Der Biochemiker Ivars Kalvins aus Riga/Lettland ist ein kleiner Star, zumindest in Fachkreisen. Kalvins entwickelt seit Jahren fleißig Medikamente, gegen Schlaganfälle, Herzerkrankungen, Krebs. Allein 900 Patente reichte er bis zuletzt ein, das ist natürlich sehr verdienstvoll, zumindest wenn es nach dem Europäischen Patentamt geht. Das nominierte Kalvins im vergangenen Jahr für seinen Erfinderpreis. Kalvins schaffe "bedeutenden Nutzen für die Humanmedizin", so steht es auf der Website des "European Patent Office", kurz: EPO.
Vor allem ein Medikament beeindruckte die Jury: Mildronat, basierend auf der Substanz Meldonium. Die Arznei für Herzkranke sei mittlerweile eines der "erfolgreichsten Medikamente Lettlands", berichten die Patenthüter stolz. 2013 setzte die zuständige Firma knapp 70 Millionen Euro mit dem Stoff um; Mildronat machte im damaligen Geschäftsjahr 0,7 Prozent des lettischen Exports aus.
Des gesamten wohlgemerkt. Man wüsste gerne, wie viele Hochleistungssportler zum Kundenstamm gehören, wer also der lettischen Pharmawirtschaft in den vergangenen Jahren zu Wohlstand verhalf. Klein ist dieser Kreis offenbar nicht. Neun Athleten wurden seit Januar mit Meldonium auffällig, am Montag die Tennisspielerin Maria Scharapowa, am Dienstag traf es weitere Prominenz, etwa Pawel Kulischnikow, fünfmaliger Sprint-Weltmeister im Eisschnelllauf aus Russland, und Semjon Jelistratow, Olympiasieger im Shorttrack, wie die russische Agentur R-Sport meldete.
Bereits 2004, bei den Spielen in Athen, spürten Wissenschaftler die Arznei in Athletenkörpern auf, bevorzugt bei Sportlern aus Russland und dem Baltikum. Das Medikament ist dort im freien Verkauf, es war noch nicht im Sport verboten. Nachdem immer mehr Dopingfahnder die Substanz in Urinproben fanden, hob sie die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada vor einem Jahr auf ihre Beobachtungsliste. "Es gibt seit Jahren die Tendenz, dass man mit Mitteln experimentiert, die eine Leistungssteigerung versprechen", sagt Dopingfahnder Detlef Thieme der dpa. Die Wada gliederte das Medikament deshalb in seine Liste der verbotenen Substanzen ein, wirksam ab Januar 2016.
Meldonium soll den Sauerstofftransport von roten Blutkörperchen verbessern, damit vor Herzkrankheiten schützen. Ob das Medikament Sportlern damit zu besseren Leistungen treibt, ist umstritten. Manche Studien versprechen "eine höhere physische und mentale Belastbarkeit sowie eine schnellere Regeneration", sagt Mario Thevis, Dopingforscher an der Sporthochschule Köln. Thieme bezeichnet das Medikament als "Lifestlye-Droge", die genommen werde, "obwohl ihre tatsächliche Leistung auf Sportler fragwürdig ist". Bekannt ist, dass Sportler gerne ausreizen, was der Pharmamarkt hergibt, und dass viele chronisches Asthma oder sonstige Krankheiten mit sich herumschleppen, die ihnen Zugang zu halblegalen Schnellmachern verschaffen.
"Wir müssen uns noch auf ein paar Schocks vorbereiten"
Der bekannte US-Trainer Alberto Salazar soll Athleten dazu gedrängt haben, Schilddrüsen- und Asthma-Mittel einzusetzen; Salazar bestreitet das. Auch Meldonium war jedenfalls lange in Mode, und nicht jeder Athlet hat offenbar die Warnlampen vernommen, als die Wada die Substanz zuletzt in den verbotenen Bereich stufte: "Es sieht so aus, dass wir uns wegen dieses Medikaments auf ein paar Schocks vorbereiten müssen", sagte Russlands Sportminister Witali Mutko am Dienstag.
Scharapowas Fall wird dabei von einigen Merkwürdigkeiten umrankt. Am Montag sagte sie, dass sie das Mittel zum ersten Mal vor zehn Jahren konsumierte - weil sie "ständig" krank war, "irreguläre Ergebnisse" bei echokardiografischen Tests erzielte und Symptome von Diabetes bemerkte, eine Krankheit, die in ihrer Familie verwurzelt sei. Scharapowa war damals also nicht bloß eine hochprämierte Wimbledon-Siegerin, sie war offenbar eine ziemlich kranke Frau, die bis zuletzt ein Herzmittel konsumieren musste. Eine handelsübliche Meldonium-Kur hält aber nur vier bis sechs Wochen an, teilte Grindeks, die zuständige lettische Firma, der Agentur AP mit.
Scharapowa muss also einige Versorgungstunnel gegraben haben, um das Mittel zu erhalten, sie wohnt in Brandenton/ Florida, in den USA ist Meldonium nicht zugelassen. Sie trainierte mal bei Jason Riley, der einst eine Firma für Nahrungsergänzungsmittel gründete, "Elementz Nutrition", mit einem gewissen Charly Sly. Der hatte zuletzt behauptet, er habe Footballer Peyton Manning Wachstumshormon zukommen lassen. Sly dementierte später seine eigenen Aussagen.
Seit Januar 2016 ist Meldonium, der Wirkstoff des in Lettland produzierten Medikaments Mildronat, von der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada verboten. Seitdem wurden neun Athleten positiv auf die Substanz getestet. Zwei ausländische Ringer des ASV Nendingen, gegen die die deutsche Nada ermittelt, sind bisher nicht namentlich bekannt. Die suspendierten Sportler:
Eduard Worganow (Russland): Radsport
Olga Abramowa (Ukraine): Biathlon
Artem Tyschtschenko (Ukraine): Biathlon
Zwei Athleten des ASV Nendingen: Ringen
Jekaterina Bobrowa (Russland): Eiskunstlauf
Maria Scharapowa (Russland): Tennis
Pawel Kulischnikow (Russland): Eisschnelllauf
Semjon Jelistratow (Russland): Shorttrack
Es ist jedenfalls erstaunlich, wie Scharapowa jetzt ihren positiven Test begründete: Sie habe nicht auf den Link in der Rundmail der Wada geklickt, der auf die neue Verbotsliste verwies. Eine Schusseligkeit, kein Betrug, das will Scharapowa offenbar den Beobachtern aufdrängen. Kann man so sehen. Man kann es aber auch so sehen, dass Athleten, die die Regeln ihres Sports nicht studieren oder sich nicht die Mühe machen, sie kennen zu wollen, ebenfalls Betrüger sind.