Biathleten in Oberhof:Eine Runde Gänsehaut

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90.000 Zuschauer in fünf Tagen: Während der Weltcup-Woche erleben die Biathleten eine überwältigende Begeisterung. Das DSV-Team schnitt ausgezeichnet ab - und feierte Siegerin Martina Glagow.

Joachim Mölter

Am Sonntag, dem fünften und letzten Tag der Weltcup-Woche, kam die Erleuchtung auch über die Menschen in Oberhof. Endlich ruhte der Nebel, der den kleinen Ort in Thüringen tagelang in düsteres Grau gehüllt hatte, und er gab den Blick frei auf das nun von der Sonne bestrahlte Biathlonstadion am Grenzadler. Es schien so zu sein, als hätte eine höhere Macht die Menschen erhört, die dort standen; sie hatten ja ausdauernd genug geschrieen in den vorangegangenen Tagen. "So laut habe ich das Stadion noch nie empfunden", sagte jedenfalls Alexander Wolf, und der sollte sich auskennen: Er ist in dieser Gegend aufgewachsen, er startet für den WSV Oberhof, er ist dort schon oft Rennen gelaufen. Freilich noch nie als Erster des Weltcup-Klassements.

Martina Glagow nach ihrem Sieg (Foto: Foto: Reuters)

Weil auch Kati Wilhelm aus dem Nachbarort Zella-Mehlis mit dem gelben Trikot der Weltcup-Führenden nach Oberhof anreiste, erreichte die Begeisterung der Einheimischen und ihrer urlaubenden Gäste einen neuen Höhepunkt. An den fünf Wettkampftagen pilgerten insgesamt mehr als 90.000 Zuschauer hoch zum Grenzadler; das war eine Rekordkulisse selbst für Oberhof, wo traditionell sowieso die meisten Fans im Weltcup-Zirkus gezählt werden. Aber zwei lokale Helden an der Spitze des globalen Wettbewerbs kann man schließlich nicht jedes Mal feiern, und auch nicht oft so viele Erfolge wie sie die Biathleten des Deutschen Skiverbandes (DSV) in diesem Jahr ablieferten.

26.000 Menschen drängelten sich in der Rennsteig-Arena

In sechs Wettbewerben gab es drei erste, drei zweite und einen dritten Platz; darüber hinaus weitere 13 Platzierungen in den Top Ten. Im Hinblick auf die Olympischen Winterspiele in Turin (10. bis 26. Februar) zog Frauen-Bundestrainer Uwe Müssiggang jedenfalls eine optimistisch stimmende Zwischenbilanz: "Wer vor der tollen Kulisse in Oberhof besteht und mit dem Druck des Heimspiels fertig wird, der kann das auch bei Olympia."

Die stundenlang in der Kälte ausharrenden Zuschauer wurden nur einmal enttäuscht: Am Freitag, als der Zehn-Kilometer-Sprint der Männer wegen des dichten Nebels ausfiel und um einen Tag verschoben wurde. Weil die Eintrittskarten aber zumindest für einen Platz entlang der Loipe gültig blieben, drängelten sich am Samstag 26.000 Menschen in der Rennsteig-Arena, und die machten einen Lärm, "dass ich in der ganzen ersten Runde Gänsehaut hatte", wie Alexander Wolf zugab: "Ich war schon deutlich nervöser als sonst."

"Das hat richtig Spaß gemacht"

Mit dem zweiten Platz hinter dem Franzosen Vincent Defrasne und Rang zwölf tags darauf bei dem vom Norweger Halvard Hanevold gewonnenen Massenstartrennen über 15 Kilometer verteidigte der 27-Jährige freilich seinen ersten Platz in der Gesamtwertung, 17 Punkte vor seinem Klubkollegen Sven Fischer, dem Zweitplatzierten beim Massenstart. Auch Kati Wilhelm darf das leuchtende Leibchen vorläufig behalten auf ihrer weiteren Reise durch die Weltcup-Orte, die sie in dieser Woche nach Ruhpolding führt.

Die 29-Jährige hatte am Samstag den 7,5-Kilometer-Sprint gewonnen, es war ihr erster Sieg in ihrer Heimatregion, mithin also etwas Besonderes im Weltcup-Alltag. Die zweimalige Olympiasiegerin von Salt Lake City 2002 fand gar: "Das ist mit das Größte vor dieser Kulisse." Die Zuschauer hatten zwar bei zunehmendem Nebel noch weniger gesehen als die Athletinnen, nämlich zeitweise nicht einmal mehr die Fernsehbilder auf zwei großen Videotafeln, aber das minderte die Stimmung nicht im geringsten.

"Das hat richtig Spaß gemacht", erzählte Kati Wilhelm nach ihrer Schlussrunde, "obwohl ich mir nicht sicher bin, dass die Zuschauer wussten, wie es stand." Die Leute trieben sie dennoch durch die Loipe mit ihren Anfeuerungsrufen, vorbei an der zwischenzeitlich führenden Schwedin Anna Carin Olofsson. "Mir kam's nicht so vor, als wäre die letzte Runde besonders schnell gewesen", sagte Wilhelm nachher erstaunt. War sie aber doch: Die Sportsoldatin war unter dem Strich eine halbe Minute schneller durch die Loipe marschiert als die gewiss nicht langsame Konkurrentin aus Schweden, immerhin Zweite des Weltcup-Klassements.

Kati Wilhelm befindet sich derzeit jedenfalls in einer überragenden Laufform, wie sie am Sonntag abermals bestätigte. Beim Massenstartrennen über 12,5 Kilometer wurde sie trotz dreier Strafrunden infolge von Fehlschüssen noch Vierte, nur 24 Sekunden hinter der fehlerlos schießenden Siegerin Martina Glagow aus Mittenwald und knapp vor der ebenfalls mit drei Strafrunden belasteten Teamkollegin Uschi Disl (Moosham), die gemeinhin als stärkste Langläuferin unter den weltbesten Biathletinnen gilt.

Den Olympischen Winterspielen in Turin sieht Kati Wilhelm jedenfalls entspannt entgegen. "Olympiasiege muss man ja nicht verteidigen", sagte sie in Oberhof, "da ist für mich schon ein Traum in Erfüllung gegangen, den manche noch träumen, deswegen kann ich ruhig nach Turin fahren. Ich habe nicht den Druck, Medaillen gewinnen zu müssen." Dass sie als eine der Favoritinnen ins Piemont fährt, stört sie auch nicht: "Ich konnte jetzt drei Jahre üben, wie man mit einem Olympiasieg umzugehen hat", sagte sie: "Ich denke, ich kann mit dem Druck umgehen."

© SZ vom 9. 1. 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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