Bewerbung um EM 2020:Der Sieger wird der Verlierer sein

DFB reicht Bewerbungsunterlagen für EM-Spiele 2020 in München ein

München (im Bild) oder London? Das ist die Frage.

(Foto: dpa)

Nach dem Rückzug der Türkei aus dem europaweit ausgetragenen Turnier 2020 kommen London oder München als Austragungsorte für das Finale in Frage. Sowohl der DFB als auch der englische Fußballverband hoffen auf eine Niederlage - mit Blick auf 2024.

Von Thomas Kistner

Am Freitag, Stunden vor Bewerbungsschluss beim Europa-Verband Uefa, ließ die Türkei ihre Kandidatur für die Fußball-EM 2020 fallen. Dabei galt lange als gesichert, dass das erstmals europaweit ausgetragene Turnier dort den finalen Spielort haben würde. Stattdessen, legt der nationale Verband TFF via Website dar, peile das Land nun 2024 die komplette Europameisterschaft an. Was auf ersten Blick plausibel wirkt: Die Türkei hätte lieber das ganze Paket 2024 als nur die Halbfinals und das Endspiel 2020. Womit sie, nebenbei, zum direkten Rivalen Deutschlands um jenes EM-Turnier 2024 würde.

Aber näher besehen braucht sich niemand zu fürchten vor dem türkischen Kandidaten. Der Last-Minute-Rückzug des TFF ist einer brisanten politischen Situation geschuldet, die sich hinter den Kulissen aufstaut. Die Türkei zieht die Konsequenz aus dem, was ihr hohe Uefa-Offizielle bereits beim Kongress im März in Kasachstan signalisiert hatten: dass diese Bewerbung chancenlos sei. Den Hintergrund bildet der Dauerstreit um die Bestrafung des Spitzenklubs - und seit Sonntag schon wieder Meisters - Fenerbahçe Istanbul, der sich in der Saison 2010/11 den Titel über generalstabsmäßige, die halbe Saison umfassende Spielmanipulationen erkauft hatte.

In der Türkei hängt der Fall Fenerbahçe seit Jahren. Und das, obwohl die Strafjustiz in Istanbul den laut Urteil 13 Partien umfassenden Betrug binnen weniger Monate abgehandelt hatte. Der Gerichtshof verhängte Haftstrafen; die höchste, sechs Jahre und drei Monate wegen "Bildung und Leitung einer organisierten Bande", gegen Klubchef Aziz Yildirim. 2013 sperrte die Uefa Fenerbahçe für die nächsten drei Klubwettbewerbe, für die sich der Klub qualifiziert; Berufungskammer und Sportgerichtshof Cas bestätigten das Urteil.

Doch auf nationaler Fußballebene wurden Sperren gegen Fenerbahçe und Anführer Yildirim nicht umgesetzt. Stattdessen wurden Gesetze und Regeln geändert, um den Zwangsabstieg des Klubs ebenso zu verhindern wie die Vergabe des Meistertitels 2011 an das damals Zweitplatzierte Trabzonspor. Fenerbahçe, der Klub der Militärs, sei eine Art "Staat im Staate", monieren Kritiker. Tatsächlich hält neben dem Militärunternehmer Yildirim, der sogar 2012 im Gefängnis als Klubchef wiedergewählt wurde, auch einer die Hand über den Verein, der sich für "mehr als ein gewöhnliches Fenerbahçe -Mitglied" hält: Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan.

Dessen bizarre These, dass "in Demokratien reale Personen, nicht Körperschaften bestraft" gehören, verwarf zwar Uefa-Boss Michel Platini. Trotzdem hielt der Verband lange still. Noch im Herbst 2013 erzählte TFF-Generalsekretär Emre Alkin, das Finalpaket 2020 sei der Türkei fest zugesagt: "Platini hat uns versprochen - ich unterstreiche: versprochen - dass wir sicher das Finalpaket erhalten, sollten wir Olympia nicht bekommen", sagte er kurz nach der Vergabe der Sommerspiele 2020 an Tokio. Damals spielten auch die Sieger die Fenerbahçe-Karte: Bei ihnen, sagten Japans Offizielle, gebe es keine Klubs, die wegen Manipulation vom Cas bestraft wurden. Dem hatten die Türken wenig zu erwidern.

So wuchs der sportpolitische Druck auf die Uefa. Zehntausende Fairplay-Aktivisten demonstrieren seit März 2012 von Istanbul über Trabzon bis Izmir jeden Samstag , sie belagerten die Uefa-Zentrale in Nyon, bombardierten sie mit Mails und drohten mit Hungerstreiks. Im Januar 2014 beantragte Trabzonspor die Anerkennung als Meister 2011. Nun soll der Klub schon Schweizer Kanzleien beauftragt haben.

Die Uefa muss handeln

Und die Uefa? Die fasste bei ihrem 38. Kongress im März die Resolution: "Der europäische Fußball vereint für die Integrität des Spiels." Dass solche Sprüche zum Treppenwitz verkommen, ließe man den TFF gewähren, wurde dessen Vertretern im Februar in Nyon signalisiert. Beim Kongress im März wurde der TFF-Delegation bedeutet, es sei besser, auf eine EM-Kandidatur 2020 zu verzichten - es könne wohl kein grünes Licht geben.

Uefa-Generalsekretär Gianni Infantino sagte bei einem Vorstandstreffen: "Der Kampf gegen Spielmanipulation hat höchste Priorität. Wichtig ist, dass in jedem Verband rigoros vorgegangen wird. Strafen müssen angeglichen werden, es kann nicht sein, dass in verschiedenen Ländern für das gleiche Vergehen verschiedene Strafen verhängt werden." Oder keine, wie vom TFF.

Den DFB bringt die versteckte Affäre unversehens in eine pikante Lage: Er zieht ja nun mit München in ein Duell um die Finalspiele 2020 gegen das Londoner Wembley-Stadion. Jedoch kandidierten DFB und britische FA hier eher aus taktischen Gründen: Wegen der vermeintlichen Dominanz der Türkei 2020 war die eigentliche Strategie, diesen Bewerb zu verlieren und dann um das komplette Turnier 2024 zu ringen.

Nun aber scheidet einer der Großverbände aus: derjenige, der bei der EM-Vergabe 2020 am 19. September den Zuschlag für die Finalspiele erhält. Verkehrte Welt: Der Verlierer 2020 dürfte am Ende der große Sieger sein, weil er das ganze Turnier 2024 kassiert. Denn die von Platini auf 24 Teilnehmer aufgeblähte EM können finanziell und strukturell nur noch wenige Länder stemmen. Der Kreis umfasst Deutschland, England, Italien, Spanien und Frankreich, wobei Letzteres schon die EM 2016 ausrichtet.

Fiele die Finalrunde 2020 an London, könnte der DFB schon die Planung für 2024 angehen. Im klammen Südeuropa dürfte das Riesenturnier kaum in die engen öffentlichen Kostenrahmen passen. Hingegen muss die seit der WM 2006 sport-verrückte deutsche Politik nur das Votum skeptischer Bürger/Steuerzahler fürchten. Was aber die Türkei angeht, die angeblich ja den großen Wurf 2024 plant: Sie muss erst mal jede Menge Hausaufgaben lösen.

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