Belgien nach dem 1:3 gegen Wales:Schuldiges Kampfschwein

EURO 2016 - Quarter final Wales vs Belgium

Hat einen schweren Stand nach Belgiens überraschendem EM-Aus: Marc Wilmots.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Direkt nach dem Aus formiert sich innerhalb der Mannschaft Protest gegen Trainer Marc Wilmots.

Von Claudio Catuogno, Lille

Die Belgier sahen eine Stunde, nachdem sie von den Walisern arg zerrupft worden waren, schon wieder sehr sortiert aus, die Frisuren saßen, als Kevin De Bruyne, Eden Hazard und die anderen nach dem 1:3 in den Katakomben des Stade Pierre Mauroy zum Bus liefen. Besonders gut saß die Frisur von Thibaut Courtois, dem Torwart. Er hatte in der Umkleidekabine so tief in die Gel-Tube gegriffen, dass man kaum noch Haare erkennen konnte unter der glänzenden Substanz, die er auf seinem Kopf trug. Das passte. Thibaut Courtois war an diesem Abend im Lager der Belgier in jeder Hinsicht der extremste.

Während sich beispielsweise der ehemalige Wolfsburger De Bruyne um eine Aussage zum Trainer Marc Wilmots herumwand, stand keine zwei Meter daneben Courtois und sagte: "Wir haben ein Problem mit der Taktik, schon seit längerer Zeit." Wer für Taktik-Probleme aus Sicht von Courtois verantwortlich ist, war klar, auch wenn der Torwart seinen Trainer natürlich nicht offen zum Rücktritt auffordern konnte. "Ich muss meine Worte vorsichtig wählen, denn ich will nicht alles zerstören", sagte er also. "Aber was ich zu sagen hatte, habe ich in der Kabine gesagt. Das ist die größte Enttäuschung in meiner Karriere. So eine Chance bekommen wir nie wieder."

Zumindest wohl nicht so bald. Die Belgier haben ja gerade nicht nur diese viel gelobte "Goldene Generation" beieinander, mit der sie in der - wenn auch fragwürdigen - Fifa-Weltrangliste auf Rang zwei geführt werden: Neben Courtois, Hazard (beide FC Chelsea) und De Bruyne (Manchester City) wären da auch Yannick Carrasco (Altético Madrid), Toby Alderweireld (Tottenham) oder Romelu Lukaku (FC Everton) zu nennen. Überdies hatten sie den wohl leichtesten Weg ins Finale - die Favoriten finden sich alle auf der anderen Seite des Turniertableaus.

Individualisten wurden keine Einheit

Doch nach der EM-Absage von Anführer Vincent Kompany (Manchester City, Leistenverletzung) haben diese Individualisten offenbar nie zu einer Einheit zusammengefunden. Marc Wilmots hätte diese Einheit formen müssen - war intern aber selbst umstritten. Wenn es im Team eine Pro-Trainer und eine Kontra-Trainer-Fraktion gibt, kann der Trainer nicht mehr viel machen.

Eden Hazard sagte nach dem Abpfiff noch: "Wir stehen alle hinter ihm. Wir hoffen, dass er weitermacht und wir zusammen in der Zukunft noch großartige Dinge erreichen." Wie ernst Hazard das meinte, ist die Frage. Es wird kaum dazu kommen.

"Ich fühle mich verantwortlich." Das war die Formulierung, hinter der sich der 47-jährige Wilmots zunächst zurückzog. "Ich muss über einige Dinge nachdenken. Es wäre nicht sinnvoll, jetzt eine rasche Entscheidung zu treffen, dafür habe ich noch zu viel Adrenalin in meinem Körper." Wilmots ist seit rund vier Jahren im Amt, davor war er drei Jahre Co-Trainer, davor wiederum stehen lediglich kurze Engagements beim belgischen Erstligisten St. Truiden und aushilfsweise bei seinem Langzeit-Klub Schalke 04 im Lebenslauf, wo er sich als Mittelfeldspieler einst den Kosenamen "Kampfschwein" erwarb.

Mannschaft noch immer sehr jung

Wenn ihm nun ein Teil der Mannschaft vorhält, taktisch einfallslos und nicht auf der Höhe zu sein, ist das das größtmögliche Misstrauensvotum. Und sicher keine Basis, den eigentlich noch bis 2018 laufenden Vertrag zu erfüllen.

Alle Schwächen Belgiens Marc Wilmots anzulasten, wäre aber sicher auch unfair. Das Fehlen von Jan Vertonghen, der sich in der letzten Minute des Abschlusstrainings eine Knöchelverletzung zugezogen hatte, und Thomas Vermaelen (Gelbsperre) war gegen Wales schlicht nicht zu kompensieren. "Das waren Ausfälle in einer Zone, in der wir schon vorher Probleme hatten", sagte Wilmots zu Recht - neben Kompany hatte auch Nicolas Lombaerts vor dem Turnierstart absagen müssen. Die Nachwuchskräfte Jason Denayer und Jordan Lukaku mussten nun gegen Wales ran - und waren völlig überfordert.

Trotzdem: In Belgien reift gerade die Erkenntnis, dass man die goldene Generation besser früher als später einem anderen Coach anvertrauen sollte, als dem ehemaligen "Kampfschwein" aus Gelsenkirchen. Jung genug, um noch um Titel zu spielen, ist die Truppe ja : Mit unter 25 Jahren im Schnitt schickte Wilmots die jüngste EM-Startelf seit 1968 aufs Feld.

Als die Spieler nach dem Abpfiff mit hängenden Köpfen in die Kabine schlichen, stand der Trainer am Spielfeldrand und gab jedem einzelnen die Hand. Es sah aus, als sage da jemand "Auf Wiedersehen".

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