Biathlon:Dahlmeier lächelt den Schweinehund weg

Biathlon: Laura Dahlmeier: In Topform bei der WM

Laura Dahlmeier: In Topform bei der WM

(Foto: AFP)
  • Viele trauen Laura Dahlmeier eine ähnliche Karriere zu, wie sie Rekord-Weltmeisterin Magdalena Neuner gelang.
  • Nach Bronze im Sprint und Gold in der Verfolgung könnte sie nun ihre nächste Medaille im Einzel über 15 Kilometer holen.
  • Das Rennen im Liveticker gibt es ab 13 Uhr hier.

Von Volker Kreisl, Oslo

Der innere Schweinehund ist benannt nach dem Sauhund. Der wurde vor langer Zeit bei der Jagd auf Wildschweine eingesetzt, weil er besonders unangenehme Eigenschaften hatte. Es gab unterschiedliche Sorten von Sauhunden: die Saufinder mit guter Nase, die Sauhetzer mit guter Lunge, und schließlich die Saupacker. Das waren zumeist sehr schwere, sehr bissige und sehr hartnäckige Doggen. Laura Dahlmeier meinte vermutlich die Saupacker.

In Oslo ist die Garmischer Biathletin Weltmeisterin in der Verfolgung geworden, an einem Sonntag. Abends stand sie mit funkelnden Augen im Stadtzentrum vor 10 000 Zuschauern. Ein Offizieller legte ihr die Goldmedaille um den Hals, dann wurde die Hymne gespielt, Dahlmeier hatte nun sichtbar die höchste Stufe genommen. In der Verfolgung war sie mit 48 Sekunden Vorsprung ins Ziel gekommen, schon 2015 hatte sie WM-Silber gewonnen, aber dies hier war ein richtig überlegener Sieg.

Und doch bestand Dahlmeier darauf, dass sie ihren Zenit schon am Samstag erreicht hatte. Unübertreffbar war für sie die eigene Schlussrunde auf dem Weg zur Bronzemedaille im Sprint. "Das war nicht zu steigern", sagte sie. Diese Schlussrunde war ein großer Selbstbeweis, und der Hinweis auf das Potenzial für eine Karriere wie jene von Rekordweltmeisterin Magdalena Neuner.

Sie wusste im ersten Moment nicht genau, wie sie es beschreiben sollte, Dahlmeier sagte: "Ich nenn' es mal meinen Kampf gegen den inneren Schweinehund." Weil der aber bei jeder Gelegenheit beschworen wird, ist der Schweinehund des Volksmunds mittlerweile abgenutzt und schlapp. Dahlmeier wollte ihre Lust an der Selbstüberwindung aber genauer erklären, denn ihr innerer Gegner auf der letzten Runde war wirklich bissig. Sie hatte ja auf Bronze gegen die Weltklassebiathletin Gabriela Soukalova einen Rückstand von 15 Sekunden. Unaufholbar ist der, aber mit dieser Tatsache wollte sich Dahlmeier nicht abfinden: "Ich hab mir gesagt: Du holst jetzt alles aus dir raus!"

Und so schilderte sie, wie sie drauflos keulte, sich selbst anfeuerte, wie sie erstmals bemerkte, dass sie sich steigerte, wie sie sich zu optimaler Technik zwang, die Ski laufen ließ und auch die Kleinigkeiten beachtete, "ich habe auch in den Abfahrten bewusst tief ein- und ausgeatmet".

Mit Leichtigkeit haben die besten deutschen Biathleten selten geglänzt. In Erinnerung sind die Bilder der scheinbar in die Luft beißenden Uschi Disl, der aufgerissenen Augen von Kati Wilhelm und von Neuner, vom nickenden und stampfenden Michael Greis oder auch von Miriam Gössner, die jedenfalls im Laufen zu den Besten zählt und dabei wie im Ringkampf ihren Kopf einzieht. Die 1,62 Meter große Laura Dahlmeier nimmt die Tradition der deutschen Schweinehund-Fighter nun wieder auf, aber ihrem Stil sieht man das weniger an. Dahlmeier läuft aufrecht, sogar am Berg, sie bringt dadurch maximalen Druck auf die Ski, verliert keine Energie zur Seite, erreicht Vortrieb und höchste Effizienz. Dazu wiederum braucht sie eine gut ausgebildete, umfassende Muskulatur, und deswegen ist es ganz gut, dass sie auf Berge wie den El Capitan klettert.

Der Willenskampf beginnt immer wieder von vorne

Der ist Teil des Yosemite-Nationalparks, er hat eine 1000 Meter hohe in der Sonne liegende Felswand und ist ein Symbol für das grenzsprengende Denken der Kletterer. Dahlmeier war schon als Kind mit ihrem Vater und ihrer Bergsteigergruppe in den Bergen unterwegs, sie stieg später auf das Matterhorn (4478 Meter), den Elbrus (5642) in Russland und den Mont Blanc (4810), und sie träumt von den ganz großen Bergen im Himalaya. Klettern ist für sie die zweite große Sache neben dem Biathlon. Vor neun Monaten überwand sie die Felswand des El Capitan, für die man zwei Tage braucht, und sie erzählte danach, wie sie auf einem Felsvorsprung übernachtete, auf dem man sich besser nicht umdreht.

Es ist aber schon richtig, dass die deutschen Biathlon-Frauen-Trainer Tobias Reiter und Gerald Hönig ihrer Topläuferin die Freiheit der Berge trotz Verletzungsrisiken nicht beschneiden. Die Frage war nach einem Sturz von Dahlmeier im Herbst 2014 aufgetreten, aber Reiter ordnete schon damals den Nutzen des Kletterns höher ein als das Risiko. Das stärkt, siehe El Capitan, mehr als nur die Rumpf- und Extremitäten-Muskulatur. Es fördert auch die Konzentrationsfähigkeit. Dahlmeier erzählte, wie man bei der Wahl nach dem nächsten Griff ständig die richtige Entscheidung treffen müsse, und wie sich der Fokus zusammenziehe, denn "es gibt nichts anderes als den Fels, deinen Kletterpartner und dich". Und wohl auch den Schweinehund, aber der dürfte mit jedem Höhenmeter kleiner werden.

Dennoch beginnt der Willenskampf immer wieder von vorne, mal mehr, mal weniger. Manchmal findet er aber auch gar nicht statt, denn was Dahlmeier von den meisten laufstarken 22-jährigen Biathleten unterscheidet, sind ihre Qualitäten am Schießstand. Nachdem sie als Zwölfjährige endgültig vom Ski alpin aufs Biathlon umgesattelt hatte, war sie schon früh treffsicher. Mit 19 hatte sie eine Wettkampf-Trefferquote von 90 Prozent, mit 21 steigerte sie sich auf 92,6 Prozent, auch in der aktuellen Saison zählt sie zu dem Besten, mit 92,5 Prozent. Bei insgesamt 241 Schuss traf sie 223 Mal.

Laura Dahlmeier hatte sich am Sonntag auf diese Verfolgung gefreut, und ihr Selbstbewusstsein war dann so stark, dass sie ihren Gold-Lauf als die reine Routine empfand. 20 Mal musste sie schießen, 20 Mal traf sie ins Schwarze, und vor den letzten fünf Kugeln hatte sie sich im Schnee am Holmenkollen vorgestellt, "dass jetzt Sommer ist, alles ist ganz normal und ich mach mein Ding". Die ganze Zeit hat der Sauhund keinen Mucks gemacht, so was gibt es auch.

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