Benedikt Höwedes bei der WM:Einwandfrei als Notlösung

Germany v Ghana: Group G - 2014 FIFA World Cup Brazil

Benedikt Höwedes: Einer fürs Bollwerk und Kopfbälle

(Foto: Getty Images)

Guter Verteidiger, schlechter Verteidiger? Benedikt Höwedes steht immer wieder in der Kritik, doch die Mäkler missachten: Seine Jobbeschreibung führt er in Brasilien perfekt aus. Sein Aufstieg ist vielleicht die größte Überraschung der WM.

Von Thomas Hummel, Rio de Janeiro

Der Strand ist der Sehnsuchtsort der Brasilianer. Dort findet das Leben statt, die Unterhaltung, der Spaß, die Freude, das Fußballspiel. In Rio de Janeiro liegen die Menschen am Wochenende so nah nebeneinander, dass der Münchner Stachus im Vergleich ein Ort der Einsamkeit zu nennen ist. Hauptsache, es gibt was zu sehen, was zu bestaunen, was zu besprechen.

Wenn nach dieser Weltmeisterschaft die Fußballer alle in den Urlaub fliegen, kann es sein, dass Benedikt Höwedes fehlt im Flugzeug. Vor dem Viertelfinale gegen Frankreich wohnte die Nationalmannschaft einen Tag in einem Hotel in Rio de Janeiro mit Blick den Strand von Barra da Tijuca, und wenn der 26-Jährige davon erzählt, glänzen die Augen. "Ich habe lange auf dem Balkon gesessen und den Leuten beim Surfen zugesehen, weil mich das sehr begeistert hat", erzählte er.

A cidade maravilhosa, die wunderbare Stadt hat es ihm angetan. Sie "ist ein absoluter Wahnsinn. Unglaublich, wie die Leute hier leben. Was Rio für ein Karma hat, das ist fantastisch." Höwedes fliegt am Montag erst einmal nach Belo Horizonte, zum Halbfinale gegen Brasilien. Da gibt es weder einen Strand noch was Wunderbares. Das Spiel um Platz drei findet in Brasilia statt, von besonderem Karma hat da auch noch niemand etwas gehört. Weshalb der Schalker umso inständiger hofft, mit der Nationalmannschaft das Finale zu erreichen. Um zurückzukommen, ins wunderbare Rio de Janeiro.

WM-Aus drohte

Dass er selbst dazu einen durchaus wichtigen Beitrag leisten kann, ist die vielleicht größte Überraschung dieser deutschen WM-Mission. Benedikt Höwedes hat bislang alle fünf Spiele über die volle Zeit bestritten. Dabei hatte er mehrfach als Streichkandidaten gegolten. Für einige ist er das immer noch.

Mitte März war ihm im Champions-League-Spiel in Madrid eine Muskelfaser gerissen. Zum dritten Mal binnen drei Monaten. Es folgte eine intensive Behandlung und Rehabilitationsphase, der Schalker gehörte zu den Nationalspielern, denen drohte, die WM zu verpassen. Diesmal aber ließ er die Verletzung ausheilen, nur ja nicht wieder zu früh zurückkommen. Er gab sein Comeback am letzten Bundesliga-Spieltag, Trainer Jens Keller wechselte ihn zwölf Minuten vor Schluss ein. Reichte das für Brasilien?

Es reichte zunächst für den vorläufigen Kader von Bundestrainer Joachim Löw. Es reichte dann für den endgültigen, während für die Position des Linksverteidigers reihenweise Profis wegbrachen. Marcell Jansen wurde nach einer Verletzung nicht rechtzeitig fit, Marcel Schmelzer verletzte sich nochmal im Trainingslager in Südtirol. Löw strich beide, es blieb als einziger Erik Durm, der im Klub diese Position ausübt.

Gefürchtet beim Kopfball

Doch der junge Dortmunder schaffte es nicht ganz, sich das Vertrauen Löws zu erarbeiten. Stattdessen erprobte der Bundestrainer Höwedes, den er wegen seiner Erfahrung, seiner unaufgeregten Spielweise und des bedingungslosen Einsatzes schätzt. Im Testspiel gegen Armenien erzielte er gar ein Tor aus dem Spiel heraus. Löw legte sich fest: Der gelernte Innenverteidiger Höwedes spielt links hinten.

Er ist eine Notlösung, und das weiß er auch selbst. Höwedes kennt seine Schwächen im Spiel nach vorne, mit seinem linken Fuß kann er kaum mal einen ordentlichen Ball die Linie entlang spielen. Es ist das eingeplante Defizit, was einige Kommentatoren zur Kritik nutzten. Sein ehemaliger Trainer Felix Magath, der ehemalige Außenverteidiger Bixente Lizarazu, der ehemalige Libero Lothar Matthäus und viele andere beklagten, polterten oder schimpften, dass dieser Höwedes doch kein Außenverteidiger sei. Schon gar nicht für links.

"Natürlich bin ich kein Offensivverteidiger wie Philipp Lahm. Aber das habe ich auch immer betont", antwortete Höwedes. Seine Aufgabe allerdings, defensiv mitzuhelfen, den Laden dicht zu halten, den erfüllt er bislang einwandfrei.

Einer der Besten gegen Frankreich

Die größten Probleme hatte er gegen den blitzschnellen Ghanaer Christian Atsu und den bärenstarken Algerier Sofiane Feghouli, doch in diesen Partien geriet die Statik des gesamten deutschen Spiels aus dem Lot. Die Abwehrspieler büßten es mit miserabler Außenwirkung. Andererseits gehört er der neuen deutschen Kopfball-Armada an, die bei Ecken und Freistößen die Gegner zittern lässt. Vor dem 2:2 gegen Ghana sprang Höwedes in eine Ecke, Miroslav Klose spitzelte den Ball über die Linie.

Gegen Frankreich nun gehörte er zu den Besten auf dem Platz, gewann fast alle Zweikämpfe und war ein Garant dafür, dass die Franzosen kaum eine Torchance hatten. "Ich habe mich von der Kritik nicht beeinflussen lassen", erklärte Höwedes, "weil ich einen starken Rückhalt vom Trainer bekommen habe." Ob nun "mögliche Experten", wie er sie nennt, ihn immer noch nicht akzeptierten, das solle deren Sache bleiben. Um seine Missachtung zu betonen, sagte er sogar das böse Wort mit "sch" am Anfang, so egal sei ihm deren Meinung der Mäkler.

Nun steht er als Stammspieler im Halbfinale der Weltmeisterschaft, "so viel kann ich also nicht falsch gemacht haben", sagt er. Er und seine Mitspieler müssen es noch einmal richtig machen gegen die Dribbler, Konterspieler und Standardspezialisten aus Brasilien, dann darf er zurück an den Strand von Barra da Tijuca. Er wird sich dann wieder an den Balkon setzen und den Leuten beim Surfen zusehen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: