Biathlon:Eingebauter Sprengsatz

Das deutsche Biathlon-Team kann den Konflikt zwischen Trainer Frank Ullrich und Biathlet Michael Greis nur mühsam beschwichtigen.

Volker Kreisl

Das mit der Tüftelei war schon immer ein Markenzeichen von Michael Greis. Biathleten nehmen es gerne genau mit den Details ihrer Waffe, der Vorlage beim Stockeinsatz oder der Stärke des Handschuhstoffs. Greis nimmt es besonders genau. Eine winzige Justierung seiner Schusshaltung hat wesentlich beigetragen zu seinen drei Olympiasiegen 2006 in Turin. Die Biathletin Kathrin Hitzer sagt, alle Kollegen achteten auf ihre Ausrüstung und die Gestaltung ihrer Trainings- und Regenerationszeiten, nur Greis etwas mehr. Wenn sie zum Beispiel Details verändere, "dann spielt sich das im Zentimeterbereich ab", sagt Hitzer, "beim Michael sind es dagegen Millimeter". Hitzer muss es wissen, sie ist seit einem halben Jahr mit Greis liiert.

Biathlon: Ein Konflikt schwelt im Biathlon-Team zwischen Michael Greis (links) und Trainer Frank Ullrich.

Ein Konflikt schwelt im Biathlon-Team zwischen Michael Greis (links) und Trainer Frank Ullrich.

(Foto: Fotos: dpa/AP)

Der 32-Jährige probiert gerne Neues; dass er in der Vorbereitung auf die im Dezember beginnende Saison eigene Wege ankündigte, bedeutete daher noch kein Zerwürfnis mit Bundestrainer Frank Ullrich. Seit zwei Jahren variiert er ja das Grundlagentraining, er trainiert in Ruhpolding unter Remo Krug, da ergeben sich automatisch Abweichungen. Auch dass er nicht zum ersten Gletschertraining, sondern erst zur Intensivierung in Finnland zur Mannschaft stoßen wird, deutet nicht auf einen Alleingang hin. Befremdlich ist etwas anderes: die Offenheit, mit der Greis neuerdings seine Eigenständigkeit betont. Verändert haben sich die Zwischentöne, sowohl bei ihm als auch bei Ullrich. Und alarmierend ist die selbstbewusste bis unbeirrbare Haltung, die auf beiden Seiten erkennbar ist. Eine Haltung, die aus einem beschönigten Konflikt einen Eklat machen kann.

Freibriefe für die Spitzenathleten

Beim Medientag in Ruhpolding traten sie nacheinander auf, und Greis, der gerne mal alles nicht so ernst nimmt, wirkte gefasst. Es gebe kein Gegeneinander im deutschen Männer-Biathlon, sagte er, "es geht hier nicht um die Trainingsgruppe Greis oder Oberhof". Dass ein erwachsener Biathlet außerhalb der Lehrgänge und Wettkampfwochen eigene Wege gehe, sei selbstverständlich. Doch bei den Gründen für das Ganze wurde Greis konkret. Dieser eigene Weg habe mit Frank Ullrich zu tun. Dessen Training sei ihm zu sehr von oben verordnet, die Freiräume, die er jetzt habe, "das Ergebnis eines relativ harten Kampfes".

Nach Greis kam Ullrich, und auch er glättete zunächst das Thema. Schon immer habe es Freibriefe gegeben für die, "die uns die Kohlen aus dem Feuer geholt haben". Außerdem sei die Philosophie gar nicht so unterschiedlich: "Der eine macht mehr Grundlagentraining, der andere setzt mehr Intervalle, wieder ein anderer will früher wettkampfspezifisch trainieren", beschwichtigte er und hinterließ dann plötzlich doch offene Fragen.

"Ich hätte mir früher auch manchen Alleingang gewünscht, aber bei mir ging das eben nicht", scherzte Ullrich. Weil er aber einer der erfolgreichsten DDR-Wintersportler war, konnte man das durchaus auch so verstehen, dass er Extratouren als Luxus verachtet. Aber, sagte Ullrich, in Finnland werden alle wieder vereint sein, "da müssen wir versuchen, das Gefüge wieder zusammenzubringen". Wenn alles so normal ist - warum war das Gefüge dann auseinander?

Eingebauter Sprengsatz

Seit zehn Jahren ist Ullrich Biathlon-Cheftrainer, sehr erfolgreich, zerfallen war das Gefüge daher nie. Höchstens der eine oder andere Nachwuchsläufer musste sich ärgern, weil er keine Chance sah, in das feste Gebilde vorzudringen. Im Olympia-Winter 2002 war das Michael Greis. Als er sich damals nach einer Grippe von Ullrich ausgebootet fühlte und fast aus dem Olympiakader flog, begann die Geschichte gegenseitiger Antipathie.

Greis lässt keinen Zweifel daran, dass er das System, das Ullrich groß gemacht hatte, nicht schätzt. Unter Fritz Fischer habe er in Ruhpolding gelernt, dass "Athleten zu mündigen Athleten erzogen werden müssen, die auf sich selber hören können". Er wisse vielleicht zu wenig von der DDR, aber doch so viel, dass damals Training autoritär verordnet wurde. "Da standen 30 Kilometer auf dem Plan, und dann hieß es: 30 Kilometer laufen", sagt Greis. Gewiss, es gebe solche und solche Athleten: "Die einen wollen selber entscheiden, die anderen, dass ihnen jemand sagt, was sie tun sollen." Zu welcher Gruppe er sich zählt, ist klar.

Beide sind ehrgeizig

Heute ist Greis aber Ullrichs wichtigster Mann, er begegnet ihm auf Augenhöhe, ist Mannschaftsführer, und die Nachwuchsläufer orientieren sich an ihm. Das Gefüge ist vermutlich noch nicht zerbrochen, aber es hat sich grundlegend verändert, und die Frage ist, wie viel Macht Frank Ullrich darin noch hat. Mehr als früher besteht seine Rolle darin, das Wettkampfjahr allgemein zu gestalten und die wichtigsten Personalentscheidungen vor den Weltcups zu treffen, während sich das eigentliche Training immer mehr in die Stützpunkte Oberhof und Ruhpolding verlagert.

Dorthin, wo sich das Modell Greis mehr und mehr durchsetzt. Greis und Ullrich sind ehrgeizig, und sie werden an einem bestimmten Punkt nicht nachgeben. Michael Greis wird es sich nicht nehmen lassen, auch intern den Vorteil des Individualismus zu preisen. Und Frank Ullrich wird nicht zusehen, wie seine Kompetenzen beschnitten werden. Niemals wird er sich darauf beschränken, beim Weltcup durchs Fernglas zu spähen und im Fernsehen zu erklären, dass der dritte Schuss knapp rechts oben war.

Im neuen Gefüge ist also ein Sprengsatz eingebaut; um den zu entschärfen, bedarf es entweder viel Einsicht bei den Beteiligten oder es hilft jenes Phänomen, das im Sport die tiefsten Verwerfungen heilt: Erfolg. Vielleicht ist es deshalb ein Glück, dass Michael Greis so gewissenhaft arbeitet. Denn vielleicht ertüftelt er schnell ein paar Siege, die sich dann alle ein bisschen zuschreiben können. Frank Ullrich könnte von Greis' Naturell auch in anderer Hinsicht profitieren. Tüftler gelten als introvertiert, sie achten aufs eigene Fortkommen und interessieren sich nicht für Machtkämpfe.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: