwölf wurde sie in den Landeskader berufen. Sie startet noch immer für die kleine VSG Mitteltal.

Stolz auf ihre silberne Sammlung: Andrea Rothfuss bei der Medaillen-Zeremonie nach ihrem zweiten Platz im Riesenslalom. (Foto: Chung Sung-Jun/Getty)

Im fernen Pyeongchang wollte sie sich eigentlich ein Zimmer mit der erfolgreichen Kollegin Anna-Lena Forster teilen, so wie das bei früheren Veranstaltungen der Fall war. Sie haben dann des Öfteren lauter Musik gehört, und Rothfuss ließ überschüssige Energie durchs Tanzen aus. Dieses Mal aber haben sie Einzelzimmer und einen Rückzugsort. "Gar nicht so schlecht in diesen intensiven Tagen", sagt sie. Mit dabei in Korea ist auch ihre Familie, die Rothfuss gerade in schwierigeren Phasen unterstützt hat, so auch nach einem schweren Trainingssturz 2016, dem eine lange Auszeit folgte.

2022 finden die Winter-Paralympics in Peking statt. Sie wird sich an einen neuen Finanzminister gewöhnen müssen, Olaf Scholz von der SPD. Aber das ist eher eine kleine Herausforderung.

© SZ vom 18.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: