Biathlon:Die Stubenmusik ist vorbei

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Magdalena Neuner gilt als großes Biathlontalent und könnte die Lücke nach Uschi Disls Abschied schließen.

Volker Kreisl

Ruhm ist schwer zu beziffern, höchstens einzukreisen durch Indizien. Zum Beispiel durch die Gehaltserhöhung für Weltcup-Sieger, 10000 Euro schreibt der Biathlon-Weltverband IBU neuerdings aus, was die Bedeutung eines Sieges den Einschaltquoten anpassen soll. Oder durch die zehn Olympiamedaillen, die die Arbeit deutscher Vermarkter erleichtern.

Neuer Stern am Biathlon-Himmel: Magdalena Neuner(r.) umarmt Martina Glagow. (Foto: Foto: AFP)

Mittlerweile hat jeder Biathlet auch eine eigene Internetseite mit Lebenslauf, Fotostrecke und News-Spalte, aber über den konkreten Erfolg des Einzelnen, über die Größe von Gehalt und Fangemeinde wird wenig gesprochen, und wie groß der Ruhm eines jungen Talents schon ist, lässt sich ohnehin nicht bestimmen. Es gibt höchstens grobe Hinweise, zum Beispiel die Mütze.

Magdalena Neuner ist erst 19 Jahre alt, sie hat noch kein Weltcuprennen gewonnen, Bundestrainer Uwe Müssiggang hält sich mit Lob wie immer zurück, und ihre Mütze ist nur ein Stück Kurzware. Und dennoch stellt sie ein Indiz dar für den Beginn einer Laufbahn. Auf Neuners Kappe hatte bislang die Gemeinde Wallgau ihren Namen plaziert.

Wallgau, das ist noch pittoresker als all die anderen pittoresken Wintersportorte, aber in diesem Sommer lag Neuner ein echtes Sponsorangebot vor. Und weil die IBU den Verkauf von Platz auf Mützen und Ohrwärmern streng begrenzt, war Wallgau dort längst verdrängt, als Neuner vor fünf Tagen Siebte im Verfolgungsrennen von Östersund wurde und sich gleich zu Beginn ihrer Weltcupkarriere für eine WM qualifizierte.

Personelle Umbrüche waren in Müssiggangs Mannschaft selten wahrnehmbar. Nachrücker wurden vorsichtig integriert, immer unter dem Vorbehalt, dass im Biathlon alles passieren kann und der Weg vom Talent zur Siegläuferin lang ist. Doch diesmal, im ersten Jahr nach Uschi Disls Abschied, ist Bewegung in den Kader geraten.

Kati Wilhelm, Andrea Henkel und Martina Glagow dürften an der Spitze der siebenköpfigen Weltcupmannschaft stehen, dahinter ist ein Konkurrenzkampf entbrannt. Katrin Apel, 33, sucht noch ihre Laufform, und Simone Denkinger erholt sich von einer Verletzung. Als aussichtsreichster Neuling gilt Neuner, zudem haben in Hochfilzen, wo nach der Verlegung des Weltcups von Osrblie bis 17. Dezember sechs Entscheidungen auf dem Programm stehen, auch die Oberhoferin Sabrina Buchholz, 26, und die 20-jährige Gosheimerin Kathrin Hitzer Gelegenheit, sich zu präsentieren.

Die Einsätze in Östersund ließen aber auch erkennen, wie schwer es ist, sich im Weltcup zu behaupten. Buchholz zeigte noch die konstanteste Leistung und verbuchte drei Plätze im Mittelfeld. Hitzer startete im Einzel forsch, kam in der zweiten Runde von der Loipe ab, kämpfte sich zurück aus dem Wald und schoss in der Folge so formidabel, als gehöre sie seit Jahren zur Szene. Zwei Tage später wurde sie 19. im Sprint, zog sich im Verfolgungsrennen aber blaue Flecken zu, nachdem sie wieder gestürzt war.

Solo in der Philharmonie

Ähnlich wechselhaft erwies sich Magdalena Neuner. Sie hätte beinahe den Sprint gewonnen, schoss dann aber vier Mal daneben. Erst zum Abschluss am Sonntag hatte sie ihre Nerven im Griff.

Magdalena Neuner, die nebenbei ganz gut Harfe spielen soll, hat auch deshalb einen richtigen Kopfsponsor, weil sie Biathlonsiege schon als Juniorin gesammelt hatte. Neuner gewann fünf Mal WM-Gold und vier Mal Silber. Ihre Laufstärke, sagt Müssiggang, sei nicht plötzlich entstanden: "Dieses Talent hat sich früh abgezeichnet." Beim Sprint von Östersund war Neuner in der Spur die Schnellste, was die Trainer dann doch überraschte: "Wir wussten, dass sie schnell ist - aber so schnell?"

Dennoch sind ihre ersten Auftritte weniger zum Sprinten gedacht als allgemein zum Lernen. Ein Finish bei den Junioren war ihr vertraut wie Stubenmusik, der Kampf um einen Weltcupsieg entspricht einem Solo in der Philharmonie. "Keiner steckt das am Anfang weg, wenn er im letzten Schießen auf Stand eins eingewiesen wird", sagt Müssiggang.

Stand eins bedeutet die Führung im Rennen, und es kann noch einige Winter dauern, bis die Talente solche Positionen bis ins Ziel verteidigen. Buchholz muss schneller laufen, Hitzer allgemein stabiler werden, und Neuner muss lernen, mit der Öffentlichkeit fertigzuwerden. In diesem Winter kommt sie jede Woche ein paar Mal im Fernsehen, und wenn es so weitergeht, dann nehmen die Klicks auf ihrer Webseite zu, und irgendwann muss vielleicht auch Magdalena Neuner nach dem Rennen wie einst Uschi Disl Hunderte Fans abweisen, weil sie sich beim Autogrammeschreiben erkälten würde.

Gegen zu viel Ruhm im Kopf hilft es, wenn man nie vergisst, wo man herkommt, und da ist es ein gutes Zeichen, dass Neuner den Schriftzug ihrer Gemeinde unbedingt an anderer Stelle des Anzugs plazieren möchte. Die Mütze wurde unbezahlbar, Bürgermeister Jennewein sagt: "Da können wir nicht mehr mithalten."

© SZ vom 8.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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