Berlin-Marathon:Mit Flipflops gewonnen

Eliud Kipchoge verpasst in Berlin den angepeilten Marathon-Weltrekord um gut eine Minute - unter anderem auch deshalb, weil ihm nach 800 Metern die Sohlen verrutschen.

Von Johannes Knuth, Berlin

Eliud Kipchoge schob seinen müden Körper ins Ziel. Er wankte. Er hob beide Arme nach oben, man wusste nicht so recht, ob er zum Jubel ansetzte oder einen Arzt verlangte. Vermutlich eher Ersteres. Eliud Kipchoge, 30, aus Kapsabet/Kenia hatte gerade den 42. Berlin-Marathon gewonnen, wenn Kenianer gewinnen, sieht das ja oft so herrlich elegant aus. Aber diese 42,195 Kilometer am Sonntag in Berlin waren dann doch eine zähe Schicht gewesen für den Tagessieger.

Sie waren flink ins Rennen eingetaucht, Kipchoge hatte sich ja den Weltrekord vorgenommen. Die Bedingungen waren prächtig gewesen, sonnig, nie wärmer als 15 Grad, bei derartigen Temperaturen überhitzen die Laufkörper nicht so schnell. Aber so richtig kamen die Favoriten dann doch nicht rein in diesen Marathon. Die Tempokurve zeigte auf und ab, mal brachten sie den Kilometer in 2:44 Minuten hinter sich, dann in 2:58. Kipchoge waren nach 800 Metern zudem beide Einlagen aus den Schuhen gerutscht, sie steckten zur Hälfte im Schuh, zur Hälfte flatterten sie im Wind, manchmal sah es so aus, als laufe ein Athlet in Flip-Flops über den Asphalt. "Ich hätte schneller laufen können", sagte Kipchoge später. Aber den Weltrekord, die 2:02:57 Stunden von Landsmann Dennis Kimetto, den hätte er wohl auch mit intaktem Schuhwerk nicht erreicht. "So ist nun mal der Sport", sagte Kipchoge, er fügte an: "Ich bin sehr stolz auf das, was ich geschafft habe".

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Vielleicht waren diese 2:04:01 Stunden, in denen Kipchoge durch den Berliner Herbst rannte, gar kein schlechtes Zeichen. Weil sie belegen, dass man sich einen Weltrekord in diesem zehrenden Wettbewerb nicht einfach nach Anleitung zusammenbauen kann wie ein Küchenregal, mit ein paar Tempomachern und einem flotten Kurs. Es muss alles passen, wenn man die Grenzen seines Sports verrücken möchte, vor allem im störanfälligen Marathon. Wobei nach dem Rennen am Sonntag weniger Kenntnisse in der Tempogestaltung gefragt waren. Sondern im Textil- und Schustereihandwerk.

Kenya's Kipchoge crosses the finish line to win the men's 42nd Berlin marathon

Hände hoch unter der Quadriga: Eliud Kipchoge aus Kenia am Ziel des Berlin-Marathons - nach 2:04:00 Stunden.

(Foto: Hannibal Hanschke/Reuters)

Wie kann es passieren, dass einem der besten Langstreckenläufer des Planeten nach 800 Metern die Einlagen aus den Schuhen rutschen? Kipchoge drückt sich bei jedem Schritt kräftig mit den Zehen ab, er rutscht im Schuh oft ein wenig nach vorne, und weil seine Sohlen offenbar nicht richtig festgeklebt waren, presste er sie ungewollt heraus. "Ich bin mit demselben Schuh und den Sohlen oft in Kenia gelaufen. Es gab nie ein Problem", beteuerte Kipchoge, "ich denke, es war einfach unglücklich." Er habe sein Missgeschick nicht korrigieren wollen, dazu sei keine Zeit gewesen, sagte er. Dafür krochen sieben Kilometer vor dem Ziel Schmerzen in beide Beine. Wobei Kipchoge seinen Lauf nicht als Niederlage gegen die Zeit begriff. "Ich bin trotzdem glücklich", sagte er, der 30-Jährige führte ein recht plausibles Argument an: "Ich habe gewonnen."

Der Erfolg bei einem Marathon hängt von vielen Faktoren ab. Es ist viel einfacher, es nicht zu schaffen, selbst wenn eigentlich alles klappt, auch die besten Deutschen Philipp Pflieger und Julian Flügel waren am Sonntag so ein Fall. Pflieger war in 2:12:50 Stunden als 16. eingetroffen, schneller war in diesem Jahrtausend nur ein Deutscher gewesen, Arne Gabius 2014. Es war wirklich eine beachtliche Zeit, Pflieger war ja erst einen Marathon gerannt, 2014 in Frankfurt war er nach 36 Kilometern einfach umgekippt, Kreislaufkollaps. Und Flügel fand, seine 2:13:57 Minuten (19.) seien eine "Riesenzeit".

Und doch war es ein Rennen mit Sauergeschmack für die beiden. Da war ja noch diese Norm. 2:17:00 Stunden fordert der Weltverband von den Marathonläufern, damit er sie für die Sommerspiele 2016 in Rio zulässt. Der Deutsche Leichtathletik-Verband aber verlangt von seinen Athleten ein wenig mehr, sie sollen mit den Besten halbwegs mithalten können. Was viele Athleten auch verstehen. Aber dass der DLV die Hürde im Männer-Marathon nun auf 2:12:15 Stunden hochschraubte, bis zu zwei Minuten höher als andere europäische Verbände, das verstand am Sonntag niemand so recht.

The insoles of Kenya's Kipchoge's running shoes are seen slipping up to his ankles after he crosses finish line to win the men's 42nd Berlin marathon

Andere wären so wohl kaum mehr als 42 Kilometer gelaufen: Sieger Eliud Kipchoge und sein Schuhproblem.

(Foto: Hannibal Hanscke/Reuters)

Ob ihn sein Verband als Partner behandle? "Man hat zumindest irgendwie den Eindruck, als wollen sie uns nicht dabeihaben", sagte Pflieger. Sie fordern viel von ihren Athleten im DLV, die Förderung hält da nicht immer mit, zumindest die finanzielle. Pflieger wird es noch einmal bei einem Marathon im kommenden Frühjahr versuchen, und so richtig versteht er nicht, warum er nach diesem mutigen, risikoreichen Lauf in Berlin nachsitzen muss. Wo er doch genau die Fähigkeiten abgerufen hatte, die der DLV von seinen Athleten für die interkontinentalen Vergleiche einfordert.

Anna Hahner erging es da kaum besser. Sie hatte gerade das Ziel des Frauen-Wettbewerbs passiert, den die Kenianerin Gladys Cherono in 2:19:25 Stunden gewonnen hatte. Sie schaute ratlos auf ihre Zeit von 2:30:19 Minuten, die weder für Olympia noch die persönliche Bestzeit gereicht hatte. Hahner hatte den Lauf vielleicht zu mutig aufgenommen, nach 30 Kilometern glitt ihr das Rennen aus den Händen. Jenseits der 30 Kilometer zählt nur das, was die Tagesform rausrückt, und die passte nicht. "Irgendwie wurde es zäh", sagte Hahner, es war ein Gefühl, das sie in ihrer jungen Marathonkarriere noch nicht kennengelernt hatte. "Ich habe dieses Jahr wohl genutzt, um Schwung zu holen fürs nächste", sagte sie tapfer. Und die Erkenntnis gewonnen: Es ist eher die Ausnahme, wenn beim Marathon ein Plan aufgeht.

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