Berrers Sieg gegen Nadal:Heldentat mit 34 Jahren

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Sieg über Rafael Nadal: der Stuttgarter Michael Berrer (Foto: AP)

Michael Berrer bezwingt Rafael Nadal in drei Sätzen. Es ist sein größter Erfolg - doch er kommt spät: Der 34-Jährige hat eben seiner Frau versprochen, mehr Zeit zu Hause zu verbringen.

Von Matthias Schmid

Michael Berrer machte sein Mobiltelefon aus, Hunderte Mitteilungen und Anrufe waren bereits eingegangen. Nach dem größten Erfolg seiner Karriere wollte er aber nur noch eines: Ruhe, allein sein. Er wollte den Moment still genießen. Der Weltranglisten-127. hatte soeben den langjährigen Weltranglistenersten Rafael Nadal besiegt.

Dabei ist Berrer eigentlich kein stiller Mensch, der Stuttgarter liebt die große Bühne. Er ist witzig, wortgewandt und immer für einen lockeren Spruch gut. Berrer hebt sich ab von der Masse der meist profillosen professionellen Tennisspieler des Planeten. Er sagt, was er denkt und was er will. Aber die Aufgeregtheit in Doha irritierte ihn. "Ich möchte kein großes Aufhebens darum machen", sagt Berrer nach seinem Sieg. Er hat ja noch etwas vor. Er will auch die zweite Runde gewinnen, gegen den Kroaten Ivan Dodig. Lediglich im Internet verfolgte er daher die Reaktionen auf dieses Match, das er sein Leben lang nicht vergessen dürfte.

Zum ersten Mal in seiner Karriere hatte Berrer beim ATP-Turnier gegen einen Spieler aus den Top Fünf der Weltrangliste gewinnen können, er hat dabei nicht irgendwen besiegt, sondern einer der prägendsten Figuren dieses Sports in den vergangenen Jahren, er schlug den achtmaligen French-Open-Sieger 1:6, 6:3, 6:4. 34 Jahre musste er alt werden, um einen solchen Sieg erleben zu dürfen. "Ein Traum" sei das für ihn, bekennt Berrer. "Ich werde von dieser Heldentat meinen Kindern später mal erzählen können."

"Die Pistole hat sie mir nicht auf die Brust gesetzt"

Dieser Satz ist wie so oft bei ihm nicht einfach nur so dahingesagt. Berrer ist mittlerweile Vater von zwei Töchtern. Er kennt das stressige Leben als Vater. Er macht es sich und seiner Familie nicht leicht, wenn er um den Erdball in die entlegensten Länder reist, um Tennis zu spielen. Er ist dann wochenlang unterwegs, fernab seiner Liebsten. Vor der neuen Saison hatte er deshalb mit seiner Ehefrau eine längere Unterredung, zwischen Training und der Fahrt zum Kindergarten. Berrers Frau erklärte ihm, dass sie seine Hilfe brauche. Zu Hause. Er selbst war schnell einsichtig, weil auch seine Karriere endlich ist. "Aber die Pistole hat sie mir nicht auf die Brust gesetzt", sagt er. Berrer möchte schließlich seine Kinder auch aufwachsen sehen, ein guter Vater sein.

Das Jahr 2015 wird deshalb das letzte als Berufsspieler sein, er wird am Saisonende die Tour nach 16 Jahren verlassen. Er will jetzt in die Entscheidung nicht zu viel hineininterpretieren. Ob er deshalb lockerer geworden sei, weil das Ende nah ist, ruhiger in den entscheidenden Situationen auf dem Platz? "Es kann schon sein", sagt Berrer.

Schon in der Qualifikation von Doha hatte der Weltranglisten-127. einige kritische Phasen zu überstehen, von seinen drei Spielen gewann er zwei in drei Sätzen. Auch gegen Nadal machte er die wichtigen Punkte. Wenn sich das Match der entscheidenden Phase näherte, wie oft hatte er da früher gegen die Ausnahmespieler das Nachsehen. Doch diesmal wehrte der Linkshänder im dritten Satz beim Stand von 5:4 drei Breakbälle ab und verwandelte schließlich den ersten Matchball nach einer Stunde und 56 Minuten.

"Ich habe echt gut gespielt", sagt Berrer. Es ist nicht so, dass er vorher noch nie den Besten der Branche gegenüber gestanden wäre, er hat sie halt nie schlagen können. Nur zwei Matches hat Berrer gegen Top-Ten-Spieler gewinnen können, Roger Federer hatte er mal in Basel einen Satz abgenommen. Mit dem Schweizer verbindet ihn so etwas wie eine gute Bekanntschaft. Einmal lud Federer ihn sogar in seine Heimat ein, um mit ihm eine Woche lang intensiv zu üben. Berrer hat immer davon geträumt, bei einem Grand-Slam-Turnier in die zweite Woche zu kommen, doch das blieb ihm ebenso verwehrt wie ein Einzel-Titel auf der ATP-Tour. Zweimal konnte er das Endspiel erreichen.

Der Sieg gegen Rafael Nadal, der das erste Match auf der ATP-Tour seit seiner Blinddarmoperation am 3. November spielte, könnte nun die Aufsehen erregende Eröffnung seiner Abschlusstournee werden. Sie soll ihn nicht nur noch einmal an die schöne und bekanntesten Orte des Zirkus nach Melbourne, Paris, London und New York führen, "ich möchte auch erfolgreich sein", sagt Berrer. Er will wieder zurück unter die besten 100 der Welt. Fast fünf Jahre liegt seine bisher höchste Platzierung schon zurück, als ihn der Computer auf Rang 42 führte.

Der 100-Kilo-Brocken verbraucht 60 Schuhe pro Saison

Berrer war als Tennisprofi schon immer eine imposante Erscheinung, ein 100-Kilo-Brocken, der mit 50 bis 60 verbrauchten Tennisschuhen pro Jahr seinen Ausrüster in die Resignation trieb. Die letzten Monate möchte er jetzt noch genießen, einfach auf sich zukommen lassen. Als Sportpsychologiestudent kurz vor dem Masterabschluss hat er gelernt, dass alles andere nicht viel bringt.

Vielleicht kann er sich und seiner Familie dann noch einen gemeinsamen Wunsch erfüllen. Sollte er am Jahresende so gut in der Weltrangliste stehen, dass er einen direkten Platz im Hauptfeld der Australian Open bekommen sollte. "Dann", sagt Michael Berrer, "werden mich meine Frau und meine Kinder gemeinsam nach Melbourne begleiten." Diesen letzten Kompromiss hatte er seiner Ehefrau noch abringen können.

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