Biathlon:Letzte Chance auf den Showdown

Pyeongchang 2018 Winter Olympics

Holte Gold in der Verfolgung, aber haderte zuletzt nach dem Einzel: Biathlet Martin Fourcade.

(Foto: REUTERS)
  • Martin Fourcade und Johannes Thingnes Bö verbindet ein ähnliches Auf und Ab bei den Winterspielen in Pyeongchang: Beide holten ein Mal Gold, vergeigten aber auch zwei Rennen.
  • In den Massenstart an diesem Sonntag (12.15 Uhr) geht Bö nach seinem Sieg im Einzel mit positiven Gefühlen - anders als Fourcade.
  • Hier geht es zum Medaillenspiegel.

Von Saskia Aleythe, Pyeongchang

Irgendwann fing Martin Fourcade an zu schreiben. Die Tage sind lang im Weltcup-Geschehen, wer an einem Tag einen Sprint gewinnt, muss sich schon am nächsten in der Verfolgung behaupten. "Der Wettbewerb nutzt ab, formt und verformt", schrieb Fourcade auf, aus seinen Notizen ist eine Autobiografie entstanden, in der auch folgender Satz steht, gesprochen zu seiner jetzigen Frau: "Du wirst mich häufiger im Fernsehen sehen als in echt." Damals war der Franzose 14 Jahre alt.

In Pyeongchang ist Fourcade als Fahnenträger der Franzosen ins Stadion eingelaufen, er ist mit 29 Jahren ein Nationalheld unter den Wintersportlern: Seit sechs Jahren gewinnt er jedes Mal den Gesamt-Weltcup der Biathleten, vier Olympia-Medaillen hat er schon, dazu 25 WM-Medaillen und 67 Siege im Weltcup. Die Plaketten, die er im letztgenannten Wettbewerb erhält, verschenkt er an Kinder an der Strecke; es geht ihm nicht um die Auszeichnungen, sondern um das Gefühl, seinen Sport zu perfektionieren. Olympia in Pyeongchang hat ihm bisher unterschiedliche Gefühle vermittelt. Erst Ratlosigkeit, dann Befreiung, dann wieder Wut auf sich selber. Und mit Johannes Thingnes Bö, seinem Widersacher aus Norwegen, verbindet ihn nicht nur ein ähnliches Auf und Ab bei diesen Spielen, sondern auch die Familiengeschichte.

Fourcade und Bö, Bö und Fourcade, sie haben sich immer wieder auf dem Podium getroffen in dieser Saison. Der Franzose war in keinem Rennen schlechter als Dritter, Bö feierte dafür mehr Saisonsiege: acht gegenüber sechs. Nun also der Showdown bei Olympia?

Beide haben schon Gold gewonnen, beide haben aber auch zwei Rennen vergeigt. Johannes Thingnes Bö hatte im Sprint viermal vorbeigeschossen bei zehn Versuchen, die Böen hatte Bö nicht im Griff, er landete nur auf Rang 31. Mit sechs Fehlern in der anschließenden Verfolgung konnte der 24-Jährige dann auch nicht mehr als zehn Plätze gut machen. Aber im Einzel hatte alles gepasst, da war der Norweger Erster.

Fourcade kam zunächst auf einen achten Rang im Sprint, was ihn wurmte. "Ich konnte nicht verstehen, was passiert ist", sagte er. Am nächsten Tag schaute er ein Bild von sich am Schießstand an und sah: Die Windfahnen zeigten andere Tendenzen an, als er sie selber wahrgenommen hatte. "Da wusste ich, ich hatte nicht nur Pech, es war mein eigener Fehler", sagte Fourcade. Damit konnte er arbeiten und tat es: Er stürmte von Rang acht aus zum Sieg in der Verfolgung. Als er auch den letzten der 20 Schüsse ins Schwarze gebracht hatte, riss er ausufernd die Faust nach oben. Er weiß, dass er auf seine Gegner provokant wirken kann. "Beeinflussen, Druck ausüben - auch das ist ein Teil dieses Spiels", schreibt Fourcade in seinem Buch.

Vor acht Jahren in Vancouver hat er Silber im Massenstart gewonnen. Als er auf dem Siegertreppchen stand und seine Medaille bekam, sah er seinen Vater im Publikum, daneben eine französische Fahne - hinter der sich sein Bruder versteckte, weinend. Simon Fourcade ist vier Jahre älter und hatte Martin überhaupt erst zum Biathlon gebracht. Simon war schon gesetzt im französischen Team und als Trainingsweltmeister bekannt, als Martin erst noch testete, ob er sich für derart harte Arbeit überhaupt motivieren konnte.

"Für Simon musste es so aussehen, als würde mir mit einiger Leichtigkeit zufallen, was er sich mit der schwersten Arbeit nicht erarbeiten konnte", schreibt der jüngere Fourcade. Die beiden distanzierten sich voneinander, heute kann Simon mit den Kräfteverhältnissen leben, sie sind ja eindeutig: Im Gesamtweltcup ist er 34., Martin der Führende. "Ich bin stolz auf ihn, es ist großartig, was er geschafft hat", sagte Simon Fourcade nun zum Gold seines Bruders. In Pyeongchang gehört auch der Ältere zur französischen Auswahl, ist aber noch nicht zum Einsatz gekommen.

"Wenn er seine Frustration mitnimmt in den Massenstart, wird er sehr stark sein"

Auch Johannes Thingnes Bö hat seinen Bruder dabei, in Pyeongchang lagen sie sich am Donnerstagabend nach dem Einzelrennen in den Armen und weinten. Tarjei Bö ist fünf Jahre älter, Sechster im Gesamtweltcup und hat Johannes Thingnes in diesem Winter auch schon besiegt, da sind die Leistungsunterschiede geringer. In der Verfolgung hatte Tarjei Bö Bronze knapp verpasst als Vierter - und anstatt selber Trost zu suchen, baute er seinen Bruder auf.

"Er hatte zu schwere Gedanken. Er war so weit unten, dass er anfing zu zweifeln, ob er die Staffeln mitlaufen soll", sagte Tarjei Bö. Er hätte im Einzel selbst eine Medaille gewinnen können, leistete sich aber zwei Fehler zu viel. "Er hat beim letzten Schießen seinen eigenen Goldtraum weggeschossen. Trotzdem steht er da mit offenen Armen und Gratulationen", sagte Johannes Thingnes Bö, "ihn als Freund, Bruder und Teamplayer zu haben, ist großartig. Diese Medaille ist für ihn."

Mit positiven Gefühlen startet der Norweger nun also in das letzte Individualrennen dieser Spiele, den Massenstart am Sonntag. Ganz anders Fourcade, der am Donnerstag beim Einzel wegen zweier Fehler beim letzten Schießen die zweite Goldmedaille verschoss. "Scheißsport - aber darum lieben wir ihn", twitterte der Franzose, er war auf Rang fünf gelandet. "Heute bin ich sehr wütend, weil ich meinen Job nicht bis zum Ende gemacht habe", sagte er noch, "ich habe einen Olympiatitel weggeschmissen."

Er war angeschlagen in den Wettkampf gegangen, hatte zuletzt Antibiotika nehmen müssen, aber er wollte das nicht als Entschuldigung gelten lassen: Mit nur einem Fehler weniger am Schießstand hätte er sich das Gold sichern können. Lässt sich so ein Fourcade deshalb vom Weg abbringen? "Ich denke, es wird sich bei ihm nicht viel ändern im Kopf", vermutet Johannes Thingnes Bö: "Wenn er seine Frustration mitnimmt in den Massenstart, wird er sehr stark sein." Woraus der kleine Bö-Bruder dann auch gleich Konsequenzen zog am Abend seines Olympiasieges: "Ich denke, ich darf heute nicht zu viel feiern."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: